Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hat die Atomkraftwerk-Betreiber wegen der Forderung nach längeren Laufzeiten für ihre Meiler scharf kritisiert. "Ich glaube, es ist höchste Zeit, die vier Energiekonzerne in ihre Schranken zu verweisen", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". "Sie haben unterschrieben, dass ihre Atomkraftwerke nur 32 Jahre lang laufen. Wer glaubt, den Staat kaufen oder erpressen zu können, um davon los zu kommen, der scheint in einer anderen Welt zu leben. Wir sind eine Demokratie und ein Rechtsstaat."
Trittin bekräftigte die Ankündigung seiner Partei, nach Karlsruhe zu gehen, falls die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten am Bundesrat vorbei verlängern will. "Ich wünsche viel Vergnügen bei diesem Versuch, das Atomausstiegsgesetz ohne den Bundesrat zu ändern. Das landet mit Sicherheit vor dem Bundesverfassungsgericht." Auch die SPD will vor dem Verfassungsgericht klagen, falls die Bundesregierung mit den großen Stromkonzernen einen Atomvertrag abschließt. Der stellvertretende Chef der SPD im Bundestag, Ulrich Kelber, sagte am Montag im Südwestrundfunk, ein vertraglich abgesicherter Fonds, mit dem die Konzerne für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke bezahlen wollen, sei ein "schmutziger Deal". Es sei der "dreisteste Versuch der Lobby-Bedienung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland".
Drohung löst Verwunderung und Spott
Die Drohung der Kernkraftwerksbetreiber, bei einem Festhalten der Regierung an der Brennelementesteuer sofort Atommeiler stillzulegen, stieß am Wochenende in Berlin auf Verwunderung und Spott. Weshalb die AKW-Betreiber jetzt mit dem Abschalten von Anlagen drohten, die nach geltendem Recht sowieso abgeschaltet werden sollten, "ist mir schleierhaft", sagte die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert. Auch Greenpeace sprach von einer "leeren Drohung". Grünen-Fraktionschefin Renate Künast freute sich: "Endlich mal eine Drohung, vor der man keine Angst haben muss! Im Gegenteil: Hoffentlich tun sie's!"
Die Konzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall verhandeln derzeit mit Finanzstaatssekretär Werner Gatzer darüber, ob sie im Gegenzug für die verlängerte Laufzeit der Atomkraftwerke statt der geplanten Brennelementesteuer von jährlich 2,3 Milliarden Euro auch vertraglich vereinbarte Zahlungen leisten können.
"Konzerne vergiften Verhandlungsatmosphäre"
Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) kritisierte die Energiekonzerne wegen ihrer Drohung. "Die vier Konzerne tun sich keinen Gefallen damit, diese Debatte zu entfachen", sagte Dena-Geschäftsführer Stephan Kohler dem "Handelsblatt". "Mit der offenen Zurschaustellung ihrer Macht vergiften die Konzerne die Verhandlungsatmosphäre."
Nach Kohlers Überzeugung würde ein vorzeitiges Abschalten mehrerer Kernkraftwerke zu Engpässen in der Stromversorgung führen. Laut Dena besteht die Gefahr, dass bis 2020 Stromerzeugungskapazitäten von 12.000 bis 13.000 Megawatt fehlen. Das entspricht etwa 15 Kohlekraftwerken. Kohler fordert daher den Neubau effizienter Gas-und Kohlekraftwerke.
Ähnlich äußerte er sich auch im "Tagesspiegel". Moderne Kohlekraftwerke wären heute mit einem Wirkungsgrad von 47 Prozent deutlich effizienter und auch sauberer als alte Anlagen. "Mit neuen Anlagen könnten wir zwischen 30 und 40 Prozent der CO2-Emissionen sparen."