Die Forderung klingt einfach: Wenn die Griechen ihr Staatsdefizit nicht schnell abgebaut bekommen, sollen sie aus der Euro-Zone halt austreten. So legten es in den vergangenen Tagen deutsche Politiker nahe. Ob die Krise für Deutschland und die Griechen so glimpflicher ausginge, ist unter Experten indes stark umstritten.
Skeptiker warnen vor einem Debakel. "Ein Austritt Griechenlands droht eine Kernschmelze im Bankensektor und eine Depression nach sich zu ziehen", sagte Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Landesbank Bremen. Dies würde die exportorientierte deutsche Wirtschaft treffen. Sämtliche Verträge, die Griechen mit hiesigen Geschäftspartnern geschlossen haben, wären in Gefahr, so Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel. Nach Schätzungen der Großbank UBS drohte der Austritt jeden Griechen im ersten Jahr 9500 bis 11.500 Euro zu kosten; die Gesamtkosten lägen in den ersten zwölf Monaten bei 40 bis 50 Prozent der Wirtschaftleistung.
Steuerausfälle erschweren Defizitabbau
Am Wochenende hatte CSU-Parteichef Horst Seehofer die Option eines Austritts der Griechen aus dem Euro-Verbund ausgesprochen. In den vergangenen Wochen hatte sich abgezeichnet, dass Griechenland angesichts der verschlimmerten Rezession und entsprechend größerer Steuerausfälle Schwierigkeiten bekommt, die bisherigen Pläne zum Defizitabbau 2011 einzuhalten.
Wie hoch die Risiken eines Austritts aus dem Euro wären, ist auch umstritten, weil es keine Blaupause dafür gibt. Es ist nicht einmal klar, wie die rechtliche Basis ist. Zwar sieht der Lissabon-Vertrag den Austritt eines Landes aus der EU vor. Eine Ausstiegsklausel für den Euro gibt es jedoch nicht. An einigen Stellen nennen die Gesetze die Gemeinschaftswährung sogar "unwiderruflich". Nach Interpretation der UBS-Fachleute müsste Griechenland mit der Euro-Aufgabe gleichzeitg die EU verlassen.
Erschwerend kommt hinzu, dass ein Austritt nicht nur von den politischen Vertretern des Währungsraums selbst, sondern von allen 27 EU-Mitgliedern einstimmig abgesegnet werden müsste. "Die technische Umsetzung eines Austritts wäre unheimlich schwierig", sagte Hellmeyer von der Bremer Landesbank.
Austritt kann zu massiven Marktbewegungen führen
Neben den juristischen Unwägbarkeiten nennen Skeptiker eine ganze Reihe ökonomischer Risiken - und verweisen dabei auf ansatzweise vergleichbare Erfahrungen aus der Vergangenheit. Schon die Ankündigung könnte zu massiven Bewegungen an den Kapital- und Geldmärkten führen, ähnlich wie nach der Lehman-Pleite im August 2008. Es sei zu befürchten, dass der Interbankenmarkt erneut zusammenbreche, sagte Michael Schröder, Experte für internationale Finanzmärkte am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Fachleute wie Hellmeyer weisen auch darauf hin, dass Deutschland bislang von der Rettung Griechenlands profitiere. Die Bundesregierung kann die Hilfskredite derzeit sehr günstig refinanzieren und bekommt von Griechenland höhere Zinsen. Das trägt nach Hellmeyers Schätzungen zu einem deutschen Krisengewinn von 25 Mrd. Euro bei. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau kommt auf eine deutlich höhere Summe. Nach ihrer Schätzung wuchs die deutsche Wirtschaft in den vergangenen beiden Jahren zwei bis 2,5 Prozentpunkte schneller, als das mit einer eigenen Währung möglich gewesen wäre. Das entspricht einem Vorteil von rund 50 bis 60 Mrd. Euro.
Alarmierte Sparer ziehen ihr Geld ab
Wie die Ökonomen vermuten, müsste der Übergang zu einer eigenen Währung in Griechenland über Nacht erfolgen. Zu hoch sei das Risiko, dass alarmierte Sparer vorher ihr Geld abziehen - und so die heimischen Banken ins Wanken bringen. Nach UBS-Schätzung lässt sich aus der Erfahrung Argentiniens Anfang der 2000er-Jahre ableiten, dass die Griechen trotzdem rund die Hälfte ihrer Einlagen schon vor der Umstellung abziehen würden. Dies könnte eine Reihe europäischer Banken bedrohen.
Weiteres Problem: Die griechische Notenbank müsste vorab neue Banknoten drucken. Nach Schätzung von Hellmeyer dürfte allein das ein halbes Jahr dauern. Schneller könnte es nach der Idee des US-Ökonomen Tyler Cowen gehen: Nach einem unangekündigten Bankfeiertag könnten die Geldhäuser abgestempelte Euro-Noten herausgeben. Diese Scheine wären nach einem festgelegten Wechselkurs dann weniger wert als der Euro.
Offen ist, wie stark die griechische Währung nach einem Austritt abwerten würde - und welche Folgen das hätte. Nach UBS-Schätzung dürfte die neue Landeswährung rund 60 Prozent an Wert verlieren. Zwar würden griechische Exporte so günstiger. Zugleich würden aber Importpreise und Inflation hochschnellen. Und die EU könnte zur Abwehr entsprechende Zölle für griechische Produkte einführen, so Stéphane Deo von der UBS. Griechenlands Handel mit der EU könnte sich dann halbieren.