Die amerikanische Finanzbranche und damit die weltweite Bankenszene hat sich auf einen Schlag dramatisch verändert - und das nicht zum Positiven. So sprachen die Analysten der Commerzbank von einem "Schwarzen Montag für US-Banken". Das amerikanische Bankensystem sei ein Jahr nach dem Beginn der Finanzmarktkrise schwer erschüttert. Die trübe Vorausschau der Commerzbanker: "Weitere Bankpleiten sind nicht auszuschließen." Aus der Kreditzurückhaltung (Credit Squeeze) könnte nun eine Kreditklemme (Credit Crunch) werden. Die seit Monaten zu beobachtende Verschärfung der Kreditvergabebedingungen, so die Commerzbank, werde sich wohl stärker in den tatsächlich vergebenen Krediten niederschlagen als bisher.
Gleich mehrere Schockeffekte führten die Banker zu ihrere Aussage. Zum einen steht die schwer angeschlagene Investmentbank Lehman Brothers vor dem Aus und beantragte am Montagmorgen Gläubigerschutz. Zuvor waren dem Traditionshaus zwei potenzielle Rettungsanker weggebrochen: Die US-Regierung schloss die in anderen Fällen geleistete Staatshilfe aus, und die Branche war nicht bereit, die milliardenschweren Risiken zu übernehmen. So lehnte die als Kandidat gehandelte britische Bank Barclays den Kauf von Lehman ab.
Staat und Banken sagten aus gutem Grund nein: Die Schulden von Lehman liegen bei kaum fassbaren 613 Millarden US-Dollar und übersteigen damit die bislang größte Pleite, die des Anleihehauses Drexel Burnham Lambert aus dem Jahre 1990. Deutsche Geldhäuser sind vom Lehman-Zusammenbruch kaum betroffen, ihr Engagement bei der Bank hält sich in Grenzen.
Zudem übernimmt die Bank of America die schwer angeschlagene Investmentbank Merrill Lynch. Der Kaufpreis liegt bei etwa 50 Milliarden Dollar, die in Aktien gezahlt werden, teilten die Unternehmen am Montagmorgen mit. Die Transaktion solle im ersten Quartal 2009 abgeschlossen werden. Damit sind innerhalb von sechs Monaten drei der fünf führenden US-Investmentbanken in die Insolvenz geschlittert oder übernommen worden. Als erste war die Nummer fünf Bear Stearns in die Krise geschlittert.
Die Bank of America gehört zu den führenden US-Geldhäusern und bietet Finanzdienstleistungen aller Art an, ist also im Gegensatz zu den Investmenthäusern eine so genannnte Universalbank. Merrill Lynch war zuletzt wegen Milliardenverlusten und einem drastischen Kursverfall immer stärker unter Druck geraten. Mit dem Kauf von Merrill gibt es jetzt mit Goldman Sachs und Morgan Stanley nur noch zwei unabhängige Investmentbanken.
Die US-Notenbank kündigte angesichts der dramatischen Vorgänge umfangreiche Maßnahmen zur Stützung der Finanzmärkte an. Deren Liquidität solle verbessert werden, erklärte Fed-Chef Ben Bernanke. Zudem würden damit die "potenziellen Risiken und Störungen der Märkte" abgeschwächt. Auch die privaten Banken springen ein. Ein internationales Konsortium zehn großer Institute, darunter die Deutsche Bank, verständigte sich auf einen Rettungsfonds über 70 Milliarden Dollar.
Doch es droht bereits der nächste große Krisenfall - diesmal jedoch nicht im Bankenlager: Der weltgrößte Versicherer AIG steckt in riesigen Finanznöten. Dem Unternehmen droht eine Herabstufung durch die Ratingagenturen. Diese bewerten die Bonität eines Schuldners, also seine Kreditwürdigkeit. Erhält der Schuldner schlechte Noten, muss er für seine Anleihen als Risikoausgleich höhere Zinsen zahlen - die Kosten erhöhen sich also bei einer Herabstufung der Note.
Dies droht AIG, und daher bittet der Versicherer die US-Notenbank um Hilfe - ein gängiges Vorgehen in der aktuellen Finanzkrise, die jetzt seit mehr als einem Jahr läuft. Laut "New York Times" braucht AIG einen Überbrückungskredit von 40 Milliarden Dollar.
Die Finanzkrise hat jetzt ein nie erlebtes Ausmaß: "Das US-Finanzsystem entdeckt, dass die tektonischen Platten unter seinem Fundament sich so verschieben, wie sie sich noch nie verschoben haben", bewertete Analyst Peter Kenny von Knight Equity Markets in der Nacht die Vorgänge - und lag damit im Tenor seiner Kollegen. "Es ist eine neue Finanzwelt an der Schwelle zu einer kompletten Neuorganisation."