Islamischer Staat Exodus aus Syrien, Obamas Strategie am Pranger

Hat die westliche Welt die Terrormiliz Islamischer Staat unterschätzt? Die Extremisten erobern bei ihrer Großoffensive zahlreiche Orte. Fast 100.000 Kurden flüchten und berichten von Hinrichtungen.

Die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat zeigen mit ihrer seit einigen Tagen laufenden Großoffensive im Norden Syriens, wie gefährlich sie wirklich sind. Der IS ist trotz einiger Luftangriffe der USA und von Frankreich erstarkt - und scheint seinen Kontrahenten weit überlegen. Die Dschihadisten lassen sich kaum aufhalten und sind bis auf zwölf Kilometer auf die strategisch wichtige syrische Grenzstadt Ain al-Arab herangerückt. Seit Donnerstag haben die Extremisten dabei mehr als 60 Dörfer erobert. Geflüchtete Kurden berichteten von Hinrichtungen in den Gebieten.

Bei den Gefechten um Ain al-Arab setzen die IS-Milizionäre Granaten, Raketen und Panzer ein. Die schweren Waffen sollen aus US-Lieferungen an die irakische Armee stammen, berichtet "Die Welt". Die Dschihadisten hätten das Militärgerät im Irak erbeutet und sich damit einen deutlich Vorteil gegenüber den Kämpfern der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der türkischen Kurden-Miliz PKK verschafft.

Selbst die Bemühungen der USA im Kampf gegen die Extremisten scheinen kaum Effekt zu haben und werden heftig kritisiert. Ein ehemaliger Kommandant des Marinekorps, US-General James Conway, sagte auf einer Konferenz in Washington, Präsident Barack Obamas Strategie den Islamischen Staat zu besiegen, hätte nicht den Hauch einer Chance. Die USA hätten nicht genug verlässliche Bodentruppen im Irak.

100.000 Kurden fliehen in die Türkei

Der IS-Vormarsch im Norden Syriens hat einen regelrechten Exodus ausgelöst. Innerhalb von nur 24 Stunden sollen etwa 100.000 Kurden in die Türkei geflohen sein, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit. Die türkische Regierung gab an, seit Donnerstag seien mehr als 60.000 Flüchtlinge ins Land gekommen. Das UNHCR will seine Hilfen für die zahlreichen Flüchtlinge in der Türkei aufstocken. Die türkische Regierung beziffert die Kosten für deren Versorgung schon jetzt auf weit über zwei Milliarden Euro. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier dankte der Türkei für die Bereitschaft, die "großen Lasten" durch die Flüchtlingsströme zu schultern.

Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien haben 1,5 Millionen Menschen Zuflucht in der Türkei gesucht. 200.000 syrische Flüchtlinge waren in dieser Zeit nach Ain al-Arab geflüchtet, weil die Stadt als relativ sicher galt. Weitere 1,8 Millionen vor allem irakische Flüchtlinge suchen nach UN-Angaben in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak Zuflucht.

Die Türkei schloss am Sonntag vorübergehend die Grenze zu Syrien. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und kurdischen Flüchtlingen. Wasserwerfer und Tränengas wurden eingesetzt. Die Hintergründe sind vorerst unklar.

Doch selbst Flüchtlinge, die es über die Grenze schaffen, müssen teils weiter ums Überleben kämpfen. Der Zustrom der Fremden überfordert viele Türken. Das Land gewährt den Flüchtlingen kostenlose Krankenversorgung. Doch nur eine Minderheit kann in den 22 Lagern untergebracht werden. Die meisten Syrer leben in den Grenzregionen oder in Metropolen wie Izmir, Istanbul und Ankara. Die einheimische Bevölkerung reagiert zunehmend gereizt auf die Flüchtlinge. In den vergangenen Wochen wurden mehrfach gewaltsame Übergriffe gemeldet.

"Im Tourismus machen sie die Preise kaputt", sagt Ali Özevin mit Blick auf die Flüchtlinge. Der 26-Jährige arbeitet in einem Reisebüro in Gaziantep. Ein Hotel reiht sich hier im Stadtzentrum ans andere. Die Geschäfte sind meist zweisprachig beschriftet - arabisch und türkisch. Nicht wegen der Flüchtlinge, sondern für die reichen Touristen aus den Golfstaaten. "In den Hotels und Restaurants hier arbeiten überall Syrer. Sie verdienen weniger als ihre türkischen Kollegen", sagt Özevin.

Für Bettler hat Özevin kein Verständnis. "Sie sind überall. Sie arbeiten nicht, betteln und klauen", sagt er. Resigniert fügt er hinzu: "Die EU macht es sich zu leicht. Weil wir die Nachbarn sind, sollen wir alle Flüchtlinge aufnehmen und für sie bezahlen. Aber wir haben unsere eigenen Probleme."

"Die Welt gegen den Islamischen Staat"

Die USA weiteten am Sonntag ihre Luftangriffe aus und griffen ein IS-Hauptquartier westlich von Mossul an, meldete die unabhängige irakische Nachrichtenseite Al-Sumaria News unter Berufung auf Anwohner. Erstmals sollen Stellungen im Zentrum der nordirakischen Stadt angegriffen worden sein. Die 400 Kilometer nördlich von Bagdad gelegene Stadt ist eine Hochburg der Terrormiliz. Extremisten hatten Mossul Mitte Juni in einem Überraschungsangriff eingenommen und von dort aus weitere Teile des Iraks erobert.

Um die Islamisten ernsthaft zu schädigen, wollen die USA in der kommenden Woche vor der UN-Generalversammlung für ein globales Bündnis im Kampf gegen die Terrormiliz werben. "Das hier ist nicht Amerika gegen den Islamischen Staat", sagte US-Präsident Barack Obama in einer Rundfunkansprache in Washington. "Das ist die Welt gegen den Islamischen Staat."

Reuters
Matthias Kahrs mit DPA/AFP/Reuters