Russlands Wirtschaft ächzt unter den Sanktionen, die der Westen wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine verhängt hat. Das Riesenreich unterliegt drastischen Handelsbeschränkungen und ist von einem großen Teil der Finanzwelt ausgeschlossen.
Vergangene Woche verkündete das US-Finanzministerium, dass es Russland nicht mehr gestattet sei, seine Verbindlichkeiten in Dollar über amerikanische Banken zu begleichen. Moskau bezahlte seine Auslandsschulden daraufhin erstmals nur in Rubel, statt, wie eigentlich vorgesehen, in der US-Währung. Insgesamt ging es dabei um Zahlungen für Anleihen im Wert von 649,2 Millionen Dollar (595,3 Millionen Euro). In der Folge senkte die US-Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) die Kreditwürdigkeit des Landes auf "Selective Default", damit wird ein teilweiser Zahlungsausfall gekennzeichnet.
Zwar hat der Kreml zur Absicherung der eigenen Wirtschaft jahrelang Gold- und Geldreserven im Wert von mehr als 600 Milliarden Dollar aufgebaut, das Gold will jedoch im Zuge des Handelsboykotts keiner kaufen und das Geld ist etwa zur Hälfte auf ausländischen Konten geparkt, dort vom Westen eingefroren – und für Moskau unerreichbar.
Damit steht Russland kurz davor, zum ersten Mal seit der bolschewistischen Revolution vor mehr als einem Jahrhundert, seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen zu können.
Ist ein Zahlungsausfall für Russland unabwendbar?
Es sieht immer mehr danach aus, denn die USA und ihre Verbündeten haben es Russland im Rahmen ihrer Bemühungen, das Land vom globalen Finanzsystem zu isolieren, äußerst schwer gemacht, die geplanten Zahlungen in Dollar zu leisten. Dazu gehört auch das neue Vorgehen des US-Finanzministeriums gegen russische Dollar-Anweisungen. Washington wolle Moskau damit zwingen, entweder seine im Inland verbliebenen Devisenreserven zu verbrauchen oder neue Einnahmen, etwa durch Öl- und Erdgasverkäufe, für die Zahlung von Anleihen zu verwenden, schrieb die Schweizer "Handelszeitung". Und die "New York Times" nannte die Maßnahme "einen Schritt, der darauf abzielt, die internationalen Währungsreserven des Landes aufzubrauchen und Russland möglicherweise in die erste Zahlungsunfähigkeit in Fremdwährung seit einem Jahrhundert zu treiben."
Genau das hat die US-Regierung wohl auch im Sinn: Moskau habe die Wahl zwischen dem langsamen Auszehren seiner wertvollen Devisenreserven und der Erklärung des Staatsbankrotts, verkündete die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, am vergangenen Mittwoch in Washington.
Experten und Rating-Agenturen warnen schon seit Wochen vor einer drohenden Pleite Russlands. Allerdings dürfte es sich wegen der außergewöhnlichen Situation durch die Sanktionen zunächst nur um einen technischen oder teilweisen Zahlungsausfall handeln, nicht um eine staatliche Insolvenz im eigentlichen Sinne.
Kremlsprecher Dmitri Peskow versicherte dagegen, dass es keinen Grund für einen Staatsbankrott gebe. "Russland verfügt über alle nötigen Ressourcen, um seine Auslandsschulden zu bezahlen", betonte er vor einer Woche. Zugleich klagte Peskow, dass "erhebliche Summen unserer Reserven" im Ausland eingefroren und blockiert seien. Sollte dieser Zustand anhalten, sei Russland gezwungen, auf Rubelzahlungen umzusteigen. Erst wenn auch die Rubelzahlungen blockiert würden, könne eine "künstliche Bankrottsituation" herbeigeführt werden.
Welche Auswirkungen hätte ein Zahlungsausfall?
Er würde Russland in der globalen Wirtschaft noch stärker isolieren. Moskau hat bereits angekündigt, angesichts der Wirtschaftssanktionen vorerst keine Staatsanleihen mehr auf den internationalen Märkten zu platzieren – wohl auch, weil es dafür kaum noch einen Markt gäbe. Nach seiner Einschätzung reichen die Einnahmen unter anderem aus dem Verkauf von Öl und Gas aus, um die laufenden Ausgaben des Staates zu decken, erklärte Wirtschaftsminister Anton Siluanow am Montag.
Mit dem Verzicht auf den Verkauf von Staatsanleihen verliert die Regierung von Präsident Wladimir Putin ein wichtiges Mittel der Devisenbeschaffung. Und sollte das derzeit in der Europäischen Union diskutierte Öl- und Gas-Embargo gegen Russland Wirklichkeit werden, wären die Möglichkeiten des Kremls, an Geld in Fremdwährungen zu kommen, noch deutlich mehr eingeschränkt.
Ein Zahlungsausfall hätte zudem eine historische Symbolik, die einen Schatten der Schwäche über Putin werfen könnte. Es wäre das erste Mal seit der russischen Revolution im Jahr 1917, dass Russland seine ausländischen Gläubiger hängen lassen müsste. Zwar gab es auch 1998 im Zuge fallender Ölpreise und der Asienkrise einen Zahlungsausfall, dieser betraf aber nur die Binnenschulden in Rubel.

An den Finanzmärkten ist das Risiko eines russischen Bankrotts dagegen bereits einkalkuliert. Es gilt aber aufgrund der relativ geringen internationalen Verflechtungen als überschaubar. Die meisten Analysten rechnen nicht mit einem Finanzmarktschock. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, Kristalina Georgieva, bezeichnete das Engagement internationaler Banken in Russland im März als "definitiv nicht systemrelevant".
Nach jüngsten Daten der Deutschen Bundesbank von November 2021 beliefen sich die Forderungen deutscher Banken gegenüber Russland auf rund sechs Milliarden Euro. Einschließlich der Forderungen ihrer Auslandsfilialen und -töchter waren es etwa 7,5 Milliarden Euro. Das sind laut Bundesbank nur knapp 0,4 Prozent der gesamten Auslandsforderungen deutscher Institute. Die Wertpapiere von öffentlichen Haushalten in Russland bei deutschen Banken beliefen sich auf 119 Millionen Euro.
Verlieren ausländische Investoren nun also ihr Geld?
Nicht unbedingt, aber die meisten Anleger werden einen langwierigen Rechtsstreit führen müssen, um ihre Schulden einzutreiben.
Obwohl Russland kein großer Verkäufer von Auslandsanleihen war, haben große Hedgefonds und Vermögensverwalter, darunter Invesco und Pimco, Anleihen gekauft, wie der US-Sender National Public Radio (NPR) berichtet. Russland habe 15 Anleihen ausstehen, die auf Dollar und Euro lauten und dem US-Wertpapierhändler Morgan Stanley zufolge einen Gesamtwert von rund 40 Milliarden Dollar besitzen. Ein Großteil der russischen Anleihen wurde demnach in Großbritannien registriert, wo wahrscheinlich auch die meisten Gerichtsverfahren stattfinden werden.
Auf jeden Fall müssen sich Russlands Gläubiger im Falle von Gerichtsverfahren auf lange und komplizierte Prozesse einstellen. Nach der Zahlungsunfähigkeit Argentiniens im Jahr 2001 wurden mehrere Versuche unternommen, die Schulden des Landes umzustrukturieren, wie NPR berichtet. Insgesamt dauerten die Verhandlungen mehr als ein Jahrzehnt.
Quellen: "Capital", "Business Insider", Statista, "Handelszeitung", "New York Times", National Public Radio, DPA