Mit Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou möchte derzeit wohl niemand tauschen. Athen brodelt. Der Zorn einer ganzen Nation prasselt auf den Politiker ein. Zehntausende wütende Demonstranten sind am Mittwoch wieder auf die Straße gegangen, um gegen seinen rigiden Sparkurs zu protestieren. Es gab Straßenkämpfe mit der Polizei, vermummte Linksextreme attackierten Beamte mit Brandflaschen. Polizisten setzten Tränengas ein, um Randalierer auseinanderzutreiben.
Nicht nur in der Bevölkerung, auch in den eigenen Reihen spürt der Ministerpräsident inzwischen verstärkten Widerstand gegen seine Sparpolitik. Zwei Abgeordnete der Regierungspartei Pasok, die über eine knappe Mehrheit im Parlament verfügt, gaben sogar ihre Mandate zurück. Als Konsequenz hat Papandreou angekündigt, sein Kabinett umzubilden. In den kommenden Tagen will der Sozialist im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Es wird bereits über einen Rücktritt spekuliert.
"Ein langfristiger Rettungsplan wäre nötig gewesen"
Dabei ist Papandreou der erste Ministerpräsident seit Langem in Griechenland, der vieles richtig gemacht hat. Er hat die straffen Sparvorgaben von Europäischer Union (EU) und Internationalem Währungsfonds (IWF) konsequent verfolgt und es geschafft, das Haushaltsdefizit von 15,4 auf rund zehn Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Das ist zwar noch immer rund drei Mal mehr, als die Maastricht-Kriterien erlauben. Man kann jedoch wohl kaum erwarten, dass die Sparmaßnahmen nach nur einem Jahr einen Staat sanieren, der jahrzehntelang Misswirtschaft betrieben hat. Dass Griechenland sich nur langsam aus dem Schuldensumpf kämpft, ist Papandreou nicht vorzuwerfen. Genausowenig, dass er dafür sparen muss. Doch genau deshalb erzürnt er seine Bürger - und denen ist das nicht einmal zu verübeln: Immerhin stieg die Arbeitslosigkeit in nur 18 Monaten von 11,5 auf über 16 Prozent.
Dass Griechenland nun möglicherweise ein zweites Hilfspaket von 120 Milliarden Euro braucht, ist nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass der Staat die Vorgaben nicht ausreichend umgesetzt hätte. Die Konjunktur hat sich schlechter entwickelt, als erwartet. Das wiederum hat das Vertrauen an den Kapitalmärkten griechischen Anleihen gegenüber geschwächt. "EU und IWF hätten von vornherein einen langfristiger angelegten Rettungsplan entwerfen müssen", sagt Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. "Man hätte nicht so starre Defizitvorgaben machen dürfen. Es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren, das die Pläne Makulatur werden lässt. Der Prozess muss atmen können."
"Die Situation hat etwas von einer Tragödie"
Boysen-Hogrefe fürchtet sogar, dass die starren Vorgaben Griechenland geschadet haben könnten. "Es war ein grundlegender Fehler zu prognostizieren, dass das Land sich bis 2013 am Kapitalmarkt finanzieren kann", sagt er. Das sei eine viel zu günstige Prognose gewesen. Nun würden griechische Anleihen über Jahre hinweg mit schlechter Bonität gestraft werden. Dabei sei von vornherein unsicher gewesen, ob Griechenland die Ziele erreichen kann.
"Es ist leicht, auf Papandreou zu schimpfen", sagt Boysen-Hogrefe. "Dabei versucht er nur, die Vorgaben einzuhalten und bekommt von beiden Seiten Prügel." Die Kritik aus Europa sei zu einfach, die Regierung habe vorbildlich gespart, sagt er. Die Proteste der Griechen seien auch verfehlt, denn Papandreou könne gar nicht anders. "Die Situation hat schon was von einer Tragödie."
"Die Bürger fürchten, ihre Zukunft aus der Hand zu geben"
Ferdinand Fichtner, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht nicht nur die jahrelange Misswirtschaft von Papandreous Vorgängern als Ursache für die aktuelle Misere, sondern auch das Verhalten der Banken. "Sie hätten vorher eingreifen müssen", sagt er. "Sie haben den Griechen jahrelang das Geld hinterher geschmissen." Das Geld sei dann vom Staat an die Beamten weitergegeben worden. "Die größten Kapitalgeber sind französische und deutsche Banken. Sie haben sich nicht darum gekümmert, ob die Griechen das Geld wieder zurückzahlen können oder nicht."
Der Konjunkturexperte glaubt, dass Griechenland nur eine Chance gehabt hätte, schon früher die Verschuldung abzubauen, wenn bereits vor einem Jahr private Investoren an den Kosten der Rettung beteiligt worden wären. Das wäre zum einen über eine Zinssenkung griechischer Staatsanleihen oder über eine Verlängerung ihrer Laufzeiten möglich gewesen. Experten nennen das einen Schuldenschnitt. Auf ein neues Rettungspaket von EU und IWF hätten sie dann möglicherweise verzichten können und auch auf die Auflagen, die damit verbunden sind.
In der EU gibt es jedoch für einen solchen Schuldenschnitt weder ein geregeltes System noch ein Konsens über die Umsetzung. Während Deutschland fordert, dass Banken ihre alten griechischen Staatsanleihen freiwillig gegen neue mit einer siebenjährigen Laufzeit eintauschen, geht der Schritt den meisten EU-Ländern zu weit. Die Griechen selbst haben bei diesen Entscheidungen, die in erster Linie ihr Land betreffen, nicht mehr viel zu sagen. "Im Moment hat die Bevölkerung in Griechenland das Gefühl, dass sie die Zukunft ihres Landes aus der Hand gibt", sagt Fichtner. "Doch dafür kann Papandreou nichts."