Die treffendste Formulierung fand Parteichef Cem Özdemir. "Wenn Europa ein Kreuzfahrtschiff wäre", sagte er auf dem Parteitag der Grünen in Kiel, "dann würden wir längst alle kotzend an der Reling hängen, weil Frau Merkel das Ruder jede Woche herumreißt in eine andere Richtung." Dafür bekam er tosenden Applaus. Und er fügte an: "Die Bundeskanzlerin hat in dieser Europadebatte so ziemlich alles schon mal falsch gesagt und falsch gemacht, was man falsch machen kann." Soweit, so unstrittig.
Was aber wollen die Grünen eigentlich? Sie wollen im Prinzip die "Vereinigten Staaten von Europa" - mit einer neuen Verfassung, einem gestärkten Parlament, regulierten Finanzmärkten, Eurobonds und europaweiten Steuern. Investitionen in den ökologischen Umbau der Wirtschaft ("Green new deal") sollen in allen Mitgliedsländern die Konjunktur ankurbeln. So steht es im Dringlichkeitsantrag des Bundesvorstandes. Wie sich all das gegen die nationalen Egoismen der europäischen Länder durchsetzen ließe, bleibt offen. Es ist die Gnade der Opposition, sich an schönen Entwürfen freuen zu dürfen, ohne sie gleich auf Praxistauglichkeit vermessen zu müssen,
"Rückkehr der Hegemonialmächte"
Gastredner Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der europäischen Grünen in Brüssel, erklärte den 750 Delegierten in der Kieler Sparkassen-Arena, wie sich das aktuelle Auftreten der schwarz-gelben Regierung in der Euro-Krise im Ausland anfühlt. Es gäbe einen "Überdruss" an der deutschen Besserwisserei, sagte er, eine "Ablehnung deutscher Überheblichkeit". Das Miteinander und die Demokratie würden darunter leiden, dass Kanzlerin Angela Merkel und der französiche Präsident Nicolas Sarkozy - vulgo "Merkozy" - dem Rest Europas Vorgaben machten. Cohn-Bendit scheute sich nicht, von der "Rückkehr der Hegemonialmächte" zu sprechen.
Einer, der aufgrund der strikten Vorgaben schon fast alles verloren hat, hielt an diesem Freitagabend die bewegendste Rede: der ehemalige griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou. Leidenschaftlich beschwor er ein neues, stärkeres Europa, gebaut nach der Blaupause des grünen Dringlichkeitsantrags. Und er verteidigte seine damals überraschende - und europaweit heftig kritisierte - Entscheidung, das griechische Volk über die Sparmaßnahmen und den Verbleib in der Euro-Zone abstimmen zu lassen. Er habe diesen Weg gesucht, weil die alten Eliten in Politik und Wirtschaft, um ihre Privilegien fürchtend, ihm gleichsam den Krieg erklärt hätten, sagte Papandreou. In dieser Situation habe er auf die Urteilskraft des Volkes gesetzt. "Wenn wir unserem Volk nicht vertrauen - wem dann? Wenn wir die EU nicht für unsere Bürger schaffen - für wen dann?" Papandreou, der in seiner Rede nicht nur einmal den Grünen für ihre Solidarität dankte und auch mehrmals seine Freundschaft zu "Cem" erwähnte, bekam standing ovations.
Die Freundschaft zu Cem war indes nicht immer ungetrübt: Auch Özdemir hatte Papandreous Plan für ein Referendum unmissverständlich kritisiert. Zu viel Demokratie soll es ja auch nicht sein. Denn die Krise zwingt zum Handeln. Auch wenn da manchmal einer kotzt.