Welche Unternehmen haben im vergangenen Jahr fast 450.000 neue Arbeitsplätze geschaffen? Die Gründer. Auch im Krisenjahr 2009 stellen junge Firmen wieder mehrere Hunderttausend Leute an. Ein Wunder? Nein: Während die großen Konzerne von der Krise schwer getroffen sind, ist die Gründerszene in Deutschland quicklebendig.
Mehr als 260.000 neue Vollerwerbsgründer gingen laut der staatlichen KfW-Bank im Jahr 2008 an den Start. Viele sind Ein-Mann-Betriebe, doch immerhin stellten die Neugründer zusammen auch fast 190.000 Menschen ein. Natürlich überleben nicht alle diese Kleinbetriebe: Ein gutes Viertel verschwindet innerhalb der ersten drei Jahre wieder. Doch aus einigen Firmen wird mehr: Sie sind die Konzerne von morgen, die der Wirtschaft wieder Schwung geben, die Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen.
Sechs dieser Unternehmen wurden am vergangenen Dienstag in Berlin vom stern, den Sparkassen, Porsche und dem ZDF mit dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet. Die nominierten Gründerteams kommen aus den unterschiedlichsten Branchen: Es sind Anlagenbauer, Hightech- Tüftler, Händler oder Dienstleister. Sie alle eint die Freude daran, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Erfolgreiche Frustgründung
"Ich habe 15 Jahre lang einen Maschinenbaubetrieb mit aufgebaut", erzählt Andreas Sandmann, 44. "Am Ende war ich frustriert von meinem Chef, der mir keine Verantwortung geben wollte." Er schmiss die Brocken hin und gründete zusammen mit seinem Kollegen Oliver Schawe, heute 45, die Firma Purplan. Eine richtige Frustgründung, ohne Geschäftsplan oder Kredit. "Wir haben einfach ein paar mögliche Kunden angerufen und so die ersten Aufträge bekommen", erinnert sich Sandmann, als sei es selbstverständlich, dass man Anlagen zur Produktion von Polyurethanen, also Kunststoffschäumen, am Telefon verkauft.
Sich im verarbeitenden Gewerbe selbstständig zu machen ist in Deutschland die Ausnahme. Gerade vier Prozent der Gründungen gibt es hier. Doch der Erfolg von Purplan zeigt die Chancen, denn mit den Aufträgen kam das Wachstum: "Eigentlich wollten wir die Anlagen nur planen", sagt Sandmann, "aber die Kunden sagten uns ziemlich schnell: Dann baut das doch auch." Das war im Jahr 2003, und die einstigen Einzelkämpfer führen nun eine Firma mit 120 Mitarbeitern. "Ich ernte jetzt die Früchte der Angestellten-Jahre", sagt Sandmann. "Direkt nach der Uni wäre das gar nicht möglich gewesen."
Wieso eigentlich nicht? Könnte man fragen, wenn man sich die Truppe von True Fruits aus Bonn anguckt. Die drei Betriebswirte Inga Koster, 30, Marco Knauf, 31, und Nicolas Lecloux, 28, Sieger in der Kategorie StartUp, stürzten sich direkt aus dem Studium in die Lebensmittelbranche - ohne Erfahrung, Geld und Kontakte, dafür beseelt von einer Idee: Während eines Auslandssemesters in Schottland entdeckten sie Getränke aus püriertem Obst, sogenannte Smoothies. "Das Essen in Schottland war grausam", erinnert sich Inga Koster. "Zu allen Mahlzeiten gab es Pommes und viel Fett. Wir haben Obst getrunken, um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen." Noch auf der Insel verfassten sie einen ersten Businessplan. "Uns hat es geschmeckt, das reichte, um an das Produkt zu glauben", sagt Marco Knauf.
Immer wieder aufstehen
Zurück in Deutschland, baten sie ihren Professor an der FH Bonn-Rhein-Sieg um Unterstützung. "Wir hatten ja keine Ahnung, wie man eine Saftfirma gründet", so Knauf. Und die Hochschule half: Chemiker und Biologen tüftelten am Produkt, eine Kunststudentin entwickelte die mittlerweile international ausgezeichnete Flasche. Sie googelten nach Fruchtsaftexperten und Patentanwälten, Abfüllern, Glasfabriken und Vertriebspartnern. Sie kleideten sich schick ein und kreuzten mit ihrem 23 Jahre alten Polo durch die Republik. Im Rewe-Laden des Vaters einer Schulfreundin fanden sie die erste Verkaufsstelle. Heute, keine drei Jahre später, sind sie die Nummer zwei im aufstrebenden deutschen Smoothie-Markt, knapp hinter Bananen-Gigant Chiquita. "Es gab immer wieder Blockaden. Aber wenn zwei in den Seilen hingen, hat der Dritte die anderen wieder aufgerichtet", sagt Inga Koster. Nur gut 20 Prozent aller Gründer starten als Team und profitieren so von diesem Effekt.
Immer wieder aufstehen - das kennt auch Jörg Hüsken, 44. "Ich war zehn Jahre lang Bauunternehmer", erzählt der gebürtige Rheinländer. Vor zehn Jahren ging er mit einer Niederlassung des elterlichen Bauunternehmens in Dresden pleite. "Ich habe damals viel Geld verloren, wollte aber sofort wieder etwas Neues anfangen", sagt Hüsken heute.
Er kaufte die Reste eines insolventen Betriebes im sächsischen Mittweida: fünf Mitarbeiter, ein Autoklav-Ofen zur Produktion faserverstärkter Kunststoffe und ein kleiner Auftrag für Teile von Flugzeugtoiletten im Airbus A 320. "Nach zwei Wochen Prüfung wusste ich: Das ist es."
Zündende Ideen
Zusammen mit dem Werkstoffspezialisten Udo Berthold, 41, stieg Hüsken ins Luftfahrtgeschäft ein. Inzwischen beschäftigt das Duo knapp 150 Mitarbeiter, und fast jede Airbus-Klotür kommt aus Mittweida. "Nach einer Pleite ist man schon geknickt und zweifelt an sich", sagt Hüsken. "Was Neues zu machen ist aber etwas sehr Schönes." Und Gründer mit Erfahrung haben statistisch gesehen höhere Überlebenschancen.
Ein Scheitern stand auch bei Olaf Struck, 40, am Anfang seiner Unternehmerkarriere: "Als der Windkraftanlagenhersteller Repower 2004/2005 schlechte Zahlen lieferte, habe ich meinen Job als Vorstand verloren", sagt Struck mit der Nüchternheit eines nord- deutschen Ingenieurs. Doch aus Erfahrung wusste er: "Die Branche wächst so schnell, da bringen die Windrad-Hersteller einfach den Service nicht."
Auf einer Autofahrt kam ihm die Idee, sich mit dem Austausch von Getrieben in Windkraftanlagen zu beschäftigen. Die tonnenschweren Räderwerke in den Gondeln, 50, 60 Meter über dem Boden, sind die Schwachpunkte vieler Windräder. "Eigentlich waren sie für eine Lebensdauer von 20 Jahren ausgelegt", erzählt Struck, "doch die Kräfte sind viel größer als angenommen." Zusammen mit Michael Kallweit, 43, gründete er in Eggebek bei Flensburg die Firma Gear-Tec. Ein Drittel aller Gründer macht sich wie Struck aus der Arbeitslosigkeit selbstständig. In Krisenzeiten wie diesen sind es noch mehr.
Sein eigener Chef sein
Gut 20 Mitarbeiter beschäftigt das Start-up inzwischen; auch im Ausland ist man auf die Dienstleister aufmerksam geworden. "Das Interesse ist groß", so Struck. Und das ist gut, denn "wir wollen keine Handwerker bleiben, sondern ein richtiges Industrieunternehmen werden".
Die Lust am Aufstieg ist nicht alles. Martin Theben, 30, hat momentan ganz andere Vorteile des Chefseins vor Augen: seine Boxerhündin. Luzi schläft auf einer Matratze neben seinem Schreibtisch und schnarcht. "Das ist das Schöne am Unternehmerdasein", sinniert er. "Man kann seinen Hund mitbringen, auch wenn der furzt und stinkt, und keiner darf meckern."
Vor drei Jahren hat der Unternehmensberater mit seiner Frau Swantje, 30, den Onlineversand "Bergfreunde.de" gegründet. 20 Angestellte verschicken Kletterund Outdoorausrüstung: Eispickel, Rucksäcke, Helme, Mützen, Seile. 400 Pakete jeden Tag. 2008 machte das Ehepaar aus Kirchentellinsfurt bei Stuttgart 3,6 Millionen Euro Umsatz, in diesem Jahr sollen es fünf Millionen werden. Die beiden haben ihr Hobby zum Beruf gemacht: Am Wochenende klettern sie auf Felsen im Donautal. Für ihre Verkäufer ist Bergerfahrung Einstellungsbedingung.
Klare Aufgabenverteilung
Seit drei Jahren kennen die beiden nur ein Thema: die Firma. "Die Gründung hat uns als Paar zusammengeschweißt. Probleme konnten wir nicht vertagen, weil wir ja abends in ein Bett geschlüpft sind", sagt Swantje Theben. Seit Januar haben sie ihre Aufgaben klar geteilt: Er fungiert als Geschäftsführer, sie ist für das Marketing zuständig. "Wir schaffen es jetzt besser, Geschäft und Privatleben zu trennen", sagt sie. Sie wollen schließlich "auch mal Kinder großziehen".
Da ist Niels Fertig, 36, schon ein Stückchen weiter: Sein Sohn ist zwei und seine Tochter vier Jahre alt - sie kam mitten in der Aufbauphase von Nanion Technologies auf die Welt. "Das war nicht leicht. Aber aus der Zeit mit meinen Kindern habe ich viel Kraft geschöpft." Und genau darum geht es ständig bei Nanion, Sieger in der Kategorie Aufsteiger. Denn das Hightech-Unternehmen stellt wissenschaftliche Geräte zur Untersuchung von Zellkanälen für Forschung und Pharmaindustrie her.
20 hoch qualifizierte Mitarbeiter entwickeln die Technik ständig weiter. Dazu brauchen sie das richtige Umfeld. "Letztlich leben wir von unseren Köpfen", sagt Fertig. "Und die brauchen neben einem ordentlichen Gehalt auch Freiräume, um sich selbst weiterzuentwickeln."
Moderne Arbeitsatmosphäre
Gearbeitet wird in coolen Loft-Büros im Herzen Münchens samt Kicker und viel Kaffee. So ungefähr stellt man sich die Atmosphäre in der Gründerszene von Kalifornien vor. Und ganz verkehrt ist der Eindruck nicht, denn von dort, wo Niels Fertig eine Zeit lang studierte, hat er neben reichlich Fachwissen und der Leidenschaft fürs Surfen auch die fixe Idee mitgebracht, dass Wissenschaftler nicht unbedingt als beamtete Professoren enden müssen. Das ist eher noch die Ausnahme in Deutschland: Nur jeder vierte Gründer ist ein Hochschulabsolvent.
Sechs Gründergeschichten, die Mut machen - gerade in Zeiten des Abschwungs. Denn die Krise findet bei ihnen eigentlich nicht statt. Aufbau und Wachstum bestimmen den Alltag. Und wenn es doch mal eng wird? "Als im November die Aufträge ausblieben, haben wir uns einfach wieder ans Telefon gehängt und die Kunden angerufen", erzählt Purplan-Gründer Andreas Sandmann. "Nach einer Woche kamen wir mit dem Angebote-Schreiben nicht mehr nach."