Hartmut Mehdorn "Ich bin kein Handtuchwerfer"

Bahnchef Hartmut Mehdorn ist der Buhmann der Nation - und tut viel dafür, dass das so bleibt. Ein Gespräch über den Gang an die Börse, die Preise am Schalter und die Bahnhofsklos in Wanne-Eickel.

Herr Mehdorn, fallen Sie gern auf die Schnauze?

Nein. Wieso sollte ich?

Sie wollten eine Gebühr von 2,50 Euro einführen, wenn ein Kunde eine Fahrkarte am Schalter kauft, und warfen den Plan nach einer Protestwelle in den Papierkorb.

Die Debatte um den Bedienzuschlag hatte sich emotional hochgeschaukelt. Wir haben die Konsequenzen aus der Kritik gezogen und darauf verzichtet. Niemand hat nur einen Euro dafür bezahlt. Wo ist Ihr Problem?

Mit der Kritik hätten Sie rechnen müssen. Das ist Ihnen schon einmal passiert.

Wie meinen Sie das?

Vor sechs Jahren haben Sie ein neues Preissystem eingeführt und die 50-Prozent-Bahncard abgeschafft. Nach öffentlicher Kritik ruderten Sie zurück. Beim Bedienzuschlag lief es ähnlich. Sind Sie unbelehrbar?

Sie machen es sich zu leicht und vergleichen Äpfel und Birnen. Damals mussten wir auf die zunehmende Konkurrenz der Billigflieger reagieren, die Bahn hatte dramatisch Reisende verloren.

Den Bedienzuschlag nahmen Sie erst zurück, nachdem Angela Merkel bei Ihnen angerufen hatte. Wie fühlt sich das an, wenn die Kanzlerin Ihnen sagt, wo es langgeht?

Nein, so verlaufen diese Gespräche nicht. Am Ende trifft der Vorstand eine Entscheidung. Wenn eine Idee nicht fliegt, wird sie eingesammelt. So einfach ist das.

Wollten Sie an irgendeinem Punkt Ihren Job hinschmeißen?

Nein, warum sollte ich? Ich bin kein Handtuchwerfer.

Haben Sie eine Grenze, an der Sie sagen: Ihr könnt mich mal, ich mach den Bahnchef nicht mehr?

Kritik ist nie schön. Wir haben viel erreicht. Die DB steht gut da: Noch nie sind so viele Menschen mit unseren Zügen gefahren, und noch nie haben wir so viele Güter auf der Schiene transportiert. Das sind die Fakten. Da nimmt man Kritik gelassener. Es hilft auch, wenn man nicht jeden Artikel liest.

Ohne Bedienzuschlag fehlt Ihnen Geld in der Kasse. Erhöhen Sie die Preise mehr als um die geplanten 3,9 Prozent?

Ja, es fehlt uns Geld. Aber auf das Ganze gesehen sind das kaum mehr als 0,1 Prozent des Konzernumsatzes. Wichtig aber ist zu verstehen: Auch bei der Bahn wird es teurer. Energie hat sich um 40 Prozent verteuert. Und wer Lohnabschlüsse von elf Prozent gut findet, wie wir sie abschließen mussten, darf nicht entsetzt sein, wenn wir die Preise erhöhen müssen.

Aber Ihre Preise steigen stärker als die allgemeinen Preise.

Das stimmt nicht.

Doch. Laut Statistischem Bundesamt sind die Bahnpreise im Fernverkehr seit Ihrem Amtsantritt um 23 Prozent gestiegen, die Preise insgesamt nur um 14 Prozent.

Auch Sie biegen sich die Statistik so zurecht, wie es gerade passt. Sie beurteilen Grundpreise, während über 80 Prozent unserer Kunden mit zum Teil großen Rabatten - etwa unseren 29-Euro-Tickets - reisen. Aber fest steht, dass wir bei Gehältern und Energiekosten viel verkraften müssen. Das Beispiel hinkt also, weil es nicht gilt, die Bahnpreise mit dem Index von Salatköpfen und Taschentüchern zu vergleichen. Bahn fahren ist in Deutschland preiswert. Fahren Sie mal in England Bahn, da zahlen Sie pro Kilometer doppelt so viel wie hier.

Aber in Italien, Spanien und Frankreich ist es günstiger.

Die meisten unserer Kunden haben eine Bahncard, Monats- oder Jahreskarten. Die überwältigende Mehrheit zahlt gar nicht den vollen Fahrpreis.

Aber wenn die Bahnpreise generell um 3,9 Prozent steigen, steigen sie auch für die Bahncard-Inhaber um 3,9 Prozent.

Die Preise für Bahncards sind sogar geringer angestiegen. Aber was soll die Diskussion? Mobilität hat sich verteuert, auch bei uns. In welcher Welt leben Sie eigentlich? Sagen Sie mir doch mal, was billiger geworden ist.

DVD-Player zum Beispiel. Oder Computermonitore, Fernseher. Auch Telefonieren ist billiger geworden und der Internetanschluss.

Das ist ein guter Hinweis: An diesen Produkten sind deutsche Arbeitnehmer nicht mehr beteiligt, anders als bei der Bahn. Noch einmal: Sie müssen uns mit dem Auto oder dem Flugzeug vergleichen, und da werden Sie sehen, wie gut wir sind. Manche Fluglinien erhöhen gerade ihre Preise um fast fünf Prozent und nehmen ganz normal Bedien- und Kerosinzuschläge. Darüber regt sich niemand auf. Auch Sie nicht.

Eigentlich müssten Sie billiger werden. Wenn mehr Menschen Bahn fahren, könnten Sie die Kosten auf mehr Köpfe verteilen.

Wenn es so einfach wäre. Die Züge müssen außerhalb der Stoßzeiten voller werden: Ja. Aber das funktioniert nicht, indem es Freibier für alle gibt, weil dann am Ende der Steuerzahler Milliarde um Milliarde draufzahlt.

Vielleicht schrecken Sie die Kunden ab. Viele blicken bei Ihrem Tarifdschungel nicht durch.

Das ist ein überholtes Vorurteil. Wer zum Beispiel von Hamburg nach Berlin reist, fährt anderthalb Stunden Zug. Wir fahren übrigens jede Stunde. Da muss man überhaupt nichts wissen, geht zum Bahnhof, trinkt einen Kaffee und steigt in den nächsten Zug. Seine Verbindungen kann er sich im Internet ausdrucken, und wenn er beraten werden will, geht er zum Schalter. Was ist daran kompliziert?

Familien, die mit Kindern reisen, scheitern regelmäßig daran, den günstigsten Tarif zu finden. Auch die Leute in Ihren Callcentern tun sich damit schwer. Das hat ein Test des Verkehrsverbandes VCD gezeigt.

Die Bahn ist ein Massentransportmittel. Es ist wahr: Bei vielen Millionen Kunden pro Tag werden nicht immer alle Wünsche erfüllt. Übrigens, was unsere Kritiker immer gern verschweigen: Kinder unter 15 Jahren fahren gratis mit ihren Eltern. Fordern Sie das doch mal von den Airlines, oder rechnen Sie es fairerweise bei Fahrpreisvergleichen mit ein!

In der Schweiz etwa ist das Tarifsystem viel einfacher. Der Kunde zahlt stets den gleichen Preis, egal, ob er mit einem schnellen oder langsamen Zug fährt. Warum führen Sie das nicht in Deutschland ein?

Die Schweizer Bahn ist noch nicht einmal halb so groß wie unsere Bahn in Bayern. Insofern hinkt der Vergleich, zumal der Schweizer Staat viel mehr Steuergelder investiert. Und trotzdem haben sie ähnliche Probleme.

Der Börsengang naht, und Sie erhöhen die Preise. Da fühlen sich die Kunden abgezockt.

Ja, ja. Da betreiben viele Kritiker ein Geschäft mit der Angst. Sie sagen, die Bahn geht an die Börse, und dann kaufen die Chinesen die Bahn, und die Strecken werden geschlossen. Das sind doch Schauermärchen. Wir müssen wie alle Unternehmen Kostensteigerungen kompensieren. Das hat mit der Börse nichts zu tun.

Zwei Drittel der Deutschen lehnen den Börsengang ab. Können Sie die Ängste der Menschen verstehen?

Die Sorgen werden den Menschen eingeredet und durch Wiederholen nicht richtig. Die Bahn will und kann keine Strecken stilllegen. Die Bundesländer bestellen die Regionalverkehre und bestimmen, wo wie viel gefahren wird. Nicht die Bahn!

Aber Sie schaffen die Voraussetzungen. Erst lassen Sie die Züge seltener und langsamer fahren, dann bleiben die Passagiere aus, und später sagen Sie: Der Zug lohnt sich nicht.

Unser Job ist Bahnfahren, nicht Stilllegen. Jedes Jahr haben wir neue Transportrekorde aufgestellt. Gerade die Börse will wissen: Wie bekommt ihr mehr Leute in die Züge? Und nicht: Wie spart ihr euer Strecken netz kaputt? Zudem: Der Bund hält auch zukünftig die Mehrheit an unserer Börsentochter und kontrolliert, was läuft.

Die Deutschen haben mit Börsengängen schlechte Erfahrungen gemacht. Die Post geht an die Börse und schließt die Filialen, die Telekom geht an die Börse, und die Aktien sind später nichts mehr wert. Und jetzt geht die Bahn an die Börse und will ein Viertel ihrer Anteile verkaufen …

Das ist wieder typisch. Sie sehen nur das Negative. Wir sind nicht mit Telekom oder Post vergleichbar, eher mit der Lufthansa. Die Lufthansa ist eine der besten Airlines der Welt. Und warum? Weil sie über die Börse privatisiert worden ist. Andere, staatlich geführte Fluggesellschaften sind dagegen fast pleite. Denken Sie an die Air France oder die Alitalia. Wir messen uns hingegen mit den Besten und brauchen dafür Investitionskapital.

Das Umfeld für einen Börsengang ist schlecht. Wegen der Finanzkrise herrscht ein weltweites Misstrauen gegenüber Aktien.

Misstrauen ist immer richtig, wenn man sein Geld anlegen will. Aber was die Bahn angeht, bleibe ich zuversichtlich. Wir sind davon überzeugt, eine sichere Anlage zu werden, die gerade jetzt besonders gefragt ist.

In den USA rutschen reihenweise Banken in die Pleite oder werden verstaatlicht.

Ja. In den USA wiederholen sich im Immobilienbereich die gleichen Fehler, die auch schon die Japaner früher gemacht haben. Ich kann das nicht verstehen. Aber deshalb geht doch die Welt nicht unter. Sie dreht sich weiter. Panik machen hilft gar nicht. Wir hören, dass genug Geld im Markt ist. Die Menschen sind vorsichtiger geworden, okay. Aber solide Papiere sind nach wie vor gern gesehen. Experten sind überzeugt, dass die DB-Aktie ein sehr solides Papier wird.

Sie haben es einmal als Witwen- und Waisenpapier bezeichnet. Gilt das noch?

Ich wollte damit sagen: Die DB-Aktie ist kein volatiles Internetpapier. Da hat es in der Vergangenheit enorme Ausschläge gegeben. Zu Erinnerung: Wir haben jeden Tag rund sieben Millionen Fahrgäste und bewegen täglich mehr als eine Million Tonnen Fracht. Das ändert sich ja nicht über Nacht, sondern steht für ein robustes Geschäftsmodell.

Zurzeit sind Sie auf weltweiter Werbetour. Gibt es denn in Indien, China und im Mittleren Osten so viele Witwen und Waisen, um die Sie buhlen können?

Sie wollen mich nicht verstehen.

Ach, keiner versteht Sie!

Geld ist nicht angestrichen. Sie sehen einem Euroschein nicht an, woher er kommt.

Stimmt es denn, dass Sie eine Prämie für den Börsengang bekommen?

Es ist allgemein üblich, dass es einen Anreiz fürs Management und Führungskräfte gibt. Der Eigentümer gibt denen, die die Aktien verkaufen, Möhrchen, damit sie sich anstrengen, diese möglichst teuer zu verkaufen.

Dann müssen Sie wohl mit wenigen Möhrchen zufrieden sein. Statt der einst erwarteten acht Milliarden Euro läuft es nun auf vier bis fünf Milliarden hinaus.

Wir haben nie eine Zahl gesagt. An Spekulationen beteiligen wir uns nicht.

Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat von acht Milliarden gesprochen.

Wir dürfen gar keine Zahl nennen. Jeder, der das macht, verstößt gegen rechtliche Bestimmungen, die so ein Börsengang allen auferlegt.

Sie haben sich ja als Bahnchef auch Verdienste erworben.

Danke für die Blumen. Vorsicht, wo ist das Aber?

Dennoch sind Sie fürchterlich unbeliebt. Sie gelten als Buhmann.

Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich beliebt bin. Ich werde dafür bezahlt, dass ich eine Firma gut führe, und das tue ich nachweislich. Aber wenn Sie in Deutschland etwas ändern wollen, haben Sie Gegenwind. Veränderungen erzeugen eben Kritik und Widerspruch. Über die Vergangenheit will ich aber nicht mehr erzählen.

Trauen Sie sich.

Ich schaue nach vorn.

Selbst Wohlmeinende sagen: Der Mehdorn macht zwar einen guten Job, aber schießt sich stets selbst ins Knie.

Meine Knie sind heil, aber wenn in Wanne-Eickel auf dem Damenklo der Wasserhahn tropft, steht in der Zeitung: Der Mehdorn hat die Bahn nicht im Griff. Ich müsste ja ein schrecklich omnipotenter Kerl sein, wenn alles stimmt, was über mich geschrieben wird. Das bin ich aber nicht.

Vielleicht muss man ein Berserker sein, um die Bahn zu führen?

Berserker? Fragen Sie doch einmal meine Kollegen. Die finden mich ganz in Ordnung. Aber wenn Sie eine Firma sanieren, dann treffen Sie harte Entscheidungen. Dass der eine oder andere murrt und grollt, ist dabei nicht zu vermeiden.

Ihr ehemaliger Kollege Thilo Sarrazin hat gesagt, dass Sie ein "radikaler Vernichtungswille" auszeichne, wenn Sie einen Gegner vor sich haben.

Wer ist das?

Er war Bahnmanager und saß im Vorstand der Netz AG.

Ach so. Herr Sarrazin erzählt so viele Geschichten, von denen er weiß, dass sie falsch sind. Er lebt ständig davon, die Bahnapokalypse auszurufen.

Auch die Verkehrsexperten von FDP, Grünen und anderen Parteien beklagen Ihre ruppige Art. Sie sagen sogar, dass Sie Dossiers über sie anlegen. Das klingt nach Stasi.

So ein Quatsch. Sie glauben wohl alles, was man Ihnen erzählt. Das Nörgeln hat andere Gründe.

Sagen Sie sie ruhig.

Einige Leute wollen sich leider immer wieder auf Kosten der rund 240.000 DB-Mitarbeiter profilieren, sonst stünden die ja nie in der Zeitung. Bahn-Bashing nennt man das, glaube ich.

Sie entstammen einer Unternehmerfamilie, haben lange für Airbus gearbeitet, dann für Heidelberger Druckmaschinen. Sind Sie überhaupt ein Bahnmensch?

Manche arbeiten seit 40 oder 50 Jahren für die Bahn und ich erst seit knapp zehn Jahren. Ich weiß viel über die Bahn, muss aber als Vorstandschef nicht jede Weiche persönlich mit Vornamen kennen. Ich habe andere Aufgaben.

Was macht den guten Bahnchef aus?

Er muss viel mit den Menschen reden und komplex denken können. Es hilft, wenn er Ingenieur ist und versucht, Probleme einfach darzustellen. Und er muss robust sein und etwas aushalten können. Die kleinen Dicken sind da besser geeignet. Wer ein dünnes Fell hat, wird nicht lange durchhalten.

Denken Sie manchmal darüber nach, dass Ihre Macht als Bahnchef nur geliehen ist?

Es geht doch gar nicht um Macht! Ich muss eine Mannschaft zusammenstellen und ein guter Teamleader sein. Der Mehdorn steht nicht einsam da und sagt: Jetzt entscheide ich. Alle Entscheidungen treffen wir im Team. Da waren harte Nüsse dabei, und manche hatten Probleme. Ich glaube nicht an Machtfantasien. Die Zeiten sind vorbei. Heute müssen Sie überzeugen, die Gewerkschaften, die Betriebsräte, die Führungskräfte und natürlich täglich unsere Kunden.

Sie sind 66 Jahre alt. Andere Menschen gehen in Rente. Warum arbeiten Sie bis 2011 weiter?

Jeder ist so alt, wie er sich fühlt. Bei der Bahn möchte ich einiges zu Ende bringen. Der Aufsichtsrat hat mich gefragt, ob ich weitermachen will. Da habe ich Ja gesagt.

Was machen Sie, wenn Sie kein Bahnchef mehr sind?

Viel Zeit zum Lesen und Basteln haben. Einmal durch Amerika fahren, von Alaska bis nach Feuerland. Oder über den Atlantik segeln. Und vieles tun, wovon ich bisher nur geträumt habe. Alles zu seiner Zeit.

Sie könnten sich auch eine Modelleisenbahn zulegen.

Könnte ich, aber dafür bin ich zu groß und habe lange genug eine große Bahn geführt. Das reicht.

Interview: Andreas Hoffmann, Lorenz Wolf-Doettinchem

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