Magazin Die Aldi-Bank

Hohe Zinsen, keine teuren Filialen und Angebote ohne Kleingedrucktes: Wie die Diba zum Schrecken der traditionsreichen Kreditinstitute wurde.

Die Woche beginnt für Wolfgang Gorges in der Regel gleich mit einem Erfolgserlebnis. So gegen halb elf bekommt der Pförtner des sechsstöckigen Geschäftshauses in der Podbielskistraße in Hannover zum ersten Mal Besuch. Diesmal ist es ein älteres Ehepaar aus Düsseldorf, das mit eigenen Augen sehen will, ob es eine Bank namens Diba mit den hohen Zinsen und der "Diba-Diba-duu"-Fernsehwerbung auch wirklich gibt. Pförtner Gorges kann sie beruhigen: "Hier ist zwar nur das Callcenter, aber Sie sehen - alles hat seine Ordnung." Gern holt er dann ein Kontoeröffnungsformular aus der Schublade und hat, mir nichts, dir nichts, wieder einen Kunden gewonnen. In der Woche, erzählt er, kommen rund hundert skeptische Besucher bei ihm vorbei. Allen drückt er ein Formular in die Hand, die meisten unterschreiben. Wolfgang Gorges dürfte damit der erfolgreichste Pförtner Deutschlands sein. Und das passt gut, denn er arbeitet bei einer der erfolgreichsten Banken des Landes: der Diba - einer Bank, die weder Filialen noch Kundenschalter hat, nur zwei Callcenter in Hannover und Nürnberg und eine Zentrale in Frankfurt.

Arbeiten im Glaspalast

Im Schatten der mächtigen Banktürme an der Theodor-Heuss-Allee verteilen sich 500 Mitarbeiter auf sechs Stockwerke. In der obersten Etage ist das Büro des Chefs mit Wänden aus Glas, wie auch auf den übrigen Stockwerken. "Wir haben nicht nur transparente Produkte, wir arbeiten auch so", sagt Ben Tellings. Der Niederländer mit dem Rudi-Carrell-Akzent hat erst vor zwei Wochen den Chefsessel vom langjährigen Diba-Boss Bernhard Hafner übernommen. Die Pförtnergeschichte aus Hannover findet er lustig. "Aber so umständlich muss man es natürlich nicht machen, um Diba-Kunde zu werden. Ein Anruf, ein Fax oder Brief reicht. Oder man meldet sich online per Computer an."

Mehr als 100.000 Neukunden pro Monat

Immer mehr Deutsche wissen das. Die Diba erlebt einen Boom, auf den die leidgeplagten Manager der Traditionsbanken nur neidisch blicken können. Mehr als 100 000 neue Kunden sammelt die Diba Monat für Monat ein. 3,7 Millionen haben inzwischen dort ihr Konto - damit hat die Diba die Hypovereinsbank hinter sich gelassen und pirscht sich an die Commerzbank, was die Kundenzahl angeht Nummer vier in Deutschland, heran. "Ich kenne keine andere Bank, die nach dem Zweiten Weltkrieg so schnell gewachsen ist", sagt Oliver Mihm, Chef der auf die Finanzbranche spezialisierten Beratungsagentur Investors Marketing.

Wie gelingt eine solche Erfolgsstory? Laut Tellings ganz einfach: "Weniger ist mehr." Seine Marketingabteilung hat sich einen feinen Vergleich ausgedacht: Bankfilialen sind wie Telefonzellen im Handy-Zeitalter! Also alt, unbequem, überflüssig. Das versteht jeder, der seine Finanzgeschäfte von zu Hause, am Arbeitsplatz oder von unterwegs via Handy abwickeln will - wenn's sein muss, auch mitten in der Nacht. Das ist nicht nur für die Kunden bequem, es rechnet sich auch für die Diba. Eine Transaktion per Telefon ist bis zu 60 Prozent, eine übers Internet bis zu 99 Prozent billiger als in den Filialen, hat die Europäische Zentralbank errechnet.

morgenstern

Es geht ums Geld – der Finanz-Newsletter

Ob Bausparvertrag oder Bitcoin – machen Sie mehr aus IhremGeld: Der stern weist Ihnen in diesem Newsletter den Weg durch den Finanz-Dschungel, kompakt und leicht verständlich. Immer freitags in Ihrem Postfach.  Hier geht es zur Registrierung.

Der Köder sind die Zinsen - die gibt's ab dem ersten Euro

Die Diba gibt einen Teil der Ersparnis an ihre Kunden weiter, etwa über das "Extra-Konto". Dort gibt es 2,5 Prozent Zinsen ab dem ersten Euro. Daneben wirken die althergebrachten Banken wie Knauser. Doch sticht dieses Angebot auch noch, wenn die Börse wieder in Schwung kommt? Diba-Chef Tellings hat keine Angst vor einem finanziellen Aderlass. "Der Dax hat in den vergangenen Wochen um etwa 40 Prozent zugelegt - und was ist bei unseren Konten passiert? Nichts! Das Extra-Konto ist für die Kunden wie ein Sparbuch."

Im Zinswettlauf mit anderen Direktbanken ist die Diba mit den 2,5 Prozent auf den ersten Blick schon nicht mehr die Nummer eins - sieben Institute bieten noch mehr. Doch wer nur auf die Zahl starrt, übersieht das Kleingedruckte: Die attraktivsten Zinsen gibt es nur ab einer Mindestanlagesumme, das Institut unterliegt nicht der deutschen Einlagensicherung, oder es handelt sich um ein Lockvogelangebot. "Das macht den Unterschied zur Produktstrategie der Diba aus", sagt Marketingexperte Mihm. "Es sind günstige, transparente und faire Produkte: ohne Wenn und Aber und für jeden gleich."

Du kriegst, was du siehst

Dieses Motto amerikanischer Banken hat sich in Deutschlands Finanzwelt noch lange nicht durchgesetzt. Genau damit hat Tellings' Vorgänger Bernhard Hafner die kleine Diba groß gemacht. Als er 1991 von der Commerzbank zur Direktbank wechselte, hieß sie noch BSV: Bank für Spareinlagen und Vermögensbildung. Erfunden 1965 vom damaligen Gewerkschaftschef der IG Bau, Georg Leber, um die vermögenswirksamen Leistungen der 1,6 Millionen Bauarbeiter zu verwalten und zu mehren. Eine Gewerkschaftsbank, die prompt den Spott der Konkurrenten auf sich zog: BSV - bescheidener Versuch. Solide, bieder und unscheinbar war die BSV, die sich ab 1994 Allgemeine Deutsche Direktbank nannte, über lange Zeit. Während sich Ende der neunziger Jahre im Zuge der Börseneuphorie neue Online-Broker um das Geld der von den Aktien elektrisierten Deutschen balgten und die großen Finanzinstitute teure Direktbank-Töchter gründeten, blieb die Diba stur bei ihren Leisten: klassisches Zinsgeschäft für Privatkunden. Inzwischen erweist sich Hafners Skepsis gegenüber dem schillernden Aktienhandel auf Knopfdruck als Glücksfall. Reihenweise machten Online-Broker Pleite, und die Großbanken nehmen inzwischen ihre defizitären Direktbanktöchter wieder unter ihre Fittiche.

Nach der Börsenkrise drehte die Diba auf

In dieser Zeit der Vollbremsung dreht die Diba richtig auf: kauft die Bank Girotel, die Degussa Bank und - vor wenigen Wochen - die Direktbank Entrium. Geld ist genug da, schließlich hat man sich im Börsenboom ja nicht verspekuliert. Und: Die Diba hat einen potenten Partner an ihrer Seite. Der holländische Finanzkonzern ING ist 1998 bei der hochprofitablen Direktbank eingestiegen und besitzt diese seit kurzem zu 100 Prozent.

Die Holländer gaben Ex-Chef Hafner Geld für die Zukäufe, ließen ihm aber freie Hand bei seiner Geschäftsstrategie: Vollbank ohne Filiale mit einer überschaubaren Produktpalette. Das Extra-Konto ist dabei der Türöffner. Tellings: "Mit dem Extra-Konto gewinnen die Kunden die Möglichkeit, Direktbanking unmittelbar zu erfahren. In kurzer Zeit stellen sie fest, dass sie eigentlich keine Filialen brauchen, um ihre Bankgeschäfte abzuwickeln. Das Vertrauen wächst."

Kontakt über Callcenter

Und das geht so. "Guten Tag. Herzlich willkommen bei der Diba. Mein Name ist Kerstin Greve, was kann ich für Sie tun?" Aus Köln meldet sich ein Kunde im Herzstück der Diba, dem Callcenter in Hannover. Er hat schon ein Extra-Konto und möchte jetzt ein Girokonto eröffnen. "Gibt's denn da auch Zinsen?" - "Zwei Prozent ab dem ersten Euro", sagt Kerstin Greve ins Mikro am Kopfhörer. Sie sitzt in der fünften Etage, an einem breiten Tisch, vor ihr ein Flachbildschirm. Keine Schallwand neben ihr, Großraumbüro, aber keine Legebatterie. Es gibt viel Platz. Hier arbeiten keine gelernten Banker, sondern Fremdsprachensekretärinnen, Informatiker oder Kulturwissenschaftler wie Greve. "Ein Interesse an Geldgeschäften sollten die Bewerber schon haben", sagt Callcenterchef Ralf Bach. "Kaufmännisches Fachwissen ist aber nicht nötig." Das bekommen die Kandidaten in einer vierwöchigen Produktschulung eingetrichtert.

Kerstin Greve hat sich inzwischen die kompletten Kundendaten des Anrufers auf den Schirm geholt und klickt mit ihrer Computermaus das Feld "Girokonto" an. "Der Antrag geht noch heute an Sie raus. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?", flötet sie. Knapp zwei Minuten hat alles gedauert. Ihr Gesprächspartner sagt noch: "Ihre Zinsen sind schon klasse." Und schon kommt der nächste Kunde an die Reihe.

Nicht bloß ein großes Sparschwein

Das hört auch Ben Tellings gern, rückt aber gleich den Eindruck zurecht, die Diba sei bloß ein großes Sparschwein. "Für den Privatkunden gibt es von allem etwas, aber nicht zu viel. Und für jeden gleich." Wer raffinierte Aktienzertifikate sucht oder bei Krediten handeln will, ist hier falsch. Diba - das ist das Aldi-Prinzip im Bankgeschäft. Ein Prinzip, das immer beliebter wird. "Die Karten werden neu gemischt", sagt Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Erfolg hat, wer die Hauptbedürfnisse seiner Kunden befriedigt." Und warum soll das bei einer Bank nicht auch der Pförtner sein?

print
Joachim Reuter