Mitbestimmung "Ein Irrtum der Geschichte"

Im Interview mit dem stern fordert BDI-Präsident Michael Rogowski die Mitbestimmung von Arbeitnehmern in Aufsichtsräten abzuschaffen. Stattdessen solle sie "europatauglich" gemacht werden.

Herr Rogowski, Deutschland stöhnt unter dem Reformstreit, jetzt wollen die Wirtschaftsverbände auch noch die Mitbestimmung zur Diskussion stellen. Warum?

Weil wir dem Thema nicht mehr ausweichen können. Das fängt mit simplen Dingen an: Paritätisch besetzte Aufsichtsräte mit bis zu 20 Mitgliedern sind nach meinen Erfahrungen ziemlich ineffektiv. Dass Gewerkschafter dort auf reservierten Plätzen sitzen, verstehe ich überhaupt nicht. Für Ausländer ist völlig unvorstellbar, dass Gewerkschaftsvertreter über die Unternehmensentwicklung mitentscheiden.

Der von der Kapitalseite gestellte Aufsichtsratsvorsitzende hat doch bei Stimmengleichheit den Stichentscheid.

In der Praxis kann und mag der Vorsitzende dieses Instrument nur im Ausnahmefall benutzen. Wer sich verständigen muss, will nicht ständig im Streit leben.

Die Mitbestimmung gibt es seit 1976. Warum stellen Sie sie jetzt infrage?

Die Reformdebatte wird uns aufgezwungen durch die Globalisierung, die europäische Niederlassungsfreiheit und die Entstehung europäischer Aktien-gesellschaften. Vor drei Jahren gab es über die Europa-AGs eine Einigung in Brüssel. Danach soll das Ausmaß der Mitbestimmung in solchen Unternehmen den Verhandlungen zwischen Kapital und Arbeit überlassen bleiben. Die Auffanglösung für Deutschland, falls man sich nicht einigt, soll nach dem Willen der Bundesregierung die paritätische Mitbestimmung bleiben.

Was spricht dagegen?

Deutsche Unternehmen werden als Partner un-interessanter. Wenn es bei Fusionen keine Einigung gibt, droht der Zwangsexport der deutschen Mitbestimmung.

Die Gewerkschaften wollen die Mitbestimmung zu einem Exportschlager machen.

Das ist 20 Jahre lang nicht gelungen. Es läuft genau andersherum. Bald kann eine britische Gesellschaft, eine "limited", ihren Sitz nach Deutschland verlegen, ohne dass sie hier der Mitbestimmng unterworfen wird. Das heißt, wir bekommen in Deutschland selbst Wettbewerb zur Mitbestimmung. Auch deutsche Unternehmen könnten in England eine "limited" gründen und sie hierher holen - schon sind sie die Mitbestimmung los. Wir müssen also unser nationales Gesellschaftsrecht anpassen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) haben eine Kommission eingesetzt, die eine Reform vorlegen soll. Was sind Ihre Ziele?

Ich kann das noch nicht offenbaren, aber im Kern wollen wir die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer reduzierten und international wettbewerbsfähigen Form erhalten.

Was heißt das konkret? Drittelparität statt paritätischer Mitbestimmung?

Das könnte eine geringere Quote als die volle Parität sein.

Drittelparität?

Das wäre für mich eine denkbare Lösung. Aber ich greife der Kommission nicht vor.

Das klingt nach einem faulen Kompromiss zwischen BDI und BDA.

So hätten Sie's gern. Das ist keine Debatte zwischen BDI und BDA. Die Erfahrungen im Unternehmerlager sind so unterschiedlich, dass man ihnen Rechnung tragen muss.

Wollten Sie denn nicht die Mitbestimmung ganz abschaffen?

Ich persönlich bin der Meinung, Partizipation ist gut, aber Mitbestimmung im Aufsichtsrat war ein Irrtum der Geschichte. Wir haben die Mitbestimmung durch den Betriebsrat, weg mit der durch den Aufsichtsrat! Jetzt müssen wir aber nicht alte Schlachten wiederholen, sondern die Mitbestimmung europatauglich machen

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Mitbestimmung beim Maschinenbaukonzern Voith?

Wir kommen damit zurecht. Ich kenne andere Fälle, da werden Entscheidungen eindeutig verzögert.

Was heißt das?

Das heißt Zeitverlust und Kompromiss.

Blockiert wurde noch keine notwendige Entscheidung?

Bei Voith nicht.

Wenn die Entscheidung über Mitbestimmung in die Firmen verlagert wird, holen sich doch Unternehmen, die die Parität kippen wollen, den Streik geradezu ins Haus.

Des Unternehmers Wille ist sein Himmelreich. Wenn die Unternehmer, die bei uns in den Führungsorganen sitzen, sagen, wir wollen das auf betrieblicher Ebene selbst entscheiden, dann müssen sie auch auf betrieblicher Ebene damit fertig werden.

Als es um die Lohnfortzahlung ging, sind die Vorstände reihenweise umgefallen, weil sie sich keine Konflikte ins Haus holen wollten.

Ich hoffe, dass die Gewerkschaften differenziert reagieren und mit sich reden lassen. Sonst gehen Konzerne ins Ausland.

print
Hans-Ulrich Jörges und Lorenz Wolf-Doettinchem