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Neue Bundesländer "Das ist mir zu schwarz gemalt"

Ostdeutschland ist besser als sein Ruf, sagt der Chef des weltweit tätigen Jenaer Technologiekonzerns Jenoptik, Alexander von Witzleben.

stern: Herr von Witzleben, seit einem knappen Jahr leiten Sie als Nachfolger Lothar Späths die Jenoptik AG, das größte börsennotierte Unternehmen in den neuen Ländern. Ihre Bilanz: knapp 26 Millionen Euro Verlust im Geschäftsjahr 2003, null Dividende für die Aktionäre. Was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen?

Alexander von Witzleben: Nicht viel. 2003 war ein schlechtes Jahr, die Halbleiterkrise dauerte diesmal ungewöhnlich lange. Das hat sich auf unser Ergebnis ausgewirkt.

Leidet Jenoptik unter dem Standortnachteil Ost?

Nein. Jenoptik agiert international. Und die Infrastruktur in Ostdeutschland ist hervorragend, besser als in manch vergleichbarem westlichen Bundesland.

Eine Kommission unter Leitung des früheren Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi hat den Stillstand Ost bei gleichzeitigem Absturz West festgestellt. Ist das schwarz gemalt oder realistisch?

Das ist mir zu schwarz gemalt. Ich kann nicht erkennen, was Herrn von Dohnanyi zum Experten macht. Manche seiner Befunde hören sich an, als sei Ostdeutschland eine leerstehende Katastrophe.

Er war immerhin Aufsichtsrat beim Leipziger Anlagenbauer Takraf.

Von Takraf ist ja nicht viel übrig geblieben. Dort, wo es in Ostdeutschland einen industriellen Kern gab, wo Menschen waren, die etwas von einer Industrie verstehen, ist auch was übrig geblieben. Das gilt für die Halbleiterindustrie und den Automobilbau in Sachsen. Eines der Highlights ist Jena. Ich glaube, wir Deutschen neigen dazu, den Standort schlecht zu reden.

Jenoptik: Aufschwung Ost

Aus dem Kombinat "Carl Zeiss Jena" wurde nach der Wende unter Leitung von Lothar Späth die Jenoptik AG, die Produktionsanlagen für die Chip- und Computerindustrie herstellt. Das Unternehmen beschäftigt rund 10.000 Mitarbeiter, die knapp zwei Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Seit 1998 ist Jenoptik börsennotiert. 1993 kam der Hamburger Alexander von Witzleben zu Jenoptik, seit vergangenem Jahr ist er Vorstandsvorsitzender.

Jährlich werden 90 Milliarden Euro von West nach Ost transferiert. Das ist etwa doppelt so viel, wie die Republik für Bildung ausgibt. Ist das Geldvernichtung?

Der Erfolg zeigt sich in der Infrastruktur, bei Straßen, Universitäten und Krankenhäusern. Porsche liefert im Jahr 2004 mehr als die Hälfte seiner Autos aus Leipzig. Statt schnelle Urteile über den Aufbau Ost abzugeben, rate ich abzuwarten, bis sich die gute Infrastruktur voll auswirkt. Die neue Halbleiterfabrik von AMD in Dresden zum Beispiel nimmt erst in zwei Jahren ihren vollen Betrieb auf.

Die Dohnanyi-Kommission empfiehlt Sonderwirtschaftszonen mit Steuerbefreiungen für Firmen und Lohnzuschüssen. Lassen sich so die Probleme lösen?

Nein. Dazu ist es zu spät. Diese Ideen hätte man vor zehn oder 15 Jahren anbieten müssen. Inzwischen haben der Strukturwandel und die Deindustrialisierung längst stattgefunden. Daraus resultieren die hohen Arbeitslosenzahlen. Steuererleichterungen sind nur sinnvoll für Gesamtdeutschland.

Ökonomen plädieren für Wettbewerbsföderalismus über niedrigere Steuersätze.

Davon halte ich sehr viel. Ich kann mir wie in der Schweiz eine Bundessteuer für die Bedürfnisse des Bundes und mehr länderspezifische Steuern gut vorstellen.

Sind niedrige und subventionierte Löhne und längere Arbeitszeiten ein Wettbewerbsvorteil für ostdeutsche Betriebe?

Auf alle Fälle. Nehmen Sie die 35-Stunden-Woche. Wenn überall in Deutschland 40 statt 35 Stunden in der Woche gearbeitet wird, macht das jährlich 250 Stunden zusätzlich. Im Vergleich zur normalen Arbeitszeit von 1.500 Stunden im Jahr erreichen wir ein Mehr an Leistung und eine Kostenersparnis von rund 15 Prozent.

Nur bei niedrigeren Stundenlöhnen.

Das ist richtig. Wir bekämen so eine nachhaltige Stärkung des Wettbewerbs auch gegenüber den EU-Beitrittsländern.

Also ein Niedriglohnland Ost?

Die pauschale Aussage, im Osten sind die Löhne viel niedriger, gilt so nicht mehr. Wenn wir unsere Jenoptik-Betriebe betrachten, sind die Löhne in Jena am niedrigsten und in Villingen-Schwenningen am höchsten. Aber an den Standorten Jena und Düsseldorf werden in etwa gleiche Löhne gezahlt. Wenn Sie dann noch die Lebenshaltungskosten daneben stellen, ist Jena ein sehr attraktiver Standort.

Der Berliner Ost-Beauftragte Manfred Stolpe (SPD) setzt auf die Anziehungskraft von Förderschwerpunkten. Bedeutet das die Entvölkerung ganzer Landstriche?

Ich will das nicht ausschließen. Es wird Regionen geben, die weiter Bevölkerung verlieren werden, und andere, die prosperieren. Ich glaube, dass die angestrebten gleichen Lebensverhältnisse...

... die im Grundgesetz garantiert sind ...

... sich flächendeckend nicht realisieren lassen. Nehmen Sie das südliche Sachsen-Anhalt und Nordthüringen. Solange dort die Autobahn Halle-Göttingen nicht durchgebaut ist, wird das eine entvölkerte Region sein. Die Politik sollte vielleicht über eine Änderung des Grundgesetzes nachdenken.

Dürfen wir Regionen verrotten lassen?

Schwierige Frage, aber es macht keinen Sinn, in Regionen Projekte ohne Zukunft zu fördern. Mit ABM ist die Abwanderung junger Leute nicht zu stoppen.

Interview: Klaus Wirtgen print

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