Die Menschen in Deutschland müssen sich grundsätzlich auf eine längere Lebensarbeitszeit und einen geringeren Zuwachs bei der Rente einstellen. Nach Vorlage des Abschlussberichts der Rürup-Kommission ließen führende Politiker am Donnerstag jedoch offen, welche Vorschläge übernommen werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wandte sich gegen "Schnellschüsse" in der Rentenpolitik.
Kommissions-Chef Bert Rürup forderte eine möglichst komplette Umsetzung der Vorschläge des 26 Experten umfassenden Gremiums. Kritik kam von Gewerkschaften und Sozialverbänden, die Arbeitgeber sprachen von einer guten Basis für weitere Reformen.
Schröder sagte im RTL-Fernsehen, man werde den Bericht "seriös auswerten" und danach rasch entscheiden. Notwendig sei ein Gesamtkonzept. Er habe sich noch kein letztes Urteil darüber gebildet, ob eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre nötig sei.
Frühverrentung stoppen
Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) sicherte eine Prüfung zu, ließ aber weiter offen, welche Vorschläge der Kommission zur Reform der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sie übernehmen will. Es könne jedoch nur das an die Rentner weitergegeben werden, was die jüngere Generation erwirtschafte, sagte sie.
Die Empfehlung, das Renteneintrittsalter schrittweise zwischen 2011 und 2035 von 65 auf 67 Jahre anzuheben, ist besonders umstritten. Die Kommission will auch die jährliche Rentenerhöhung durch eine neue Berechnungsart geringer ausfallen lassen.
In der Krankenversicherung konnte sich die Kommission in neun Monaten Arbeit nicht auf ein Modell für die künftige Finanzierung einigen. Zur Wahl stellt sie eine Bürgerversicherung, bei der alle Berufsgruppen und alle Einkunftsarten herangezogen werden, und alternativ eine vom Einkommen unabhängige Kopfpauschale.
Bei der Diskussion um das Rentenalter rief Schmidt zu mehr Gelassenheit auf. Man dürfe den Menschen, die heute 55 Jahre alt sind, keine Angst machen. Es gehe nicht darum, das Rentenalter in den nächsten Jahren anzuheben, sondern um eine Perspektive von mehr als 30 Jahren. Grundsätzlich stimme sie aber mit der Kommission überein, dass die Frühverrentung gestoppt werden müsse.
Der Bericht ist keine Bibel
Die Ministerin deutete angesichts der schlechten Wirtschaftslage an, dass es bei der Rentenanpassung Einschnitte geben werde. Wenn die jüngeren Generationen Abstriche machen müssten, werde dies auch Folgen für die Rentner haben, sagte sie auf die Frage, ob Rentner mit einer Nullrunde rechnen müssten. Am Ziel, den Rentenbeitragssatz von 19,5 Prozent auch für das Jahr 2004 stabil zu halten, halte sie fest.
Rürup argumentierte, ein höheres Rentenalter und ein Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenanpassung würden den Anstieg der Beiträge dämpfen, dennoch würden die Renten auch künftig steigen. Mit Blick auf Äußerungen von Schröder, der Bericht sei keine Bibel, sagte er: "Wir wollten eigentlich keine Bibel schreiben, sondern ein Handbuch für Sozialreformen."
DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer, die der Kommission angehörte, warf der Mehrheit des Gremiums vor, teils an Menschen vorbei gearbeitet zu haben. Reformen seien «mehr als versicherungsmathematische Modellrechnungen» und müssten die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen berücksichtigen. "Genau das hat die Rürup-Kommission nicht ausreichend getan", sagte sie bei Vorlage eines Minderheitenvotums.
Erhebliche Kritik von den Sozialverbänden und Gewerkschaften
Die Reformvorschläge der Kommission stießen bei Sozialverbänden und Gewerkschaften auf erhebliche Kritik. Die Wirtschaft begrüßte die Vorschläge dagegen. Die CDU wollte einer Neufassung des Rentensystems ohne deutliche zusätzliche Berücksichtigung von Erziehungszeiten nicht zustimmen. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer forderte, die Anreize zur Frühverrentung müssten umgehend beseitigt werden. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre lehnte er ab.
Grünen-Fraktionschefin Krista Sager nannte den Bericht eine "sehr, sehr gute Grundlage" für anstehende Entscheidungen. Die FDP begrüßte die "ungeschminkte Wahrheit" über die demographische Entwicklung.