VG-Wort Pixel

Rettungsplan für Schuldenkrise Das müssen sich die Griechen sparen

Jüngst kostete Benzin in Griechenland ein Euro pro Liter, jetzt liegt der Preis bei 1,70. Der Sparkurs nimmt die Griechen hart in die Pflicht - und erreicht oft das Gegenteil von dem, was gewollt ist.
Von Niels Kruse

Der Begriff Rosskur, so die landläufige Interpretation, geht auf das rabiate Zähneziehen bei Pferden zurück. Die Rosskur, die den Griechen jetzt bevorsteht, ist für das Land alternativlos. Welche seiner faulen Zähne dem europäischen Problemstaat allerdings gezogen werden sollen, darüber tobt ein heftiger Streit. Ist es der Backenzahn der korrupten Politiker? Der Schneidezahn der Steuerhinterzieher? Der Eckzahn des aufgeblähten Verwaltungsapparates? Oder der Frontzahnder enormen Verschuldung? Am Ende, so befürchten Pessimisten, steht das Ross Griechenland gänzlich ohne Gebiss da und verhungert mangels Kauwerkzeug.

Sicher ist: Wenn die EU kein Geld nachschießt, wird Griechenland im Juli vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Die nächste Tranche der bereits zugesagten Notkredite in Höhe von insgesamt 110 Milliarden Euro wird von Internationalem Währungsfonds und Europäischer Union nur dann ausgezahlt, wenn das Land weiter spart. Die Regierung plant deswegen bis 2015 Kürzungen in Höhe von 28,4 Milliarden Euro, wovon im laufenden Jahr bereits 6,4 Milliarden Euro verwirklicht werden sollen. Dazu sollen Staatsunternehmen im großen Stil privatisiert werden, was zusätzliche 50 Milliarden Euro einbringen soll.

Löhne gingen um bis zu 25 Prozent herunter

Um an die dringend benötigten Gelder zu kommen, sollen die Steuern weiter erhöht, die Beamtengehälter weiter gekürzt und Sozialleistungen weiter abgebaut werden. Doch die Griechen wollen nicht weiter sparen. Bereits die erste Konsolidierungswelle, die dem Land verordnet wurde, hat die Menschen hart getroffen: Die Löhne, vor allem die im öffentlichen Dienst, wurden um 20 bis 25 Prozent gekürzt. Innerhalb von einem halben Jahr stieg die Mehrwertsteuer für eine lange Reihe von Produkten von 19 auf 23 Prozent an. Besonders schmerzlich spüren die Menschen das etwa beim Benzin. War Griechenland vor zwei Jahren noch mit Spritpreisen von rund ein Euro pro Liter ein Traum für jeden Autofahrer, kostet die gleiche Menge mittlerweile 1,70 Euro - trotz sinkendem Ölpreis.

Nicht nur für die arbeitende Bevölkerung wird das gesamte Leben zunehmend unbezahlbar. Vor allem Rentner spüren die aber drakonischen Sparmaßnahmen, zumal dem Gesundheitswesen dieses Jahr rund 2,1 Milliarden Euro weniger zur Verfügung stehen werden. "Nehmen wir das Beispiel meiner ehemaligen Kinderfrau", sagte eine Athener Ärztin jüngst stern.de, "die ist jetzt fast 80 und krebskrank. Nicht nur, dass ihr die Regierung die mickrige Rente gekürzt hat, die alte Frau muss jetzt auch noch ihre Medikamente selber zahlen. Das geht doch überhaupt nicht."

Besser auf Aufträge verzichten als Mehrwertsteuer zahlen

Einer der vielen Gründe für die griechische Misere ist der Umstand, dass zum Beispiel Handwerker regelmäßig schwarz arbeiten und dem Staat dadurch sehr viel Geld verloren geht. Nach Einschätzung des Arbeitsministeriums zahlt ein Viertel der Wirtschaft keine Steuern. Weil die Löhne nun sinken und die Steuern in die Höhe schnellen, sind noch weniger Dienstleister bereit, ihre Einkünfte offiziell anzugeben. "Neulich brauchten wir einen Kammerjäger, doch der hat sich geweigert auf Rechnung zu arbeiten. Der ließ lieber den Auftrag sausen, als Mehrwertsteuer abzuführen", sagt eine deutsche Haushälterin, die auf der Insel Paros mehrere Ferienhäuser betreut. Die ungewollte Folge des Regierungskurses: Statt mehr einzunehmen, verliert der klamme Staat noch mehr Geld.

"In der Vergangenheit stand die Ausgabenfreude der griechischen Regierungen in keinem Verhältnis zur Zahlungsbereitschaft der griechischen Bevölkerung", sagt Stefan Schilbe, Chefvolkswirt der Großbank HSBC stern.de. "Dieses Fehlverhalten auszumerzen wird ein schmerzlicher Kampf werden." Wie schmerzhaft, bekommen alle Griechen derzeit besonders zu spüren. Um drei Prozent wird die griechische Wirtschaft Prognosen zufolge in diesem Jahr schrumpfen. Nach minus vier Prozent 2010. Rasant dagegen steigt die Arbeitslosigkeit: Zuletzt lag sie bei rund 16 Prozent - der höchste Wert seit Anfang der 1980er-Jahre. Im Zentrum von Athen ist die Talfahrt am sichtbarsten: Nahezu jedes dritte Geschäft ist dort mittlerweile geschlossen.

Die regelmäßig in Gewaltorgien ausartenden Proteste in der Stadtmitte tun ihr übriges: Seitdem die EU vor mehr als einen Jahr dem Land einen noch härteren Sparkurs verordnet hat, sind die Griechen vereint in ihrer Abneigung gegen die sozialistische Pasok-Regierung. Konservative, Linke und Rechte demonstrieren regelmäßig gegen den ihrer Ansicht nach unverhältnismäßigen Sparkurs, der dem Land die Luft zum Atmen nehme. Ministerpräsident Giorgos Papandreou war unter dem Druck der Straße zwar bereit, die größte Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) in die Regierung zu holen. Doch die lehnte dankend ab.

Stimmt die Opposition für das Sparpaket?

Stattdessen wird sich Papandreou nun einem Vertrauensvotum im Parlament unterziehen, Ausgang offen. Obwohl die ND den Sparkurs attackiert und anstelle von Steuererhöhungen für Steuersenkungen plädiert, gibt es Beobachter, die es für möglich halten, dass die Parlamentarier dem neuen Sparpaket trotzdem zustimmen. Thomas Grüner von der Landesbank Berlin etwa sagt: "Schließlich kann auch der Opposition in Griechenland nicht daran gelegen sein, das Land in die Zahlungsunfähigkeit zu schicken."

Es gibt kaum einen Experten, der noch daran zweifelt, dass Griechenland dieses Schicksal ohne weitere Sparanstrengungen erspart bleiben wird. Und das wird wohl nur der Anfang sein. Die Rettungspakete von EU und Internationalem Währungsfonds seien letztlich nicht viel anderes, als der Versuch Zeit zu gewinnen, um die strukturelle Krise in den Griff zu kriegen, sagt HSBC-Banker Schilbe. Wie elendig lange diese Rosskur dauern wird, zeigt das Beispiel Deutschland: "Die Früchte des Aufschwungs, den wir jetzt spüren, ist das Resultat von Änderungen, die schon Mitte der 90er Jahre begannen", so Schilbe.

Mehr zum Thema

Newsticker