"Deutschland verfügt über eines der innovativsten und modernsten Mauterhebungssysteme der Welt." Diese vor Weihnachten von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) verteilten Vorschusslorbeeren muss der Betreiber Toll Collect nun rechtfertigen. In wenigen Tagen - an Neujahr um 22.00 Uhr nach Ende des üblichen Sonntagsfahrverbots für Lastwagen - geht nach spektakulärem Vorlauf Teil II des vor einem Jahr gestarteten Lkw-Mautsystems an den Start.
Von außen zeigen sich kaum Unterschiede. Aus der Nähe betrachtet handelt es sich jedoch um den eigentlichen Spitzentechnologie-Teil, den die hinter Toll Collect stehenden deutschen Renommier-Konzerne Telekom und DaimlerChrysler dem Bund eigentlich schulden. Damit erfüllt das Konsortium nach zweimaligem Startaufschub in der zweiten Hälfte 2003 seine volle vertragliche Verpflichtung erst nach 28 Monaten - und nicht bereits nach 16 Monaten. Das 2005 praktizierte System der automatischen Einbuchung mit Hilfe von Satellitentechnik und Mobilfunk über Lkw-Bordgeräte (OBUs - On Board Units) war erst die Vorstufe. Nur anfangs eingegebenen Daten wie die Mauthöhe oder gebührenpflichtige Streckenabschnitte konnten von den OBUs I für die Abrechnungen verarbeitet werden - aktuelle Änderungen dagegen nicht.
Zweite Stufe sorgt für mehr Flexibilität
Erst die durch ein Update zur OBU II aufgewerteten Bordgeräte erhalten nun die Flexibilität, die den bisher noch mit Startverlusten operierenden Firmen einst weltweit große Gewinne einfahren sollen. Durch den Vorsprung im Umgang mit der Maut-Satellitentechnik erhofft sich Toll-Collect-Manager Christoph Bellmer große Exporterfolge. Die Interessenten - darunter Amerikaner, Chinesen und Briten - stünden Schlange. Bellmer weiß, dass nur mit der Satellitentechnik ganze Verkehrslenkungssysteme geboten werden können.
In Deutschland bleibt es zunächst bei dem bisherigen nach Kilometer und Schadstoffausstoß der Lkw gestaffelten Mauttarif mit einem Durchschnittssatz von 12,4 Cent je Kilometer. Erst im weiteren Jahresverlauf will der Verkehrsminister weitere Differenzierungen ermöglichen, die Mautabgaben an den Bund in der Summe aber nicht über die für 2006 eingeplanten 2,9 Milliarden erhöhen. Das erweiterte Mautsystem soll Verkehrsströme lenken und die Umwelt schützen helfen. Als erstes will Tiefensee auf Vorschlag einiger Länder nur etwa acht bis höchstens 12 Nebenstrecken gebührenpflichtig machen, um dort die Bewohner vor dem Ansturm von Mautflüchtlingen künftig zu bewahren. Das soll möglichst Mitte 2006 über die Bühne gehen. Eine weitere Mautstaffelung nach Abgasen im Interesse des Umweltschutzes und nach Tageszeiten zur Entlastung von Verkehrsknotenpunkten sollen folgen.
Maut verkörpert Verkehrs- und Finanzpolitik
Die Maut ist jedoch nicht nur Technik, sondern verkörpert in hohem Maße auch Verkehrs- und Finanzpolitik. Zwar sind die bis ins Frühjahr 2004 reichenden Fehlkalkulationen scheinbar überwunden, das Thema erhitzt die Gemüter aber weiterhin. Vor Ort - da wo die Brummis den Anwohnern mautbedingt noch immer fast über die Füße fahren - sieht man in der zurückhaltenden Bemautung von Nebenstrecken ein Nachgeben gegenüber örtlichen Wirtschaftsinteressen. Daneben kämpfen Bahnlobby und Umweltschützer für eine Lkw-Maut für 3,5-Tonner, die Tiefensee in Brüssel zu Gunsten des regionalen Gewerbes abwenden konnte.
Zudem geht es um die Mittelverwendung: Von 2,85 Milliarden Maut des Jahres 2005 fließen laut Minister 2,4 Milliarden Euro in die Verkehrsinvestitionen: 1,2 Milliarden für Straßen, 900 Millionen für Schiene- und 300 Millionen für Wasserwege. So bleiben 450 Millionen für den Betreiber. Bahn- und Straßenlobby streiten um diese Beträge. Auch weiß Tiefensee, dass er dieses Geld zunächst außerhalb des Etats durch Autonomie der Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungsgesellschaft (VIFG) gegen den Zugriff der Haushaltspolitiker absichern muss. Zudem will er private Betreibermodelle beim Straßenbau vorantreiben, deren Anspruch an die Mauteinnahmen wachsen. In den Sternen stehen die 5,1 Milliarden aus der anfänglichen Pannenphase von Toll Collect, um die das Ressort vor einem Schiedsgericht streitet. Und was, wenn die OBU II doch versagen sollte? Dann hat der Bund neue Haftungsansprüche an die Industriepartner - und der Streit begänne von vorn.