Schnauze Wessi! "Verkorkste Wiedervereinigung"

  • von Holger Witzel
Bezeichnenderweise ist es seit 20 Jahren der unwichtigste Job der Regierung. Was macht eigentlich ... der westdeutsche Ost-Beauftragte der Bundesregierung?

Gibt es (außer mir hier) eigentlich auch noch bei der Bundesregierung den so genannten "Beauftragten für die neuen Länder"? Dieses seltsame Amt, das zuletzt der ehemalige Olympiasieger Wolfgang Tiefensee und vor ihm noch ehemaligere Politiker inne hatten, deren Namen man gleich nach Amtsantritt wieder vergessen konnte? Nein? Doch? Vielleicht? Egal?

Mir ging es auch so, aber ich habe mal gegoogelt: Er heißt jetzt Thomas de Maizière, stammt aus Bonn und ist außerdem Bundesinnenminister. Wenigstens war man bei der Regierungsbildung vor etwa einem Jahr feinfühlig genug, mit Tiefensees Nachfolger im Verkehrsministerium nicht den größten Bock zum Gärtner der verblühten Landschaften zu machen. Hat die Nicht-Berufung Peter Ramsauer beleidigt, und hat er deshalb gleich als erstes eine gerechtere Aufteilung der Infrastrukturmittel zugunsten des Westens forderte? Wohl kaum, denn dieser Job gilt so oder so als Arschkarte, die niemand will und keiner braucht.

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Das Amt war immer nur ein halbherziges Symbol. Etwas für Sonntagsreden, geschönte Bilanzen und wie seine Vorgängerinstitution - das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen - ein Beleg für den typisch westdeutschen Denkfehler, wonach sich immer alles mit Geld regeln lässt. Das alte Ministerium war vor allem für den innerdeutschen Menschenhandel zuständig, kaufte der Diktatur tausende politische Gefangene ab und musste doch gleichzeitig - in den Phasen der so genannten Entspannung - stets um seine Existenz bangen. Aus Scheu vor Ost-Berlin hieß es schon seit 1969 nicht mehr "Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen". Und so spielte es auch auf dem Weg zur so genannten Einheit Deutschlands keine große Rolle, außer vielleicht in der Paranoia einiger Stasi-Agenten, die fürchteten, es lägen dort womöglich Pläne für den Fall der Fälle im Tresor.

Sie irrten alle, hier wie da. Zwar war die "innerdeutsche Frage" im Westen immer so etwas wie ein geflügeltes Wort, aber als sie die Ostdeutschen aus eigener Kraft stellten, hatte auch dort niemand eine Antwort. Die Einheit wurde Chefsache und wie so oft bei Chefsachen, na ja … ("Zensur findet" natürlich "nicht statt", aber bevor meine Chefs das raus streichen. Egal.)

Zwei Jahre dümpelte das zuständige Ministerium noch vor sich hin. Erst als die innerdeutschen Beziehungen 1991 ihren Tiefpunkt erreicht hatten, löste man es auf. Ein Ost-Beauftragter sollte nun reichen, so wie es bei der Bundesregierung auch Missbrauchs- oder Behindertenbeauftragte gibt. Später schlug man den Posten gleich ganz dem Verkehrsministerium zu und im Herbst 2009 wanderte er samt Arbeitsstab "Angelegenheiten der neuen Bundesländer" beinahe geräuschlos ins Innenministerium. Angesichts der ganzen Extremisten in Potsdam und Dresden, das wäre eine nahe liegende Begründung gewesen, gehört es da vielleicht sogar hin. In Wahrheit aber gab es im neuen Kabinett einfach keine glaubwürdige Ost-Biografie mehr.

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Einer musste es machen, und weil Thomas de Maizière - neben einigen flüchtigen Karrierestationen in Mecklenburg und Sachsen - wenigstens Verwandtschaft da hat, schluckte er auch diese Kröte. Angeblich soll er seinen Cousin Lothar de Maizière, den letzten Regierungschef der DDR, seinerzeit sogar auf eine eifrige Pressereferentin namens Angela Merkel aufmerksam gemacht haben. Die Kanzlerin hat ihrem heutigen Innenminister also einiges zu verdanken. Aber so sind sie, die Ostler, undankbar und gnadenlos: Drückt sie ihm neben unzufriedenen Terroristen und nörgelnden Hooligans auch noch den unseligen Job des Babysitters für ihre Landsleute auf. Seitdem hört man kaum noch ein lobendes "Dutzi-Dutzi" oder irgendwas von Chefsache. Dabei gäbe so viele wichtige Themen:

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Da tritt ein Westberliner Kampfsportler den ostdeutschen Kapitän der Nationalmannschaft bei der WM dermaßen in die Knochen, dass die wieder nur Dritte werden und als Motiv nur ethnische Konflikte in Frage kommen, wenn nicht ein Geheimauftrag des badischen Kuschel-Pullovers, weil der Kapitän nie mit ihm duscht. Aber der Ost-Beauftragte, außerdem zuständig für den Sport, sagt dazu: Nichts.

Da baut Stefan Raab seine Karriere über Jahre mit ostdeutschen Talenten wie seinem Maschendraht-Star Regina Z. auf, aber ein unbekanntes Mädchen aus Hannover erntet die Früchte. Die einen führt man vor, die anderen zum Grand Prix. Und der Ostbeauftragte schweigt.

Da kämpfen und sterben fast nur Ostdeutsche für den deutschen Außenhandel in Afghanistan (die höheren Dienstgrade westdeutscher Herkunft kämpfen und sterben ja in der Regel nicht) - und wer sagt endlich mal die Wahrheit über die wahren Motive des Feldzuges? Nicht etwa der Ostbeauftragte, sondern ein mutiger Bundespräsident.

Da ist ständig Hochwasser in Ostdeutschland und wer steht nicht auf dem Deich? Ist es überhaupt Zufall, dass ständig nur Oder, Elbe oder Elster überlaufen und das Wetter hier grundsätzlich schlechter ist? Achten Sie mal auf die Wetterkarte! Die alten Umrisse der zwei deutschen Staaten in den Grenzen von 1989 erkennt man immer noch jeden Abend an den Symbolen: Links Sonne, rechts Wolken. Bin ich der Einzige, dem solche Dinge noch auffallen? Was macht dieser de Maizière eigentlich den ganzen Tag? Ist es ihm etwa peinlich, als Westdeutscher den Fachmann für den Osten zu geben? Wäre ja mal ganz was Neues. Vielleicht schämt er sich ja, dass er seinerzeit mit am Verhandlungstisch saß - angeblich auf ostdeutscher Seite. Fast klingt es so, wenn er heute von einer "politischen Sturzgeburt" spricht.

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Die Phrase von der "Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West", schrieb der Spiegel in paar Wochen vor dem 20. Einheits-Jubiläum, sei dem Ost-Beauftragten "ein Gräuel". Das müsste sich mal ein Gleichstellungsbeauftragter an anderer Stelle trauen! Im Grunde hat sich de Maizière damit als erster Politiker offen von der so genannten inneren Einheit verabschiedet und auch noch eingeräumt, "dass die Hauptschuld für die wirtschaftlich verkorkste Wiedervereinigung" nicht im Osten, sondern in der "paternalistischen Grundhaltung des Westens" bestand - so "nach dem Motto: Wir wissen, was für unsere Schwestern und Brüder das Richtige ist - in Wahrheit wussten wir es aber nicht".

Alten Reflexen folgend wollte ich sofort einen Leserbrief schreiben, so nach dem Motto: Typisch, immer erst alles besser wissen und dann... Aber dann las ich den Artikel noch mal und dachte: Ist doch allerhand Selbstkritik für einen Westdeutschen. Schade, dass so was in einem Blatt wie dem Spiegel praktisch niemand mitkriegt. "Verkorkste Wiedervereinigung; Hauptschuld im Westen" - das wären doch auch mal Stichworte für eine Jubiläumsrede gewesen. "Auch Sachsen gehört zu Deutschland" hätte Wulff dann zum Beispiel sagen können oder Seehofer anstelle von "Multi-Kulti" die "Deutesche Einheit" als "gescheitert" erklären. Von wegen "Wunder" (Merkel) oder "Erfolgsgeschichte" (de Maizière)! Statt "Schnauze" deshalb heute an diese Stelle ausnahmsweise mal das Gegenteil: Bitte, lieber westdeutscher Ostbeauftragter, sag das noch mal! "Verkorkste Wiedervereinigung". Lauter! "Hauptschuld im Westen". Und noch mal alle!