US-KONJUNKTUR Das Prinzip Gießkanne

Bushs Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik alarmiert Amerikas Konservative: Ausgerechnet ihr Präsident plant, die US-Wirtschaft mit staatlichen Mitteln anzukurbeln.

Staatliche Rettungsanker für siechende Industrien, öffentliche Ausgabenprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft - noch vor gut drei Wochen wäre in Washington jeder, der solche Vorschläge gewagt hätte, mit Schimpf und Schande aus den Regierungszirkeln verjagt worden. Aber seit den Terroranschlägen vom 11. September ist alles anders. Massenentlassungen, Kursstürze und ein massiver Einbruch der Verbraucherzuversicht haben das Wirtschaftsteam um Präsident George W. Bush zu einer Kehrtwende getrieben. »Hier ist eine starke und aktive Rolle der Regierung nötig«, sagt Bush, der angetreten war, den Staat zurückzudrängen und die Wirtschaft den Marktkräften zu überlassen.

Langfristiger Schaden, sinnloser Versuch?

Die Konservativen sind alarmiert. »Krisen wie diese bringen viele Dummheiten hervor«, sagte William Niskanen, Präsident des Cato-Instituts in Washington, in einem Interview. »Ich dachte, wir wären darüber hinaus, Geld rauszuschmeißen, sobald ein Problem auftaucht«, meinte der Präsident der konservativen Heritage-Stiftung, Ed Feulner. »Meine große Sorge ist, dass wir mit dem sinnlosen Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln, langfristigen Schaden und ein Defizit anrichten«, sagte William Gale vom Brookings-Institut. »Der Präsident wird nicht an irgendeinem Dogma festhalten. Nicht in Zeiten wie diesen«, wies Bush-Sprecher Ari Fleischer Kritik zurück.

Neuverschuldung ist programmiert

Die Aussicht auf den fünften Haushaltsüberschuss in Folge ist längst hin. Mit dem Konjunkturpaket im Umfang von bis zu 75 Milliarden Dollar, das Bush am Mittwoch ankündigte, ist die Neuverschuldung programmiert. Das nimmt Bush in Kauf. »Ich habe immer gesagt: ein Defizit ist nur in einer nationalen Notsituation, in einer Rezession oder im Krieg gerechtfertigt. Wir sind jetzt in einer solchen Situation.«

Schon wenige Tage nach den Terroranschlägen hatte Bush die Staatsschatullen geöffnet: 40 Milliarden Dollar Soforthilfe für den Wiederaufbau und den Anti-Terrorkampf, 15 Milliarden Dollar an Direkthilfen und Kreditgarantien für die Luftfahrtindustrie.

Das Prinzip Gießkanne

Das neue Konjunkturpaket könnte nach dem Prinzip Gießkanne verteilt werden: Steuersenkungen für Verbraucher und Unternehmen, längere Unterstützung von Arbeitslosen, Beihilfen zur Krankenversicherung - die Liste der Vorschläge ist lang. In Washington rennen Lobbyisten den Abgeordneten und Regierungsberatern die Türen ein. Mietautofirmen, Restaurantketten, Hightech-Unternehmen und Finanzinstitute haben Blut gerochen. Baufirmen und der Asphaltverband buhlen um Aufträge.

Doch bei aller patriotischer Gesinnung, die bislang jeden Widerspruch gegen Bush unterdrückte, werden in Kongress langsam kritische Stimmen laut. Sie warnen vor blindem Aktionismus. »Selbst Freunde der Regierung sind sehr besorgt, dass wir am Ende ein Riesenpaket haben, dass nichts zur Ankurbelung der Wirtschaft beiträgt«, meinte der konservative Senator Fred Thompson. »Also ehrlich: Viel Tribut und wenig Stimulus«, so sein Kollege Phil Gramm.

Doch die jüngsten Wirtschaftsdaten haben die schlimmsten Befürchtungen der Regierung über die Konsequenzen der verheerenden Anschläge übertroffen. Die Fluggesellschaften kündigten mehr als 100.000 Entlassungen an. Bei leeren Hotels und Restaurants ist die nächste Entlassungswelle nur eine Frage der Zeit. Kursstürze haben der Wall Street in einer Woche einen Verlust von 1,4 Billionen Dollar beschert. Die Zuversicht der Verbraucher sank auf den niedrigsten Stand seit mehr als fünf Jahren. Der Wirtschaftsberater der Regierung, Glenn Hubbard, spricht bereits offen von einer Rezession.

Das ist selbst bei besten Noten für die Landesführung in Krisenzeiten ein Wählerstimmenkiller. Die Erfahrung hat schon Bush senior gemacht. Nach dem Ende des Golfkriegs 1991 saß George W.?s Vater George Bush so fest im Präsidentensattel wie selten jemand vor ihm. Gut ein Jahr und eine Rezession später wählten die Amerikaner ihn ab.

Christiane Oelrich