Herr Hofmann, Sie haben mit Geiselnehmern und Erpressern verhandelt - teilweise um Leben und Tod. Warum lohnt es sich auch für einen normalen Menschen, professionelle Verhandlungstaktiken zu lernen?
Weil jeder täglich in Verhandlungssituationen kommt, im Schnitt 10 bis 15 Mal pro Tag. Sei es zu Hause in der Familie, im beruflichen Umfeld oder beim Einkaufen. Die meisten verhandeln dabei aus dem Bauch heraus und das ist nicht immer professionell und strukturiert. Genauso wie jeder irgendwie einen Ball kicken kann, ohne das Niveau eines Fußballprofis zu erreichen. Richtig gut wird man nur mit professionellem Training.
Ist die Kunst des Verhandelns in Deutschland verkümmert?
In anderen Kulturen ist Verhandeln deutlich ausgeprägter, weil das Handelskulturen waren. Wir Deutschen haben unsere Konflikte in der Geschichte leider häufig etwas anders gelöst. In der Schule spielt Verhandeln bei uns gar keine Rolle und auch in Ausbildung und Studium meist nur eine sehr kleine. Wer kein Konzept für Verhandlungen hat, agiert unsicher und macht vieles falsch.

Eine Ihrer ersten Lektionen lautet, dass Argumente einen beim Verhandeln oft gar nicht weiterbringen. Warum ist das so?
Bei einer Gerichtsverhandlung spielen Argumente eine große Rolle, weil sich die Parteien nicht gegenseitig überzeugen müssen, sondern einen Dritten, den Richter. Aber wenn sich zwei Parteien untereinander einigen müssen, hört man das Argument des Gegenübers meist nur bis zur Hälfte - und überlegt dann schon, was man darauf erwidert. Dabei wäre es viel wichtiger genau zuzuhören, um zu verstehen, welche Motive und Interessen hinter dem Argument eigentlich stecken.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ein Beispiel aus der Familie: Ich stehe mit meinem Patenkind im Supermarkt am Band bei der Quengelware. Hinter mir mehrere Einkaufswagen. Er sagt, er möchte gerne ein Überraschungsei haben. Jetzt kann ich mit ihm argumentieren: "Da ist zu viel Zucker drin und zu Hause gibt es gleich Spinat mit Kartoffeln, das ist viel gesünder." Das ist zwar alles richtig, wird den Kleinen aber herzlich wenig interessieren. Und so ähnlich ist das auch bei Erwachsenen: Die hauen sich Argumente um die Ohren, die der andere gar nicht hört, weil sie nicht zu seinen Relevanzkriterien passen.
Wie haben Sie die Quengelsituation im Supermarkt gelöst?
Ich habe das Kind in ein Gespräch verwickelt, warum es das Überraschungsei überhaupt haben will. Damit habe ich zum einen die Zeit überbrückt, mir die Drucksituation an der Kasse genommen und mich außerdem zum eigentlichen Interesse des Kindes vorgearbeitet. Es stellte sich heraus, dass mein Patenkind nur die Spielfigur haben wollte und gar nicht die Schokolade. Wir konnten uns dann darauf einigen, dass er eine Spielfigur bekommt - aber erst nach dem Essen.
Was können wir vom Verhandeln mit Kindern lernen?
Kinder sind extrem gute Verhandler. Zum einen sind sie gnadenlos beim Einsetzen von emotionalen Taktiken, zum anderen beobachten sie sehr genau und können dadurch leicht Muster erkennen. Wenn ein Kind feststellt, bei Papa oder Mama funktioniert irgendetwas besonders gut, wird es das immer wieder machen. Wenn ich bei dem Überraschungsei nachgebe, weiß der Kleine, dass er mich mit dieser Drucksituation an der Einkaufskasse manipulieren kann.
Wie kann ich mir das vorstellen, wenn Sie als Verhandlungsprofi einen Gebrauchtwagen kaufen wollen. Stundenlange Psychospielchen, bis der Autohändler nur noch die Hälfte verlangt?
Man braucht nicht unbedingt Psychospielchen. Ich würde mich vor allem gut vorbereiten. Ich muss mir überlegen, was mein optimaler Preis ist und was ich maximal noch bezahlen würde. Außerdem, welche weiteren Forderungen ich aufstellen könnte: kostenlose Inspektionen, Winterreifen, sonstige Extras. Diese Forderungen kann ich mir dann abverhandeln lassen und dafür den Preis halten, den ich mir vorstelle. Oder ich zahle mehr, bekomme dafür aber auch ein größeres Paket. Nur über den Preis zu reden, ist nicht Verhandeln, sondern Feilschen.
Wenn ich morgen zu meiner Chefin gehe und mehr Gehalt fordern will - was wäre da Ihr goldener Tipp?
Ein Kardinalsfehler ist, dass man darüber spricht, was man im letzten Jahr alles Tolles gemacht hat. Fürs letzte Jahr sind Sie aber schon bezahlt worden. Wichtiger ist die Frage: Was will der Chef im nächsten Jahr erreichen? Wie kann ich ihm dabei helfen, dass er das erreicht? Dann hört er mir zu und überlegt vielleicht, was er tun kann, um mich als Mitarbeiter nicht zu verlieren. Und natürlich sollte man auch selbst Überzeugung ausstrahlen.
Muss man mit unterschiedlichen Cheftypen unterschiedlich verhandeln?
Ja, ich kann den gleichen Inhalt auf verschiedene Weise rüberbringen. Wenn der Chef eher detailorientiert ist, muss ich sehr genau erläutern, wie ich ihn unterstützen kann. Wenn ich einen sehr selbstbezogenen Chef habe, muss ich ihm vor allem darstellen, wie meine Arbeit ihn persönlich besser dastehen lässt.
Können professionelle Verhandlungstaktiken auch Paaren helfen, Streit zu vermeiden?
Auf jeden Fall. Wir neigen auch in der Partnerschaft dazu, den anderen mit eigenen Argumenten zuzukleistern, aber zu wenig hinter die Motivlagen zu gucken: Warum will der andere lieber in die Berge in Urlaub fahren statt ans Meer - oder einen Spieleabend mit Freunden machen statt ins Kino zu gehen? Wenn ich mich darauf einlasse, zu verstehen, wieso das für den anderen so wichtig ist, finde ich viel mehr Lösungsmöglichkeiten.
Es gibt allerdings nicht nur kooperative Taktiken, sondern auch manipulative. Wie läuft das bei Ihnen zu Hause: Versuchen Sie auch Ihre eigene Frau mit professionellen Taktiken zu manipulieren?
Sie weiß natürlich, was ich beruflich mache. Gerade manipulative Taktiken funktionieren aber häufig nur, wenn der andere sie nicht erkennt. Mein Werkzeugkoffer ist in der Hinsicht sicher nicht klein, aber nach über 18 Ehejahren kennt sie ihn natürlich.