Wirtschaftsstandort Russlands Image bekommt tiefe Kratzer

Das äußerst selektive Vorgehen der Justiz gegen Yukos und dessen politisch ambitionierten Eigentümer Chodorkowski hat Russland weltweit viel Vertrauen gekostet. Die Zwangsversteigerung der Kernsparte hat dies noch verschlimmert.

"Wir denken, dass der Fall Yukos dem Ruf Russlands als Ort für Geschäfte geschadet hat ...", sagte dazu der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher. Er äußere sich generell zum Verhalten der russischen Regierung bei den Steuernachforderungen an Yukos und zum jüngsten Verkauf der Ölsparte Yuganskneftegaz, sagte Boucher vor Journalisten in Washington. Zur Abdeckung eines Teils der Schulden war am Sonntag ungeachtet einer einstweiligen Verfügung eines US-Gerichts Yuganskneftegaz an die zuvor kaum in Erscheinung getretene Finanzgruppe Baikal versteigert worden. "Wir haben nach Lösungen in der Yukos-Frage gesucht, die das Steuerrecht stärken könnten, zugleich aber nicht den Investoren, Gläubigern und Beschäftigten schaden", sagte Boucher. "Wir glauben nicht, dass die Versteigerung ein Schritt in diese Richtung war." Die Versteigerung sei ein großes Problem für die Wirtschaft und Russlands Bemühen, Kapital für die effiziente und profitable Erschließung der Ölfelder anzuziehen.

Schlüsselbranchen wieder unter Staatskontrolle

Yuganskneftegaz fördert rund 60 Prozent des gesamten Yukos-Öls und wurde für rund sieben Milliarden Euro versteigert. Mit dem Erlös will der russische Staat einen Teil seiner Steuernachforderungen an Yukos aus den Jahren 2000 bis 2003 in Höhe von rund 20 Milliarden Euro decken. Die Zwangsversteigerung wird zudem weithin als Teil einer Kampagne der russischen Regierung gesehen, die Kontrolle über Schlüsselbereiche der Wirtschaft wieder zu erlangen, die durch die teils chaotische Privatisierungswelle in den 90er Jahren verloren ging.

Zur Abdeckung eines Teils der Schulden war am Sonntag ungeachtet einer einstweiligen Verfügung eines US-Gerichts die Yukos-Tocher Yuganskneftegaz zwangsweise versteigert worden. Obwohl dies erwartet worden war, brachen die ohnehin stark unter Druck stehenden Aktien von Yukos am Montag noch weiter ein. Die Dollar-Aktien des Unternehmens verloren mehr als 25 Prozent auf 55 Cent. Die Rubel-Papiere sind seit voriger Woche vom Handel ausgesetzt. Der Handel soll zur Wochenmitte wieder aufgenommen werden.

Baikal gilt als staatliche Strohfirma

Bei der Yugansk-Auktion erhielt für 9,4 Milliarden Dollar überraschend die bis dahin kaum in Erscheinung getretene Finanzgruppe Baikal den Zuschlag. Es war zunächst nicht klar, wessen Interessen Baikal vertritt. Der staatlich kontrollierte Gasmonopolist Gazprom, der bis zuletzt als Favorit galt, wies umgehend Vermutungen zurück, hinter der Gruppe zu stecken. Der neue Besitzer müsse umgehend Kapitalinvestitionen bei Yugansk vornehmen, um einen Produktionsrückgang im kommenden Jahr zu vermeiden, forderte Yukos-Chef Steven Theede.

Allerdings löst die Zwangsversteigerung die Probleme des russischen Konzerns keineswegs. Bereits einen Tag nach der Zwangsversteigerung seiner Kernsparte warnte Yukos vor einem Rückgang der Ölförderung. "Man kann ohne Geld kein Unternehmen der Größe von Yukos betreiben. Deshalb sehen wir allmählich Auswirkungen, wir sehen bereits einen Rückgang", stellte Theede vor Journalisten in London fest. Auf Grund hoher Steuernachforderungen der russischen Behörden sind die Konten des Konzerns seit einiger Zeit eingefroren. Bisher sei die Fördermenge des Konzerns bereits "ein paar Prozent" zurückgegangen, sagte Theede und bezifferte die derzeitige Produktion des Konzerns auf rund 1,7 Millionen Barrel. (Ein Barrel entspricht knapp 159 Litern)

Ohne Investitionen sinkt die Ölförderung

Theede warnte, das Unternehmen habe wegen der eingefrorenen Konten nötige Investitionen nicht tätigen können, und dies werde den Rückgang der Fördermengen beschleunigen. Yukos hänge mit den Investitionen für die vergangenen vier Monate um 750 bis 800 Millionen Dollar hinterher. "Unsere Fähigkeiten, Exportgebühren und andere Kosten zu stemmen, die für den Betrieb des Unternehmens wichtig sind, lassen von Tag zu Tag nach."

Seit Monaten treiben Horrormeldungen über Steuernachforderungen in Milliardenhöhe gegen Yukos, Engpässe bei den Lieferungen an China und eine Zerschlagung des Konzerns die Ölpreise in die Höhe. Analysten widersprechen den Beteuerungen der russischen Regierung, wonach der Wirbel um Yukos der Ölproduktion keinen Schaden zufüge. "Unter normalen Bedingungen hätte Yukos viel mehr Öl gefördert", sagt Waleri Nesterow von der Investmentgesellschaft Troika Dialog. "Russland hätte damit einen größeren Beitrag zur Stabilisierung der internationalen Ölpreise geleistet."

Yukos droht mit Schadenersatzklagen

Ganz kampflos will sich Yukos allerdings nicht geschlagen geben: Die Versteigerung von Yuganskneftegaz verstoße gegen die von einem US-Gericht verhängte einstweilige Verfügung gegen die Fortsetzung des Konkursverfahrens, ließ der Konzern am Montag mitteilen. Yukos werde Schadenersatz fordern in Zusammenhang mit einem Schaden in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar, der entstehe, wenn der Aktienverkauf abgeschlossen werde. "Das Unternehmen wird Schadenersatz von jeder dritten Partei fordern, die an dem Verkauf, der Finanzierung des Verkaufs und jeder Transaktion in Zusammenhang mit dem Aktienwert beteiligt ist." Die Regierung in Moskau hatte erklärt, sie sei nicht an US-Recht gebunden.

DPA/Reuters