Im Rechtsstreit um die Auflösung des russischen Erdölkonzerns Yukos vor knapp vier Jahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland weitgehend Recht gegeben. Moskau habe die gesetzlichen Vorgaben nicht für eine "versteckte Enteignung" oder "absichtliche Zerstörung" des Konzerns missbraucht, urteilten die Straßburger Richter am Dienstag. Alle Verfahren der beteiligten Behörden hatten eine legale Grundlage. Die rechtlichen Bestimmungen waren präzise und klar genug, um den Maßstäben der Europäischen Menschenrechtskonvention zu entsprechen. Die russische Regierung begrüßte die Entscheidung.
Die in London ansässigen Yukos-Rechtsvertreter erzielten aber einen Teilerfolg: Das Straßburger Gericht rügte Grundrechtsverletzungen bei den Steuerverfahren gegen Yukos. Zu der Schadenersatzforderung der Yukos-Rechtsvertreter, welche die Rekordsumme von 71 Milliarden Euro verlangt hatten, nahm es zunächst nicht Stellung. Einer Sprecherin zufolge könnte der Gerichtshof über diese Frage innerhalb von sechs Monaten entscheiden.
Die Straßburger Richter rügten vor allem die von den russischen Behörden eingeleiteten Steuerverfahren gegen Yukos für die Jahre 2000 bis 2003, die Berechnung der Strafgelder und die darauf folgenden Vollstreckungsverfahren. Auch habe die Konzernleitung nicht genügend Zeit gehabt, sich auf das Verfahren vorzubereiten. Mit diesem Vorgehen habe Russland die Grundrechte auf einen fairen Prozess und den Schutz des Eigentums verstoßen.
Zufriedenheit auf beiden Seiten, aber Chodorkowski noch immer in Gefängnis
Den zentralen Vorwurf der in London ansässigen Rechtsvertreter der Yukos Oil Company, Russland habe eine "versteckte Verstaatlichung" des Konzerns vorgenommen, wies der Gerichtshof jedoch zurück. Gegen das von einer kleinen Kammer gefällte Urteil können beide Parteien binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann den Fall dann von der Großen Kammer überprüfen lassen, ist dazu aber nicht verpflichtet.
Der Gerichtshof habe die Vorwürfe der Yukos-Anwälte, wonach die Steuerverfahren "politisch motiviert" waren, voll und ganz zurückgewiesen, erklärte das russische Justizministerium. Auch habe er einen "repressiven Charakter" des Vorgehens gegen den früheren Konzern verneint.
Aber auch die Yukos-Rechtsvertreter äußerten sich zufrieden. Der Gerichtshof habe Verletzungen gegen das Recht auf einen fairen Prozess gerügt, betonte eine Sprecherin der Anwälte in London. Es wurde zudem festgestellt, dass die riesigen Steuernachforderungen dem Konzern den "Todesstoß" versetzt hätten. Der in Russland inhaftierte Gründer des Konzerns, Michail Chodorkowski, trat in dem Verfahren nicht persönlich als Beschwerdeführer auf.
Chodorkowski bis 2016 in Haft
Der Ölkonzern war 2004 von einem russischen Gericht wegen Steuerbetruges zur Zahlung von 2,85 Milliarden Euro verurteilt worden. Im Laufe der Jahre kamen fast 20 Milliarden Euro zusammen, die Yukos an Steuern und Zinsen sowie Strafgeldern zahlen musste. Das 1993 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegründete Unternehmen ging an den Forderungen der Steuerbehörden zugrunde und wurde 2006 für zahlungsunfähig erklärt. Im November 2007 wurde Yukos aus dem Handelsregister gestrichen.
Schlagzeilen gemacht hatte die Yukos-Affäre 2003, als die russische Justiz Chodorkowski - einen erbitterten Gegner des damaligen Staatschefs Wladimir Putin - verhaften ließ. Chodorkowski, damals der reichste Mann Russlands, und sein Geschäftspartner Platon Lebedew wurden seitdem in zwei Prozessen wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Geldwäsche verurteilt und müssen bis zum Jahr 2016 in Haft bleiben. Am 31. Mai hatte der Gerichtshof für Menschenrechte Moskau wegen "erniedrigender und menschenunwürdiger" Behandlung Chodorkowskis verurteilt.