Eine Drohung führte letztlich zu einer umstrittenen Entscheidung in Venedig. Im Juli 2021 beriet die UNESCO darüber, ob Venedig auf die sogenannte Rote Liste der Welterbestätten gehört, die Lagunenstadt also als gefährdet eingestuft wird. Übertourismus, Luftverschmutzung und die Umweltfolgen durch monströse Kreuzfahrtschiffe führte die Sonderorganisation der Vereinten Nationen als Gründe an. Dann entschied die italienische Stadt kurzfristig: Kreuzfahrtschiffe ab einer gewissen Größe dürfen die Altstadt rund um den Markusplatz nicht mehr befahren, müssen stattdessen am wenige Kilometer entfernten Industriehafen ankern.
Die Autorin und Journalistin Petra Reski sprach danach im Deutschlandfunk von einer "kosmetischen Lösung" und einer "erfolgreichen Lobbyarbeit der Kreuzfahrtindustrie": "Egal wo sie einfahren, es ist so, dass Kreuzfahrtschiffe in der Lagune sind" – also trotzdem Schaden anrichten. Die UNESCO begnügte sich damit. Heute steht Venedig nicht auf der Liste gefährdeter Weltkulturerbe.
Amsterdam beschränkt als jüngste Stadt den Verkehr von Kreuzfahrtschiffen
Amsterdam folgt dem venezianischen Beispiel und verbannt Kreuzfahrtschiffe aus der Innenstadt, entschied das Stadtparlament vor wenigen Tagen. "Die verschmutzenden Kreuzfahrten passen nicht zu den nachhaltigen Zielen unserer Stadt", sagte die linksliberale Politikerin Ilana Rooderkerk.
Auch die griechische Insel Santorini erlaubt seit 2017 nur noch 8000 Kreuzfahrtpassagiere pro Tag an Land. Die kroatische Hafenstadt Dubrovnik lässt lediglich zwei Schiffe täglich anlegen, mit einer Kapazitätsobergrenze von 5000 Personen. Weitere Städte wie Barcelona oder Marseille denken über weitere Einschränkungen nach, um ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu schützen.
Kreuzfahrtschiffe haben gesundheitliche Folgen für die Bewohner einer Stadt
Das Beispiel Venedig zeigt, dass das funktionieren kann: Seit der Entscheidung der venezianischen Behörden ist die Luftverschmutzung in Venedig deutlich gesunken. Das zeigt eine aktuelle Erhebung von Transport & Environment, einer Nichtregierungsorganisation, die sich mit nachhaltigem Verkehr beschäftigt. Die NGO erhob die Verschmutzung europäischer Städte durch Kreuzfahrtschiffe, mit dem Fokus auf Schwefeloxid (SOx), das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht und zu Reizungen der Schleimhäute und Atemswegsproblemen führen kann.
Venedig, 2019 noch Spitzenreiter der Luftverpestung, konnte im Jahr 2022 seine Luftschadstoffe um 80 Prozent senken und landete auf Platz 41 im Ranking. Neuer Tabellenführer ist Barcelona. Vorne dabei ist auch eine deutsche Hafenstadt: Hamburg landete 2019 noch auf Platz 17, nun belegt die Hansestadt Rang sechs mit einem Schwefeloxid-Anstieg von 71 Prozent.
Sebastian Bock ist Geschäftsführer von T&E-Deutschland. Er sagt dazu in der vorliegenden Studie: "In Hamburg und Kiel hat die Luftverschmutzung besonders stark zugenommen. Die knapp 50 Kreuzfahrtschiffe, die Hamburg jedes Jahr empfängt, stoßen mehr SOx aus, als alle Autos auf Hamburgs Straßen zusammen."
Die Schifffahrt einzuschränken plant die Stadt bisher jedoch nicht. Auf Nachfrage teilt die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft dem stern mit, dass man hier vor allem auf individuelle Vereinbarungen mit Kreuzfahrt-Anbietern setze und das Landstrom-Angebot ausbaue, damit Schiffe im Hafen nicht ihren Motor laufen lassen müssen: "Hamburg unternimmt erhebliche Anstrengungen, das Landstrom-Angebot auszubauen, um Emissionen aller Art deutlich zu reduzieren", sagt eine Pressesprecherin.
Die Landstromanlagen können allerdings nicht alle Schiffe nutzen, und selbst die die es können, nutzen die Anlagen nicht immer. Lediglich ein Drittel der entsprechend ausgerüsteten Kreuzfahrtschiffe hätten ihre Energie während eines Aufenthaltes über die Landstromanlage in Altona bezogen, sagte eine Sprecherin der Hafenverwaltung HPA der "Hamburger Morgenpost". Die Luftverschmutzung bleibt also.
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Schiffe stoßen gefährlichen Feinstaub aus
In den betroffenen Städten gibt es deshalb zahlreiche Bürgerinitiativen und Aktionen gegen die Kreuzfahrtriesen. In Barcelona stürmten radikale Gruppen 2017 einen Tourismusbus, in Marseille blockierten im vergangenen Sommer Umweltschützer das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die "Wonder of the seas". Eine französische Politikerin bezeichnete die Schiffe öffentlich als "Krebsfabrik".
"Luftverschmutzung gilt mittlerweile als größte umweltbezogene Bedrohung für die menschliche Gesundheit", schrieb auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2021 in einer aktualisierten Leitlinie für Luftqualität. Sie reduzierte ihre Empfehlungen für Schadstoffe und Feinstaub enorm. Auf 5 µg/m³ (Mikrogramm pro Kubikmeter) bei kleinen Partikeln (PM2,5), 15 µg/m³ bei etwas größeren Partikeln (PM10) und 10 µg/m³ bei Stickstoffdioxid. Die Leitlinie ist eine Empfehlung, inwiefern sie umgesetzt wird, entscheidet am Ende der Gesetzgeber.
Im vergangenen Jahr begleitete das ZDF Anwohnerinnen und Anwohner in Marseille, die dem Dampf der Riesenschiffe durch die Lage ihres Hauses unmittelbar ausgesetzt sind. Sie laufen gegen die Ozeanriesen Sturm, vor allem aus gesundheitlichen Gründen. Mehrere Nachbarinnen und Nachbarn starben den Angaben zufolge an Krebs.
Chemiker Axel Friedrich, ein ehemaliger Abteilungsleiter beim Umweltbundesamt, besuchte Michèle und Claude Rauzier in ihrem Haus am Marseiller Hügel und maß die Luftverschmutzung bei der Abfahrt eines Kreuzfahrtriesen. Obwohl das Schiff relativ weit weg war, wiesen seine Instrumente besorgniserregende Ergebnisse auf: Er maß bei Stickstoffdioxid einen Wert von 130 µg/m³ – statt den empfohlenen zehn der WHO. Auch die Feinstaub-Partikel waren massiv erhöht. Kritische Werte, so Friedrich: "Am Mittelmeer ist das problematischer, weil die Häfen am Berg liegen. Das heißt, der Wind weht den Dreck in die Städte rein."
Sprechen wirtschaftliche Gründe gegen Einschränkungen?
Städte, die noch keine Beschränkungen für Kreuzfahrtschiffen haben, führen oft wirtschaftliche Gründe an. Doch auch hier sind Kosten-Nutzen je Stadt zu betrachten. 155 Millionen Euro gaben Kreuzfahrtpassagiere und Crews jährlich in Venedig aus, zumindest vor der Verbannung der Kreuzfahrtschiffe aus der Altstadt. Insgesamt brachten Reisende der Stadt einen Umsatz von etwa 4,5 Milliarden Euro vor Corona. Das schreibt der österreichische "Standard". Der Umsatz für 2022 steht noch aus.
Eine Studie der Universität Bergen – die Stadt in Norwegen wird gerne von Fjordtouren angesteuert – kam 2013 zu folgenden Ergebnissen: Zwischen 20 und 40 Prozent der Passagiere würden das Schiff überhaupt nicht verlassen – folglich auch kein Geld an Land ausgeben. Diejenigen, die das Schiff verlassen, geben in der Stadt deutlich weniger aus, als andere Touristinnen und Touristen.
Der Sozialpsychologe Svein Larsen spezialisierte sich auf dieses Gebiet und war 2013 an der besagten Studie beteiligt. Er wiederholt dieses Forschungsergebnis in einer aktuellen ZDF-Dokumentation: "Kreuzfahrten sind so organisiert, dass sie [Touristen, Anm. d. Red.] das Geld auf dem Schiff ausgeben sollen. Der ausländische Reeder nimmt so das Geld ein und möchte damit maximal von den Passagieren profitieren." Seiner Ansicht nach würden selbst Rucksacktouristen oder Camper mehr Geld in der Stadt lassen.
Amsterdam wird jährlich von etwa 300.000 Kreuzfahrt-Passagieren besucht, eine verhältnismäßig kleine Zahl in Anbetracht der rund 20 Millionen Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Doch der Stadt geht es mit der Einschränkung für die Riesenschiffe auch um ein Signal. Lokale Politiker sprachen von Kreuzfahrern als "Heuschreckenplage", die über die Stadt herfielen, und nur wenig Zeit für Museumsbesuche oder einheimische Lokale hätten. Dem will die niederländische Hauptstadt nun Einhalt gebieten.
Quellen: Transport & Environment, CE Delft, Euronews, ZDF, Unesco, Deutschlandfunk, Umweltbundesamt, WHO, "Standard", Universität Bergen, "Hamburger Morgenpost"