Nach Wikileaks-Enthüllungen Jagd auf Julian "Info-Krieger" Assange

Der Haftbefehl gegen ihn ist in der Welt. Seine Enthüllungsplattform Wikileaks wurde von Amanzon vom Server geschmissen - und auch der Unterschlupf in der Schweiz ist futsch. Doch Julian Assange gibt sich in einem Online-Interview kämpferisch.

Die Enthüllungs-Plattform und ihr Gründer Julian Assange werden in die Enge getrieben. Wikileaks verlor am Freitag die angestammte Web-Adresse wikileaks.org. Gleichzeitig Assange muss mit einer Festnahme rechnen - nicht wegen der jüngsten Enthüllungen, sondern wegen des Verdachts sexueller Vergehen in Schweden. In einem Online-Interview warnt er seine Gegner: "Wenn uns etwas zustößt, werden die entscheidenden Teile (der US-Diplomaten-Akten) automatisch veröffentlicht."

Die Sammlung aus 250.000 amerikanischen Depeschen sei verschlüsselt an mehr als 100.000 Menschen gegangen, sagte Assange. Zudem hätten diverse Medien Zugriff darauf. "Die Geschichte wird siegen." Die Welt werde zu einem besseren Ort. "Werden wir überleben? Das hängt von Ihnen ab." Der Wikileaks-Chef stellte sich ausgewählten Fragen von Internet-Nutzern auf der Website der britischen Zeitung "Guardian". Das Interesse war so groß, dass die Seite zeitweise in die Knie ging.

Info-Krieg in vollem Gange

Es mehren sich die Hinweise, dass die Wikileaks-Gegner in den USA alle Möglichkeiten nutzen, um dem Projekt das Leben im Netz schwer zu machen. Seit Freitagmorgen ist Wikileaks nicht mehr unter der bekannten Webadresse wikileaks.org erreichbar, die vom zuständigen US-Dienstleister gelöscht wurde. Bereits am Mittwoch hatte der amerikanische Internet-Konzern Amazon die Wikileaks-Daten von seinen Servern gelöscht. Inzwischen hat auch die französische Regierung damit begonnen, die Wikileaks-Daten von inländischen Servern zu löschen.

Wikileaks wich derweil auf die Adresse wikileaks.ch aus, die auf die Schweizer Piratenpartei registriert ist. Aber auch die wurde am Freitagabend vom Domain-Name-Provider EveryDNS entfernt. Man findet die Website nun unter ihrer direkten IP-Adresse (http://213.251.145.96) sowie unter der deutschen Adresse wikileaks.de. Mehrere Web-Anbieter spiegeln die Daten auf ihrem eigenen Server, darunter die Piratenpartei Deutschlands.

Die Aktionen gegen die Enthüllungsplattform haben Internetaktivisten auf den Plan gerufen. So twitterte John Perry Barlow, einst Songtexter der Rockband Grateful Dead: "Der erste ernsthafte Info-War ist jetzt im Gange. Das Schlachtfeld ist WikiLeaks. Ihr seid die Truppen."

"Im Moment findet ein Cyberkrieg statt", erklärte Wolfgang Dudda vom Vorstand der Piratenpartei. "Es werden alle technischen Register gezogen, um Wikileaks mundtot zu machen." Als Partei der Bürgerrechte könne die Piratenpartei da nicht einfach zusehen.

Neuer Haftbefehl aus Schweden

Auch an anderer Front droht Assange Ärger: Die schwedische Justiz hat einen neuen Haftbefehl für den 39-jährigen Australier an die Behörden in Großbritannien geschickt. Laut Medienberichten befindet er sich derzeit im südöstlichen England, sein Aufenthaltsort sei den Behörden bekannt. Die britische Polizei Scotland Yard hatte erklärt, dass man Assange wegen eines Formfehlers im ersten Haftbefehl nicht festnehmen könne. Er kündigte über seinen Anwalt Mark Stephens bereits an, dass er sich einer Auslieferung widersetzen werde. Im August hatten zwei Schwedinnen den Australier beschuldigt, gegen ihren Willen ungeschützten Sex erzwungen zu haben. Assange weist die Vorwürfe zurück.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Afghanistan: Bestechung, Erpressung, Veruntreuung

Unterdessen gehen die brisanten Enthüllungen weiter. Am Freitag ging es um die Korruption in Afghanistan. Das Ausmaß von Bestechung, Erpressung und Veruntreuung sei selbst für Diplomaten in Kabul schockierend. Nur ein Minister stehe nicht unter Korruptionsverdacht, übermittelte die US- Botschaft im Januar. Das geht aus Dokumenten hervor, die die Internetplattform Wikileaks laut "New York Times" veröffentlichte. Schwere Bedenken wurden erneut gegen den afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karsai laut. Auch Großbritannien muss nach jüngsten Berichten harsche Kritik wegen seines Einsatzes in Afghanistan einstecken.

In Kabul erklärte ein Regierungsvertreter einem staunenden Diplomaten das "Vier-Stufen-Modell" der Korruption. Demnach werde bei US-Entwicklungsprojekten gleich mehrfach abkassiert: zunächst bei der Ausschreibung eines Bauvorhabens, dann bei Auftragsvergabe, während des Baus und ein weiteres Mal, wenn das Projekt eingeweiht wird, heißt es in der "New York Times". Einzig der bis heute amtierende Landwirtschaftsminister Asif Rahimi habe eine weiße Weste.

Bestechungsgeld garantiert Gouverneursposten

Anders als Präsident Karsai, der laut einer US-Depesche von Mitte 2009 fünf Grenzpolizisten begnadigt haben soll, die mit über 120 Kilogramm Heroin erwischt worden seien. Hintergrund: Der Sohn eines einflussreichen Karsai-Unterstützers soll in den Fall verwickelt gewesen sein. Laut einer vertraulichen Diplomatendepesche aus dem Jahr 2009 klagte ein amtierender Gouverneur in der südöstlichen Provinz Chost, dass er seinen Job nicht behalten könne, da ihm 200.000 bis 300.000 Dollar Bestechungsgeld fehlten.

Erst traf es die USA, dann Russland, nun sind die Briten dran - und zwar wegen des Einsatzes in Afghanistan. Karsai soll in einem Gespräch mit US- Militärs gesagt haben, Großbritannien sei "der Aufgabe nicht gewachsen" und solle die Sicherung der Provinz Helmand besser den Amerikanern überlassen, wie der "Guardian" aus geheimen Botschaftsdokumenten zitierte. Die Briten sind seit 2001 in Afghanistan und haben dort derzeit rund 10.000 Soldaten stationiert. Sie stellen nach den USA das zweitstärkste Kontingent am Hindukusch.

AP · DPA
swd/be/DPA/AP