Samstag, zu noch nachtschlafender Zeit. Der Dortmunder Fanklub "Away Sups" macht sich im Bus auf den langen Weg nach München, um seiner Borussia beim Spiel gegen Bayern den Rücken zu stärken. Das erste Erfolgserlebnis haben die Fans an der Autobahnausfahrt Lüdenscheid-Mitte - es wird ihr einziges bleiben, sie wissen es bloß noch nicht. Ihr Bus, der dort weitere Fahrgäste aufnehmen will, kommt eine verschneite Steigung nicht hoch. "Aussteigen", sagt der Fahrer, "schieben". 65 Schwarzgelbe springen aus dem Doppeldecker und drücken ihn grölend den Berg hinauf: "Borussia Dortmund, wir sind immer für dich da". Nach zehn Minuten sind sie oben. "Dat hätte mal der Meier sehen sollen. Dat is der wahre BVB!"
5000 solcher Fans waren beim 0:5 in München. Die Klatsche war der passende Abschluss dieser Woche. Auf dem Rasen kaum wettbewerbsfähig, dazu mit über 100 Millionen Euro verschuldet: der BVB vor der Pleite. Hineinmanövriert von zwei ehrgeizigen, wirklichkeitsfremden Börsen-Darstellern.
"Der Meier", der Manager, und "der Doktor Niebaum", bis vor kurzem noch BVB-Präsident - die Fans haben die beiden früher verehrt, weil sie 1997 den Titel der Champions League nach Dortmund gemanagt haben. Doch seit die Anhänger wissen, wie die zwei das gemacht haben, seitdem sind Gerd Niebaum und Michael Meier für sie erledigt. Niebaum trat vor wenigen Wochen zurück, und über Meier sagen die Mitglieder vom "Away Sups": "Dieser Mann hat uns verkauft, er hat uns verarscht und unsere Seele verhökert."
Der Niedergang des stolzen Großklubs Borussia ist ein Lehrstück, wie Gier im Sport die Vernunft ausschaltet. Die Sanierungspanik um den Klub bildet den vorläufigen Schlussakt in einem seit Jahren laufenden Trauerspiel.
Es begann auf dem Gipfel. Niebaum und Meier hielten sich nach dem Gewinn des Cups für die Größten. Das wollten sie fortan für immer bleiben. Da, wo Bayern München, Real Madrid, der AC Mailand oder Manchester United ständig mitspielen, sollte auch der BVB hingehören. Dafür brauchten sie Geld, das sie nicht hatten. "Merchandising" hieß ihr Zauberwort. Sie ließen Dortmunder Bier in schwarzgelb gefärbte Dosen füllen und verkauften es damals um drei Groschen teurer als das gleich gute Dortmunder Actien-Bier. Es folgten BVB-Milch, BVB-Joghurt, BVB-Senf, BVB-Energy-Drinks, sogar schwarzgelbe Kondome mit Bananengeschmack. Der Markt schien groß, kein Klub hat mehr Zuschauer als der BVB. Selbst bei Spielen gegen Provinzklubs wie Bielefeld kommen 80.000, davon 45.000 mit Dauerkarten.
Die sind in Dortmund so begehrt, dass sich schon mal die erwachsenen Söhne eines verstorbenen Dauerkartenbesitzers am Totenbett derart heftig um dessen Karte stritten, dass die Witwe das Ticket bei der Beerdigung weinend ins offene Grab geworfen hat. Erzählt Josef Schneck, Pressesprecher des BVB.
Der BVB ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, kurz KGaA. Aktionäre haben kein Stimmrecht. Damit wird verhindert, dass Mehrheitsaktionäre den Klub übernehmen. Den Geschäftsführern einer solchen KGaA, in diesem Falle waren es Niebaum und Meier, geht folglich alles buchstäblich aA vorbei, was den Aktionären nicht passt. Sie können, sofern der Aufsichtsrat sich nicht querlegt, nach Herzenslust schalten und walten. Das taten sie dann auch.
Den erfolgsverwöhnten Fans
und auch dem Aufsichtsrat passte aber alles. Es passte ihnen, dass der Niebaum, der bis zur Gründung der KGaA ehrenamtlich gewirkt hatte, nun ein Jahresgehalt von einer Million Euro bezog, zuzüglich der vielen hunderttausend Euro pro Jahr als Honorare für Vertragsgestaltungen, denn der Herr Doktor ist Mitbesitzer einer 120 Anwälte starken Sozietät. Es passte ihnen, dass der Diplomkaufmann Meier als Manager 700.000 Euro im Jahr bekam. Denn der Glanz der Champions League, den die beiden auf die krisengebeutelte Stadt gelenkt hatten, sollte nun für immer strahlen. Genauso wie die Mülltonnen, die nach dem großen 3:1-Sieg über Juventus Turin schwarzgelb gestrichen wurden, genau wie die Busfahrer, die in Schwarzgelb zum Dienst erschienen, genau wie die Besucher der Dortmunder Oper, die in den Pausen gelungene Soli mit den Soli der BVB-Stürmer verglichen.
Die CDU trug Niebaum, den sie in Anspielung auf seine salbungsvollen Ansprachen liebevoll "Dr. Gott" nannten, die Spitzenkandidatur für die OB-Wahl an. Doch der Geehrte begnügte sich mit dem Titel "Bürger des Reviers" und dem Kennzeichen "DO - N 1909" an seinem Mercedes. Wäre Niebaum im schwarzen Talar mit gelbem Umhang und Bischofsstab durch Dortmund geschritten - jeder hätte sich bekreuzigt. Schon damals soll das Schuldenloch derart geklafft haben, dass die Profi-Lizenz verschluckt worden wäre. Nur dank Statutenfuchs Meier erteilte der Verband 1998 die Spielberechtigung für die Bundesliga.
Da gab es nur eins:
Geld musste dringend her. Der Verein wollte an die Börse. Dort konnte man damals nach den banalen Regeln der New Economy mit ein paar kessen Sprüchen schnell an viel Geld kommen. An Geld zudem, dass man nie zurückzahlen muss.
Niebaum und Meier bereiteten den Börsengang vor. Die Deutsche Bank half ihnen dabei; da lässt sich kräftig mitverdienen. Weil Fußballer von Verletzungen bedroht sind, musste den Aktionären auch Wertbeständiges geboten werden. Also lautete der griffige Slogan: "Steine und Beine". Mit "Steine" war eine Beteiligung am neuen Westfalen-Stadion gemeint, mit 83.000 Plätzen die größte Fußball-Kathedrale Deutschlands. Zudem wurde die Sportbekleidungsfirma "goool" gegründet, die "Kommerz mit Herz" betreiben sollte. Weil gerade die New Economy boomte, durfte ein Internetportal nicht fehlen. Und die Fans sollten nur noch beim vereinseigenen Reisebüro buchen. Alles in allem ein breit aufgestellter Konzern also, der auch dann noch Geld verdienen sollte, wenn ein Schienbeinbruch oder ein unberechtigter Elfmeter das Kerngeschäft vorübergehend beeinträchtigen würde.
Um aber auch hier den Erfolg größtmöglich zu gewährleisten, mussten die besten Spieler her, die natürlich oft auch die teuersten waren. Das sahen vom weitblickenden Verwaltungsrat bis zum dümmsten Fan alle ein.
1999, zwei Jahre nach dem Gewinn der Champions League, war der Börsengang perfekt vorbereitet. Nur leider lief nicht das Kerngeschäft. Dortmund wäre um ein Haar abgestiegen. Die Geldmaschine durfte noch nicht anspringen.
Nach zehn Spielen der folgenden Runde konnte der BVB nicht mehr warten: ab an die Börse! Die Deutsche Bank, die um diese Zeit ihre Privatkunden zugunsten des Investment-Banking eh loswerden wollte, half kräftig mit, wohl wissend, dass dies hier ein Glücksspiel war. Um den angepeilten Verkaufskurs von elf Euro je Aktie halten zu können, kaufte sie ein dickes Paket sogar selbst. Denn Quertreiber, unter anderem der stern, hatten vor dem Kauf dieses Fan-Papiers gewarnt. Statt der erwarteten 148 Millionen Euro kamen nur 130 Millionen in die Kasse.
Die Fans jedoch wähnten sich angesichts der Deutschen Bank in solider Gesellschaft. Einige kauften sogar auf Kredit. Der Kurs sackte von Anfang an. Wohl auch weil die Deutsche Bank ihr Paket wieder zu Bargeld machte. Heute steht der Kurs bei gut zwei Euro - ein Verlust von rund 75 Prozent
Egal. Niebaum und Meyer hatten wieder Geld. Sie kauften und kauften. Zwar auch Steine, vor allem aber Beine: den kapriziösen Brasilianer Amoroso für unfassbare 25 Millionen Euro, den hoch begabten Tschechen Rosicky für immerhin noch 17 Millionen. Hauptkonkurrent Bayern München brauchte nur durchsickern zu lassen, sich für diesen oder jenen Spieler zu interessieren, und schon überbot Dortmund das Angebot um ein paar Millionen. Es war ein Spiel von Hasardeuren, das nur aufgehen konnte, wenn die Stars Dortmund jede Saison in die Champions League schossen - die aber versagten.
Der Anfang vom Ende war der 24. Mai 2003, letzter Spieltag. Damals, vor nur 21 Monaten, war die Borussia noch deutscher Meister. Am Ende dieses Tages würde sie es zwar nicht mehr sein, denn Bayern München hatte 18 Punkte Vorsprung. Aber: Die Borussia lag auf Platz zwei, war so gut wie Vizemeister und damit für die Champions League qualifiziert. Sie musste nur noch den bereits zum Abstieg verdammten Tabellenletzten Energie Cottbus schlagen, um sich den um einen Punkt schlechteren VfB Stuttgart auf Platz drei vom Halse zu halten. Dass der teuersten Mannschaft der Liga dieser Sieg gelingen würde, das stand eindeutig fest, als die allmächtigen Meier und Niebaum unter den Huldigungen der Umgebung auf ihren Logenplätzen erschienen.
Rosicky traf zwar zum 1:0, doch der Einzige, der noch ein Tor schoss, hieß Rost und gehörte zum Absteiger Cottbus. Das gesamte Zukunftskonstrukt der Borussia wankte, der Klub hatte die möglichen 40 Millionen Euro Einnahmen aus der Champions League längst fröhlich eingeplant. Von den Stehplätzen der Fan-Tribüne dröhnte ein bis dahin selten gehörtes Wort an Gottes Ohr: "Scheiß Millionäre".
Fortan drehte
sich die Spirale nach unten, unaufhörlich. Die Chance, als Tabellendritter durch einen Sieg gegen den FC Brügge doch noch ans große Geld zu kommen - vertan. Uefa-Cup, der Wettbewerb für die Zweitklassigen - vergeigt. DFB-Pokal, der Trostpreis der Liga - das Aus schon in der zweiten Runde gegen Mönchengladbach.
Kritische Fragesteller besänftigte der trotz allem noch immer über allem schwebende Wirtschaftsjurist Niebaum mit väterlicher Milde und konkret nicht fassbarem Wissen. Meier ließ den Diplomkaufmann raushängen. Betont gelangweilt berichtete er den Medien von "negativem operativen Cash-Flow" oder über den Abbau von "aufgebautem Verbindlichkeitenpotenzial". Widerspenstige Mitglieder des Verwaltungsrates, die es nicht riskieren konnten, öffentlich gegen den mächtigen, von Stadt- und Landesregierung hofierten Niebaum zu opponieren (so war beispielsweise der jetzige Wirtschaftsminister Clement ein gern redender und gern gesehener Gast bei Niebaumschen Wirtschaftskolloquien in der VIP-Lounge des Stadions), spickten die "Süddeutsche Zeitung" mit Informationen. Den örtlichen Zeitungen trauten sie nicht. Einflussreiche Lokaljournalisten sind mit Niebaum und Meier per Du.
So wurde das wahre Desaster des BVB erst vergangene Woche in seinem ganzen Ausmaß sichtbar. Da musste Meier in einer vom Aktiengesetz vorgeschriebenen Ad-hoc-Mitteilung die ganze Misere zugeben. Falls er dort immer noch gelogen oder verschleiert haben sollte, droht ihm das Gefängnis. Eine Anwaltskanzlei hat bereits eine umfassende Strafanzeige gegen Meier und Niebaum angekündigt. Der Vorwurf lautet auf Kapitalanlagebetrug.
Anfang dieser Woche hat sich der Verein mit all seinen 67 Gläubigern auf ein Sanierungskonzept geeinigt. Er muss keine derzeit fälligen Beträge zahlen, die Zinszahlungen werden gestundet. Aber ob der BVB der Schuldenfalle wirklich entkommt, hängt jetzt von 5800 Anteilseignern eines Immobilienfonds der Commerzbank ab. An sie hat der Club sein tolles Stadion verkauft und für 17 Millionen Euro pro Jahr zurückgemietet, ohne freilich die Pacht zahlen zu können. Am 14. März treffen sich die Anteilseigner zu einer außerordentlichen Versammlung, 75 Prozent der Anwesenden müssen einem Kompromiss zustimmen, von dem noch niemand weiß, wie er aussieht - außer: Es müssen sofort neun Millionen für den BVB dabei herausspringen, damit zumindest diese Saison zu Ende gebracht werden kann. Einen Tag später muss Dortmund bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) die Lizenz für die kommende Spielzeit beantragen. Wieder setzt der Verein auf Meiers Künste als Strippenzieher.
Ob da ein Stoßgebet
von kompetenter Stelle hilft? Papst Johannes Paul II. böte sich dafür an. Er ist seit Januar Ehrenmitglied des BVB. "Dr. Gott" höchstselbst hat ihm die Ehre angetragen. In den Internetforen der Fans und in der bodenständigen Stadt mehren sich aber die Stimmen, die keine Hilfe annehmen möchten, weder von Gott und erst recht nicht vom Nachbarn Schalke. Sie plädieren für die Pleite und den Zwangsabstieg in die Amateurliga. Die Borussia kriegen sie schon wieder nach oben, genau wie den Bus in Lüdenscheid. Der BVB soll dann das werden, was er bei seiner Gründung vor 95 Jahren am Borsigplatz war: ein Verein der arbeitenden Klasse.