Herr Professor Nöthen, welchen Nutzen bringt die Gendiagnostik konkret?
Wenn sich eine Familie, bei der beispielsweise eine Krebsart seit Generationen immer wieder auftaucht, beraten lässt und wir eine gendiagnostische Untersuchung anbieten, dann können Familienmitglieder ihre individuelle Krankheitsveranlagung untersuchen lassen. Mit dieser Information ist der der betreuende Facharzt in der Lage die geeigneten Vorbeugungs-Maßnahmen treffen. Wird durch die Diagnostik ausgeschlossen, dass ein Familienmitglied die in der Familie vorkommende Gen-Mutation trägt, kann es zum Beispiel ganz aus der intensivierten Vorsorge entlassen werden.
Aktuell
Der Bundestag hat das von der großen Koalition vorgelegte Gendiagnostikgesetz verabschiedet. Damit sollen genetische Untersuchungen bei Menschen eingeschränkt und klar geregelt werden.
Heimliche Vaterschaftstests werden verboten und mit bis zu 5000 Euro bestraft.
Babys können vor der Geburt aus medizinischen Gründen getestet werden - aber nicht, weil Eltern Aufschluss über Geschlecht und mögliche Eigenschaften haben wollen.
Arbeitgeber und Versicherungen dürfen von Bewerbern und Kunden grundsätzlich keine Gen-Untersuchungen verlangen. Ausnahmen sind nur bei extrem hohen Versicherungssummen zulässig.
An welchem Punkt steht die Gendiagnostik heute und welche Entwicklung wird sie nehmen?
Bei den klassischen vererbten Krankheiten, die in der Bevölkerung aber eher selten vorkommen, sind die ursächlichen Gene häufig bekannt. Eine Gendiagnostik wird bei vielen dieser Krankheiten routinemäßig durchgeführt. Bei den häufigen Volkskrankheiten kennt man bislang nur einen kleinen Teil der ursächlichen Gene. Die Fortschritte der Genomforschung sind allerdings immens. Jede Woche werden neue Gene berichtet, die zu Volkskrankheiten beitragen. Diese Erkenntnisse können aber nicht direkt in einen sinnvollen diagnostischen Test umgesetzt werden, da die genetischen Ursachen nur einen Teil der Ursachen bei Volkskrankheiten erklären. So sind in Zukunft noch viele weitere Studien notwendig, bis das Wissen über ursächliche Gene Eingang in sinnvolle diagnostische Tests finden wird. Die einzige Ausnahme bislang stellen manche familiären Krebsformen dar, bei denen die Gendiagnostik schon heute eine individuell angepasste Vor- und Nachsorge ermöglicht.
Birgt das ganze Thema nicht auch eine ganze Menge Risiken?
Ja natürlich. Und ich sehe sie vor allem in der Kommerzialisierung - dem Gentest via Internet beispielsweise. Eine Gendiagnostik muss immer gut überlegt sein und sollte nur durch einen erfahrenen Facharzt veranlasst werden. Das Ergebnis muss ausführlich erläutert werden, damit der Patient es auch wirklich versteht. Ein Beispiel: Wir hatten einen Patienten, der kam mit einem Testergebnis von einem Internet-Anbieter zu einer Beratung. Er wollte anhand des Vorkommens von Dickdarmkrebs in seiner Familie wissen, wie wahrscheinlich der Ausbruch der Krankheit bei ihm ist. Das Testergebnis war zwar günstig für den Patienten - die Wahrscheinlichkeit für Dickdarmkrebs lag in einem vergleichsweise niedrigen Bereich - dennoch war es falsch. Denn: Der Test bezog sich nur auf den allgemeinen Dickdarmkrebs, aber nicht auf die familiäre Form, die in der Familie des Patienten vorkam.
Das Risiko besteht also darin, sich im Zweifel auf falsche Ergebnisse zu verlassen?
So ist es. Dabei war das Ergebnis für sich genommen nicht falsch. Es lieferte nur nicht die Antwort auf die gestellte Frage. Und in einer Fußnote wurde dies auch mitgeteilt. Aber wer liest bei einem ohnehin schon schwer verständlichen Text schon Fußnoten?
Und was lässt sich dagegen tun?
Das geplante Gendiagnostikgesetz regelt eigentlich das Wesentliche. Es verpflichtet zu einer vorherigen Beratung und verlangt, dass der Gentest durch einen erfahrenen Arzt veranlasst wird. Wichtig ist auch das Recht auf Nichtwissen: Ein Gentest darf nur nach ausdrücklicher Zustimmung des Patienten durchgeführt werden.
Werden Gentests von den Krankenkassen bezahlt?
Ist ein Gentest aus medizinischer Sicht sinnvoll, wird er von den Krankenkassen bezahlt. Es gibt also gar keinen Grund auf Angebote von Internet-Anbietern einzugehen. Die Botschaft ist: Wenn Sie eine zuverlässige Aussage auf ihre Fragen haben wollen, dann gehen Sie zu einem Arzt.
Aber auch der Arzt wird vielleicht mit Wünschen seiner Patienten konfrontiert, die möglicherweise eher mit Übervorsichtigkeit oder Neugier als mit medizinischer Indikation zu tun haben?
Weil es um die Gesundheit geht, ist dies natürlich auch verständlich. Ich bin aber in meiner langjährigen Laufbahn, beispielsweise bei der Beratung zur Frage einer vorgeburtlichen Diagnostik, noch nie einer Patientin begegnet, die es sich bei die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch leicht gemacht hätte. Ich denke, das wird manchmal falsch dargestellt. Genauso wie ich mich kaum an Fälle erinnern kann, bei denen zukünftige Mütter sich nach einer vorgeburtlichen Diagnostik für eine im späten Lebensalter auftretende Volkskrankheit erkundigt haben. Dennoch, solche Entwicklungen sind in Zukunft nicht auszuschließen. Deswegen hat der Gesetzgeber in dieser Frage Handlungsbedarf gesehen, denn diese Untersuchung ist nach dem aktuellen Entwurf untersagt.
Das Gesetz regelt auch, dass der Zugriff von Seiten der Arbeitgeber auf Ergebnisse von Gentests weitgehend untersagt und von Seiten der Versicherungswirtschaft zumindest beschränkt ist - erst bei Summen für Lebensversicherungen von 300.000 Euro und mehr darf das Versicherungsunternehmen einen Test verlangen.
Was auch gut ist, wenn es sich um Informationen über Krankheitsrisiken handelt. Häufig wird überschätzt, welche Informationen sich aus den Genen ablesen lassen. Die Informationen, die heute schon viele Arbeitgeber über ihre Einstellungstests bekommen, geben den Unternehmen viel genauer Auskunft über die zukünftige Leistung ihrer Bewerber, als das Gentests je tun könnten. Bei der Versicherungswirtschaft muss man allerdings auch das berechtigte Interesse erkennen, Missbrauch beim Abschluss einer Versicherung zu verhindern. Der Gesetzgeber hat deswegen die Grenze von 300.000 Euro Versicherungssumme in das Gesetz aufgenommen.
Interview: Tim Braun