Deutschland steigt aus der Kernkraft aus, andere Länder setzen große Hoffnungen in die CO2-freie Methode, Energie zu erzeugen. Neben dem Bau von Kraftwerken, die letztlich verbesserte Versionen alter Designs sind, wird an Zukunftslösungen wie der Kernfusion gearbeitet.
Sehr viel schneller als die Fusionsreaktoren, die nach dem gleichen Prinzip wie die Sonne arbeiten, könnten kleine ungleich sicherere Reaktoren gebaut werden. China hat angekündigt, in nur einem Monat einen ersten Thoriumreaktor fertig zu stellen.
Der chinesische Zeitplan ist ehrgeizig. Der Prototyp soll im nächsten Monat fertiggestellt werden, erste Tests beginnen im September, der Bau der ersten kommerziellen Reaktoren soll bis 2030 erfolgen.
Das Besondere an diesem Reaktortyp: Er benötigt kein Wasser zur Kühlung der Atombrennstäbe und wird mit flüssigem Thorium statt mit Uran betrieben. In ihm zirkuliert ein Salz, das sich bei hohen Temperaturen verflüssigt. Diese Technik kennt keinen Atom-Gau. Unfälle oder Lecks würden nur zu kleinen Schäden führen, weil hier kein radioaktiver Dampf in die Atmosphäre gelangt. Das flüssige Salz würde bei einer Störung oder einem Leck schnell abkühlen und kristallisieren. Das Material wäre immer noch radioaktiv, ließe sich aber in Brocken einsammeln.
Dazu ist der Reaktor sehr klein: Er soll nur 3 Meter hoch und 2,50 Meter breit sein. Das sind allerdings die Maße des reinen Reaktors. Um Strom zu erzeugen, muss er an Turbinen und ans Stromnetz angeschlossen werden. Doch die Minigröße des nuklearen Teils macht es möglich, den Reaktor unter Reinraumbedingungen zu bauen, man muss ihn nicht auf einer Baustelle zusammensetzen. Letztlich wäre eine Serienfertigung wie in der Autoindustrie möglich. Bei Wartungen könnte das Reaktormodul einfach ausgetauscht werden und von einem normalen Lkw zurück zum Hersteller gebracht werden.
Der kommerzielle Reaktor wird 100 Megawatt Strom erzeugen – genug, um 100.000 Menschen mit Strom zu versorgen. Weil die Anlage nur wenig Wasser verbraucht, wird China den ersten kommerziellen Reaktor in Wuwei, einer Wüstenstadt in der Provinz Gansu des Landes bauen.
Wie arbeitet ein Thorium-Reaktor?
Es gibt keine Brennstäbe, das Thorium wird in 600 Grad heißem, flüssigen Fluoridsalz gelöst. Dieses Salz zirkuliert in dem Reaktor, außer dem Brennmaterial muss kein weiteres Kühlmittel radioaktiv verseucht werden. Das Salz wird zum Start mit Neutronen beschossen, so dass sich die Thorium-Atome in Uran-233 verwandeln. Dieses Isotop zerfällt und setzt Energie und weitere Neutronen frei. Das Salzgemisch heizt sich weiter auf, gelangt in eine zweite Kammer, in der die Wärme zur Stromerzeugung genutzt wird. Anders als spaltbares Uran kommt Thorium-232 häufig vor und lässt sich leicht in großer Menge gewinnen. Die Halbwertzeit der radioaktiven Abfallprodukte beträgt nur 500 Jahre anstatt der 10.000 Jahre von Uranreaktoren. Das Material des Reaktors kann zudem nicht zum Bau von Atomwaffen verwendet werden.
Das Konzept ist alt. Schon 1946 arbeiteten IUS-Wissenschaftler daran, mit dem Ziel einen mobilen Reaktor zu erschaffen. Obwohl das Prinzip ganz einfach ist, gelang es nie, die technischen Probleme, die das aggressive heiße Flüssigsalz mit sich bringt, zu bändigen. Und noch ist unklar, welche Lösung die chinesischen Wissenschaftler gefunden haben, damit das Salz nicht die Anlage zerfrisst.
Export geplant
Derzeit ist China der globale Hauptemittent von Kohlenstoff und bläst mehr als alle anderen Industrieländer in die Atmosphäre – bei so einem Vergleich muss natürlich auch die Bevölkerungszahl berücksichtigt werden. Rechnet man pro Kopf, befindet sich China auf Platz 16 und hinter Deutschland. Doch bis 2060 soll das Land komplett kohlenstoffneutral werden, in diesem Zusammenhang kommt den Mini-Reaktoren eine Schlüsselrolle zu. "Kleinreaktoren haben große Vorteile in Bezug auf Effizienz, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit", schrieb Yan Rui, Physikprofessor am Shanghai Institute of Applied Physics in der Zeitschrift "Nuclear Techniques". "Sie können eine Schlüsselrolle beim zukünftigen Übergang zu sauberer Energie spielen. Es ist zu erwarten, dass Kleinreaktoren in den nächsten Jahren weit verbreitet sein werden."
Offenbar ist auch ein Export in Länder der "Belt and Road"-Initiative geplant. Mit den Thorium-Reaktoren könnte Peking eine sehr niedrigschwellige Nukleartechnik exportieren. Weil der Reaktor selbst mobil ist, kann ein Land solche klimaneutralen Reaktoren nutzen, ohne zunächst eine eigene Atom-Infrastruktur aufzubauen. Zudem kann Peking bedenkenlos auch an Länder liefern, die keine Uran-Reaktoren erhalten würden, da die Thorium-Reaktoren kein waffenfähiges Material ausbrüten können.
Ein dänisches Start-up will ebenfalls "kompakt Molten Salt Reactors" entwickeln, ist aber nicht soweit, einen Prototyp in Betrieb nehmen zu können. In eine ähnliche Richtung geht auch Bill Gates mit seinem Projekt von natriumgekühlten Mini-Reaktoren.
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