Psychologe und Karriereberater "Viele Chefs sind Psychopathen": Welche Arten von irren Bossen es gibt – und wie man mit ihnen umgeht

Vorgesetzte mit Persönlichkeitsstörungen können ihren Mitarbeitern das Leben zur Hölle machen
Vorgesetzte mit Persönlichkeitsstörungen können ihren Mitarbeitern das Leben zur Hölle machen
© gradyreese / Getty Images
Psychologe und Karriereberater Jürgen Hesse sind schon viele irre Chef-Geschichten untergekommen. Hier erklärt er, warum so viele Psychopathen Chef werden, wie sie ticken – und wie man als Untergebener mit ihnen umgeht.

Herr Hesse, für Ihr Buch "Mein Chef ist irre Ihrer auch?" haben Sie sehr viele üble Chef-Geschichten zusammengetragen, die Ihnen in Ihrer Tätigkeit als Karriere- und Berufsberater von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen berichtet worden sind. Bei manchen kann man gerade noch so schmunzeln, bei anderen graust es einen. Welcher Fall hat Sie persönlich am meisten geschockt?

Besonders eingebrannt hat sich mir die Geschichte eines leitenden Pfarrers, der eine verborgene bösartige Charakterseite hatte. Seine Mitarbeiter hatten ihn immer als sehr einfühlsam und wertschätzend erlebt. Er hatte aber auch ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. Das war so lange kein Problem, bis diese Sekretärin von einer Kollegin wegen Fehler bei der Arbeit kritisiert wurde. Daraufhin ist der freundliche Kirchenmann komplett ausgerastet und hat die Kollegin, die Kritik geübt hatte, fertig gemacht und gekündigt. Letztlich hat die Frau nach zwei Prozessen im Arbeitsgericht gewonnen und der Theologe hat seine Leitungsfunktion verloren.

Häufig zieht aber der Untergebene den Kürzeren, wenn ein verrückter Chef seine Neurosen an den Mitarbeitern auslässt, oder?

Leider ja. Da war zum Beispiel die Frau, die 15 Jahre erfolgreich für ein Unternehmen gearbeitet hat. Dann kam ein neuer Chef, der wollte sie loswerden, und hat sie aus dem Büro im zweiten Stock in eine Art Einzelverlies im Archiv-Keller verbannt. Nach drei Monaten hat sie einen Suizidversuch begangen, zum Glück erfolglos. Der Chef aber blieb weiter auf seinem Posten. 

Jürgen Hesse ist Diplom-Psychologe und leitet das "Büro für Berufsstrategie" in Berlin. Gemeinsam mit Hans Christian Schrader hat er über 100 Sachbücher zu Themen rund um Bewerbung und Karriere geschrieben und mehr als sechs Millionen Exemplare verkauft. Das neueste Buch von Hesse/Schrader "Mein Chef ist irre – Ihrer auch" erscheint am 30.6. im Econ-Verlag
Jürgen Hesse ist Diplom-Psychologe und leitet das "Büro für Berufsstrategie" in Berlin. Gemeinsam mit Hans Christian Schrader hat er über 100 Sachbücher zu Themen rund um Bewerbung und Karriere geschrieben und mehr als sechs Millionen Exemplare verkauft. Das neueste Buch von Hesse/Schrader "Mein Chef ist irre – Ihrer auch" erscheint am 30.6. im Econ-Verlag
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In Ihrem Buch geht es um "irre Chefs" im Wortsinn. Gibt es wirklich so viele Psychopathen auf dem Chefstuhl?

Ungefähr ein Drittel der Chefs ist sehr in Ordnung, ein Drittel hat Verbesserungsbedarf und ein Drittel ist menschlich leider ungeeignet, Mitarbeiter zu führen. Von denen ist auch nur ein kleiner Teil tatsächlich massiv persönlichkeitsgestört. Aber der Anteil an Psychopathen in den Chefetagen ist wesentlich höher als in der Normalbevölkerung – laut einer bekannten Studie sechsmal so hoch. Insofern kann man schon sagen: Vergleichsweise viele Chefs sind Psychopathen.

Warum ist das so?

Weil Psychopathen gerne Chef werden. Die psychologische Erklärung ist, dass Menschen, die zwar sehr intelligent sind, aber in der Kindheit keine Liebe erfahren haben und Persönlichkeitsstörungen entwickeln, besonders gerne in Führungspositionen drängen. Die wollen es allen zeigen, die wollen Macht ausüben, um Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren. Und wenn sie in der entsprechenden Position sind, befördern sie wiederum Menschen, die ähnlich ticken. 

In mehr als 50 der 60 Beispiele im Buch sind die irren Chefs Männer: Liegt das allein daran, dass es mehr männliche Chefs gibt – oder auch mehr männliche Psychopathen?

Dass es mehr männliche Chefs gibt, ist ein naheliegender Grund. Studien sagen aber auch, dass es in der Gesamtbevölkerung wesentlich mehr Psychopathen als Psychopathinnen gibt. Das Verhältnis in unserem Buch erscheint uns daher als recht repräsentativ. Berühmte Ausnahmen, wie im Film "Der Teufel trägt Prada" zu sehen, der ja einen realen Hintergrund hat, gibt es natürlich trotzdem. 

Sie ordnen die Psychopathen-Chefs in eine Typologie von zehn unterschiedlichen Charakteren ein – vom Narzissten über den Paranoiden bis zum Phobiker. Welchen Typ trifft man in der freien Wildbahn am häufigsten an?

Am häufigsten sind selbstverliebte Narzissten, rücksichtslose Egomanen und bösartige Tyrannen. Donald Trump ist hier das Paradebeispiel, mit klarem Akzent auf dem Narzissmus. Auch Putin hat etwas Narzisstisches, ich würde ihn aber eher in der Kategorie der Tyrannen einordnen. Ein eher seltener anzutreffender Typ ist der schizoide Chef: kühl, kontrolliert, hält andere auf Abstand, weil er Menschen einfach nicht besonders mag. Nach allem was man über ihn hört, passt Wirecard-Gründer Markus Braun möglicherweise ganz gut in diese Kategorie.

Auch depressive Chefs listen Sie als eigenen Typus auf.

Ja, das sind häufig nette Menschen, die aufgrund ihrer Krankheit aber allen Mitarbeitern die Energie und Lust am Arbeiten nehmen. In der freien Wirtschaft trifft man sie selten, im öffentlichen Dienst dagegen sehr häufig. 

Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich unter einem verrückten Chef leide?

Zunächst mal kann man versuchen, die Situation zu verbessern. Je nach Cheftyp kann es sinnvoll sein, das Gespräch zu suchen, Probleme anzusprechen und konstruktives Feedback zu geben. Wenn man unsicher ist, was man tun soll, kann man sich auch mit Kolleginnen und Kollegen austauschen oder Hilfe beim Betriebsrat holen. Je nach Chef kann das schon helfen.

Und wenn sich der Chef nicht ändern lässt?

Wenn keine Chance auf Besserung besteht, muss ich mich selbst schützen. Ich kann mir eine dicke Haut zulegen, die Dinge nicht so an mich ranlassen, vielleicht kann man dem Chef auch etwas aus dem Weg gehen. Das ist aber natürlich nicht optimal. Besser wäre es, sich nach einem anderen Arbeitsplatz umzuschauen. 

Wer im Homeoffice arbeiten kann, könnte dem Chef auch auf diese Weise aus dem Weg gehen.

Sich im Homeoffice zu Verkriechen ist nicht unbedingt die Lösung. Zum einen sehe ich dann auch die Kollegen weniger, mit denen ich gut kann und wo mir der persönliche Austausch guttut. Zum anderen kann der Vorgesetzte andere Angriffspunkte finden. Ein paranoider oder zwanghafter Chef könnte noch misstrauischer werden und versuchen, zu kontrollieren, wann ich wie arbeite und Pause mache. Das kann dann leicht bis in den privaten Bereich gehen.

Haben Sie selbst in Ihrem Berufsleben mal unter einem Chef gelitten?

Ja, ich habe unter zwei meiner früheren Chefs gelitten, auch mal schlecht geschlafen und bin zeitweise ungern zur Arbeit gegangen. Das war aber alles noch im Rahmen und nicht so schlimm, wie es bei einem psychopathischen Chef sein kann. Ich hatte außerdem drei andere Chefs, die mich wesentlich gefördert haben und mit denen ich später sehr gut befreundet geblieben bin.

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