Einen schicken Porsche? Wer will den schon. Wer wirklich auffallen möchte, muss sich derzeit im Renault-Regal bedienen. Wir waren mit dem Hingucker Avantime zwei Wochen unterwegs.
Da nimmt man einmal einen Testwagen nicht selbst in Empfang, und schon macht man sich zum Gespött der Redaktion. »Was ist das denn für ein hässliches Ding auf dem Parkplatz?«, höhnte es aus dem Kollegenkreis. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde... In so einem Fall sind schadensbegrenzende Verleumdungen (»Der ist doch gar nicht für mich«) völlig unangebracht. Es zählen schließlich auch innere Werte, und was weiß der gemeine Redakteur schon von Autos...
Kesses Stufenheck
Zu übersehen ist der Avantime auf keinem Parkplatz. Nicht nur, dass er mit seinen Van-Abmessungen über beinahe jeden Großstadt-Stellplatz hinausragt. Neben der sportlich-aggressiven Front und den beeindruckend gespannten Glasflächen trägt der Avantime ein Heck zur Schau, an dem man sich kaum satt sehen kann. Überragt wird das kesse Stufenheck von der beinahe senkrecht verbauten und dunkel getönten Heckscheibe. Die Ähnlichkeit zu einem Motorrad-Helm mit dunklem Visier ist alles andere als Zufall.
Schwere Türen
Der Weg in das 4,64 Meter lange Van-Coupé führt durch beeindruckende Türen, die schlappe 1,40 Meter lang sind. Damit man mit diesen Portalen nicht in jeder Parklücke aneckt, haben die Renault-Ingenieure ein Scharnier mit Knick entwickelt. Dadurch öffnen sich die Türen zunächst ein Stück nach vorne, bevor sie seitlich aufschwingen. Das sieht schick aus, erweist sich im Alltag allerdings als völlig nutzlos. Nur widerwillig lassen sich die schweren Türen bewegen und geben nach vollbrachter Schufterei eine nur ungenügend große Türöffnung frei. Als besonders nachteilig erweisen sich die Riesen-Türen, wenn man den großen Franzosen schräg auf einer Bordsteinkante abstellt. Dann wird das Öffnen und Schließen zur echten Kraftanstrengung.
Platz ohne Ende
Hat man die je 55 Kilo schweren Türen hinter sich geschlossen, ist all die Schufterei vergessen. Bei so viel Platz bleibt einem fast die Spuke weg. Schon der Beifahrer scheint unerreichbar fern, von den Passagieren auf den beiden Rücksitzen ganz zu schweigen. Ein echter Augenschmaus: die komplette Inneneinrichtung. Wer sich für die Privilége-Ausstattung entscheidet, blickt von den großen Ledersitzen auf ein geschickt verwinkeltes, mit Leder verkleidetes Armaturenbrett. Einziger Störenfried bei so viel Ecken und Kanten ist das Lenkrad - aber darauf kann man selbst in Frankreich noch nicht verzichten.
Cabrio-Feeling
Der ansonsten sehr wuchtige Avantime profitiert besonders durch den großzügigen Einsatz von Glas. Neben den rahmenlosen Seitenscheiben ist es vor allem das enorme Glasdach, das den dicken Franzosen scheinbar filigran wirken lässt. Vorteil für die Passagiere: sind die Seitenscheiben versenkt und das Panorama-Dach geöffnet, kann man sich die Anschaffung eines Familien-Cabrios sparen.
Viel Technik, viele Knöpfe
Der schicke Innenraum kann jedoch nicht über einige Mängel hinwegtäuschen. So sind Fahrer und Beifahrersitz zwar großzügig dimensioniert und mit Leder bezogen, bieten jedoch zu wenig Seitenhalt. Bei 207 PS und den entsprechenden Fahrleistungen wäre man durchaus für die eine oder andere Seitenwange dankbar, die dem rutschenden Körper Einhalt gebietet. Hinzu kommt die umständliche Bedienung von Navigationssystem, Bordcomputer und Unterhaltungselektronik. All diese Systeme funktionieren tadellos, sind aber nicht miteinander vernetzt. Das heißt, mit der Fernbedienung lassen sich nur Radio und CD-Wechsler bedienen. Bordcomputer und Navigationshelfer gehorchen anderen Herren.
Mieser Geruchstest
Mangelhaft schneidet der Avantime auch beim Schnuppertest ab. Bereits nach kurzer Zeit in der Sonne müffelte es in unserem erst wenige tausend Kilometer alten, Renault nach Klebstoff und Lösungsmitteln. Sechs, setzen!
Unspektakuläres Fahrverhalten
Wenig Grund zur Klage beim Blick unters Blech. Der in unserem Test-Avantime verbaute Sechszylinder hat mit dem 1,8 Tonnen-Gefährt wenig Mühe. Von der Fünfgang-Automatik ohne große Inszenierung angenehm dirigiert, gelangen die maximal 285 Newtonmeter Kraft über die Vorderräder problemlos auf die Straße. Spektakulär ist das alles nicht, zumal das neutral abgestimmte Fahrwerk seiner Arbeit ohne viel Effekthascherei nachgeht. Lediglich in zu flott angesteuerten Kurven gerät der schwere Renault an seine Grenzen. Dann schiebt der Avantime so lange mit Nachdruck über die Vorderräder, bis das serienmäßige ESP regulierend eingreift.
Platz fürs Gepäck
Tugenden, die man vor allem auf Reisen schnell zu schätzen weiß. Durch den kräftigen Motor, das angenehme Fahrwerk, die erhöhte Sitzposition und den schicken Innenraum fühlt man sich auf Langstrecken richtig wohl. Natürlich auch, weil selbst umfangreiches Familiengepäck problemlos im 530-Liter-Kofferraum verschwindet. Klappt man die Rücklehnen der hinteren Sitze um, schluckt der Avantime sogar 900 Liter. Einziges Manko: die Sitzflächen lassen sich nicht versenken - einen ebenen Laderaum gibt es nicht.
Nicht schön: der kurze Abstecher in die City. Hier rächt sich die enorme Größe des Avantime. Ohne XXL-Parklücken ist man in engen Innenstädten hoffnungslos verloren. Zumal sich der dicke Franzose im Stop-and-Go-Verkehr einen kräftigen Schluck aus dem Kraftstofftank gönnt. 16 Liter Super-Bezin dürfen es schon sein. Insgesamt kam unser Test-Avantime auf einen erträglichen Durchschnittversbrauch 11,7 Liter auf 100 Kilometer.
Fazit
Scheue Zeitgenossen sollten vom Avantime die Finger lassen. Der avantgardistische Franzose will gesehen werden. Außerdem sind Qualitätsmängel wie bei unserem Testwagen bei einem Auto für mindestens 30.000 Euro nicht akzeptabel. Auf unseren Touren durchs Hamburger Umland bekamen wir dennoch ausschließlich positive Rückmeldungen. Vor allem ein Hobby-Kapitän aus einem kleinen Hafen an der Elbe-Mündung war fasziniert vom blauen Dickschiff. Für ihn blieb nur eine Frage offen: »Gibt´s den auch mit Mast?«
Jochen Knecht