Blick zurück Er war mein erstes Auto

Der Vater meiner Freundin kam mit dem Tipp. Er hatte einen Kollegen, der einen VW Käfer verkaufen wollte. Natürlich preisgünstig, weil ein Spezi haut den anderen nicht übers Ohr.

Der Vater meiner Freundin kam mit dem Tipp. Er hatte einen Kollegen, der einen VW Käfer verkaufen wollte. Natürlich preisgünstig, weil ein Spezi haut den anderen nicht übers Ohr. 1.500 Mark wollte er haben für den buckligen Wagen mit 1.300 Kubik und 40 PS. Farbe: ein merkwürdiges beige-weiß.

Formel-1-Schlappen


Mit den vorletzten Groschen haben wir den Wagen gekauft und sind sofort damit in den Urlaub abgerauscht - mit den allerletzten Groschen. Sprit war damals billig, 50 Pfennig etwa. Klebér-Reifen hatte er drauf, was damals so ne Art Formel-1-Schlappen waren. Dachte ich jedenfalls.

Vergaser-Vereisung
Es war Sommer, wir sind den Gotthard-Pass rauf. Besser gesagt, wir wollten. Fast hätte es das Auto nicht geschafft. Der „Buckel-Porsche“ wurde nämlich immer langsamer. Draußen wurde es ständig kälter. Erst begriff ich nicht, was vorging, dann hatte ich die Erleuchtung. Vergaser-Vereisung! Ganz Fachmann teilte ich meiner Freundin die Diagnose mit. Sie grunzte nur ein verständnisloses "Aha".

Inzwischen mühte sich unser Luxusschlitten nur noch mit Schritttempo aufwärts. Als ich zu erklären versuchte, dass der Motor durch die Vereisung des Vergasers kaum noch das richtige Quantum Benzin/Luft-Gemisch bekommt, fragte sie dazwischen, ob es nicht besser sei, dem Wagen durch Schieben ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Bergauf!!!

Die Sache mit der Heizung


Als wir endlich oben waren, haben wir unseren Oldie erstmal verschnaufen lassen. Ich glaube, er war schon zehn Jahre alt. Genau weiß ich das nicht mehr. Dafür erinnere ich mich daran, dass er keine Sicherheitsgurte hatte, Seilzugbremsen, bei denen man besser einen Anker geworfen hätte, und eine gottserbärmlich schlechte Heizung. Denn warm wurde es im Winter nie.

Zehn Liter zog er sich rein


Das, was einem zu der Jahreszeit blühte, waren Eisblumen auf den Scheibeninnenseiten. Heizbare Heckscheibe? So nen modernen Schnickschnack gab es nicht für Geld und gute Worte. Auch die Lüftung funktionierte ausgezeichnet. Wenn man, wie wir, öfters von Köln in Richtung Süden fuhr, war auf der Höhe von Frankfurt endlich der Belag von der Frontscheibe gepustet. Ist etwas übertrieben, gebe ich zu. Aber ganz ähnlich war’s. Und gesoffen hat er. Zehn Liter zog er sich rein. Bei Vollgas. Für mich war das die einzig mögliche Gaspedalstellung.

Er war mein erstes Auto. Ich musste niemanden mehr fragen, ob ich vielleicht dahin oder dorthin mitfahren dürfe. Dafür liebe ich ihn heute noch. Wie viele andere.

Familienväter

liebten ihn. Sonntags wurde die Kleinfamilie reingepackt und los ging’s zur Spritztour ins Grüne. Nie stotterte der Motor, dafür umso öfter die Teilzahlungsraten.

Polizisten

liebten ihn. Der VW als Grüne Minna galt seinerzeit als hochmodernes Auto, das nur von Gangster-Limousinen größeren Kalibers abgehängt werden konnte.

Junggesellen

liebten ihn. Wann immer es zu riskant war, die Herzdame mit auf das von der Vermieterin streng überwachte möblierte Zimmer zu nehmen, bot sich der Käfer als Stätte der Begegnung an. Ein echtes Liebhaberauto.

Hausfrauen

liebten ihn. Sie konnten mit Kind und Kegel zum Einkaufen in den gerade modern gewordenen Supermarkt fahren.

Studenten

liebten ihn. Für sie gab es kein billigeres Auto. Vom Geld eines Gelegenheitsjobs ließ sich leicht ein Käfer dritter oder vierter Hand kaufen. Probleme mit der Zuverlässigkeit gab es selten.

Selbermacher

liebten ihn. Do-it-your-self war damals groß in Mode. Verbeulter Kotflügel? Ein Gang auf den Schrottplatz behob das Problem. Montieren war selbst für Leute mit zwei linken Händen nicht übermäßig schwer.

Der klassenlose Käfer


Und auch Gebrauchtwagenhändler liebten ihn. Kein anderer Wagen wurde ihnen so aus den Händen gerissen wie der Wolfsburger. Standen drei, vier oder fünf davon auf dem Hof, kamen die Kunden in Scharen. Sie wussten: Ein gebrauchter Käfer mit 40.000 oder 50.000 Kilometer war gerade mal eingefahren. So gelang dem Auto etwas, was Marktforscher heute wohl so ausdrücken würden: Die Durchdringung der Akzeptanz in der sozio-demografischen Struktur der Gesellschaft ist vollständig. Griffiger ausgedrückt: Der Käfer wurde klassenlos. Ob armer Schlucker oder reicher Knopf, am Steuer dieser Kiste konnte jeder sitzen.

Vom Band ins Museum
Keiner Wunder, dass das Wolfsburger Krabbeltier schnurstracks in den Olymp der Autogötter fuhr und am 17. Februar 1972 mit genau 15.007.034 hergestellten Stück auch Weltmeister wurde. Sechs Jahre später, am 19. Januar 1978, hatte die Käfergemeinde Anlass zu Trauer. Die Produktion des Autos in Deutschland, das wie kein anderes Industrieprodukt nach dem Krieg zum Motor des Wirtschaftswachstums geworden ist, stoppte an diesem Tag für immer. Der letzte Käfer mit der Fahrgestellnummer 1182034030 lief aus dem Werk Emden direkt ins Wolfsburger Museum.

Nun, 25 Jahre nach dem Ende in Deutschland, soll auch international bald Schluss sein. Im August wird im mexikanischen VW-Werk der allerletzte Käfer zusammengeschraubt und mit dem charakteristischen Motorsound vom Hof rollen. Dieses metallische Rasseln des Vierzylinderboxers habe ich noch heute im Ohr und höre es unter hundert Geräuschen heraus.

Harald Kaiser