Eigentlich kann ich zum Thema Käfer gar nichts zu sagen haben. Mein automobiles Erinnerungsvermögen beginnt nämlich erst so um das Jahr 1985. Damals gab es den Golf, den Kadett, den Scorpio und den Passat. Einen Käfer gab es nur noch in meinen Auto-Quartett-Karten. Und selbst im Spiel wollte ich nichts von dem Beinahe-Oldtimer wissen. In keiner Zeile hat die Käfer-Karte eine Chance gegen die restlichen Modelle.
Emanzipation vom golffahrenden Gatten
Ein schlechter Start ins Käfer-Leben, könnte man meinen. Wenn sich nicht zu der Zeit meine Mutter entschlossen hätte, in Sachen Mobilität eigene Wege gehen zu wollen. Emanzipation vom ewig golffahrenden Gatten war angesagt. Da es um das Budget ebenso spärlich bestellt war wie um das automobile Fachwissen, zog meine Mutter neben dem Anzeigenteil der örtlichen Wochenzeitung auch gleich noch einen befreundeten Automechaniker ins Vertrauen.
"Unkaputtbar"
In den Augen meiner Mutter machte der seine Sache ausgesprochen gut. Wenige Tage später stand ein knallroter VW Käfer im Hof. Typ 1303, 44 PS, Baujahr irgendwann nach 1974 – dafür aber „unkaputtbar“, wie der fleißige Schrauber damals zu sagen pflegte. Der männliche Teil der Familie war skeptisch. Ich, weil man sich selbst als Fünfjähriger sehr schnell an den Komfort eines Golf GT gewöhnt, und mein Vater, weil er ganz grundsätzlich etwas gegen autofahrende Frauen hatte.
Vorzüge
Meine kindliche Ablehnung war jedoch nur von kurzer Dauer. Schnell zeigt sich, dass der knatternde Familienzuwachs durchaus seine Vorzüge hatte. Die Kombination Handballtraining und strömender Regen verlor Dank Mamas Käfer schnell ihren Schrecken. Gut, dass im Winter der Atem der Passagiere wegen der praktisch nicht existierenden Heizung innen an den Scheiben fror, war schon störend – dafür war unser Käfer das einzige Auto, das selbst bei eisigsten Temperaturen ansprang.
Quäkendes Radio
Auch wenn es abgedroschen ist – Mamas Käfer lief und lief und lief. Immer. Es mag das eine oder andere Husten, Stottern oder Rasseln gegeben haben. Nur gehört hat es eben keiner. Entweder wurden die Nebengeräusche durch die Motorgeräusche überknattert oder vom Gequäke des erbärmlichsten Radios übertönt, das jemals in ein Auto eingebaut wurde. Ich glaube es war von Grundig und bestand aus dem gleichen Material wie das restliche Armaturenbrett: schwarzes Ekel-Plastik. Fortdauernder Musikgenuss war mit diesem Geniestreich deutscher Ingenieurskunst praktisch unmöglich. Teilweise wechselten die Sender von Schlagloch zu Schlagloch.
Das Gepäckfach
Auf der Rückbank kam davon wenig an. Dort warteten ganz andere Freuden. Der Sitzbezug aus schwarzem Kunstleder, zum Beispiel – von meiner Mutter nur notdürftig mit einer blauen Häkeldeckel verhüllt. Oder der schon fast legendäre Gepäckschacht hinter der Rücksitzlehne. Aus irgend einem Grund hatte diese mit groben Teppich ausgeschlagene Wanne eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mitreisende Kinder. Kaum eingestiegen, und schon saß irgend jemand zwischen überzähligen Einkaufstüten, alten He-Man-Figuren, einem Abschleppseil und dem Starthilfekabel. Den hinter uns fahrenden Verkehrsteilnehmern brachte diese Praxis den einen oder anderen Winke-Winke-Gruß ein, meiner Mutter diverse Verwarnungen der Verkehrspolizei.
Der rote Käfer begleitet uns viele Jahre lang, bis ein böswilliger TÜV-Gutachter es ganz und gar nicht komisch fand, dass sich der Unterboden unseres Buckel-Porsche langsam auflöste. Mit den notwendigsten Reparaturen versorgt, leistete unser Käfer einem selbständigen Schreiner noch einige Jahre gute Dienste – ohne Rückbank und Beifahrersitz.
Ich habe nie wieder ein ähnlich hässliches Armaturenbrett, einen vergleichbar lauten Motor und eine derart desaströse Heizung erlebt – und nie wieder so viel Spaß gehabt wie in Mamas Käfer.