Motorrad-Saison Arglosigkeit ist des Bikers Tod

  • von Peter Ilg
Fast schon hätten sie die Autofahrer vergessen, da tauchen sie plötzlich wieder auf: Biker auf ihren rasenden Kisten, angelockt von den Sonnenstrahlen des Frühlings. Der macht euphorisch, was manchem Motorradfahrer zum Verhängnis werden könnte.

Mit dem April startet die neue Motorradsaison. Von einem Tag auf den anderen tauche sie wieder auf, die Biker. Dann ist die Gefahr sehr groß, dass etwas passiert. Denn die Motorradfahrer müssen sich nach langer Winterpause erst wieder an das Fahren auf zwei Räder gewöhnen und die Autofahrer sich auf die schnellen Verkehrsteilnehmer einstellen.

Der Winter war lang, hart und ist jetzt endlich vorbei. Doch das viele Salz hat deutliche Spuren im Asphalt hinterlassen, auch auf der so geliebten Hausstrecke. "Wer hier im blinden Vertrauen auf den bekannten Streckenverlauf unterwegs ist, der läuft Gefahr, dass ihn ein Schlagloch aus der Bahn wirft", warnt Matthias Haasper, Forschungsleiter des Instituts für Zweiradsicherheit in Essen. Autofahrer werden wüst durchgerüttelt, beim Zweirad können die Löcher zu schweren Stürzen führen und werden wohl bis in den Sommer hinein eine Gefahrenquelle bleiben. "Da hilft nur besondere Aufmerksamkeit und eine vorausschauende Fahrweise", so Haasper.

Jährlich verunglücken etwa 30.000 Biker auf Deutschlands Straßen. Das Institut für Zweiradsicherheit hat die Unfälle analysiert und herausgefunden, dass Bikern vor allem die Begegnung mit Linksabbiegern oder wendenden Fahrzeugen zum Verhängnis werden kann. „Die Autofahrer übersehen Motorradfahrer häufig oder schätzen ihre Geschwindigkeit falsch ein“, weiß der Forschungsleiter. In über 70 Prozent aller Karambolagen zwischen Auto und Motorrad trifft Autofahrer die Schuld am Unfall. Ist der Biker selbst schuld, dann hat er sein fahrerisches Können meist überschätzt.

Nach dem Winter vom Auto auf das Motorrad umzusteigen, das funktioniert nicht so einfach wie viele meinen. Das Bike beschleunigt deutlich schneller, hat keine Knautschzone und schon gar keinen Airbag. Der Umstieg muss deshalb sehr bewusst vollzogen werden, denn: "Wer gut Motorrad fährt, fährt gut Auto. Andersherum gilt die Gleichung nicht", sagt Ruprecht Müller, Experte für Motorradsicherheit beim ADAC in Landsberg am Lech. Arglosigkeit nach dem Motto: das geht schon, erhöht die Wahrscheinlichkeit, in einer Gefahrensituation nicht mehr reagieren zu können. Rasch reagieren, das kommt auf einem Motorrad einer Lebensversicherung gleich. Die griffigen Bremsen an den Bikes aber halten viele Fahrer davon ab, die Bremszangen möglichst weit zusammen zu drücken, aus Angst vor einem Überschlag. Doch je früher die Bremskraft seinen maximalen Verzögerungspunkt erreicht, umso kürzer ist der Bremsweg! Auf den ersten Metern wird die meiste Strecke abgebaut, die Tendenz zu einem Überschlag aber setzt erst auf dem letzen Stück ein. Für Müller sind diese Probleme Schnee von gestern. "Dass ein neues Motorrad ABS hat, muss für jeden Biker heutzutage ein entscheidendes Kaufkriterium sein."

"Jetzt ist die gefährlichste Zeit für Biker", meint Ruprecht Müller: weil die Motorradfahrer noch nicht auf dem Radar der Autofahrer sind und weil die Biker bei den ersten Sonnenstrahlen geradezu euphorisch reagieren. Motorradfahren hat viel mit der aktuellen Gemütssituation zu tun. Der Besuch eines AC/DC-Konzerts macht so manchen Biker auf der Heimfahrt übermütiger und damit risikofreudiger als sonst, oder strahlender Sonnenschein. "Die Zahl der Unfälle hängt direkt mit dem Wetter zusammen", weiß Müller. Je mehr Sonne - umso mehr verunglückte Motorradfahrer. Klar, dass bei schönem Wetter mehr Biker unterwegs sind als bei Regen. "Wenn die Straßen aber nass sind, wissen Motorradfahrer, dass sie aufpassen müssen. Sonne dagegen enthemmt sie geradezu." Der Mann vom ADAC räumt mit dem Vorurteil auf, dass die Fahrer von schnellen Supersportlern das höchste Risiko tragen. "Nein, es sind eindeutig diejenigen, die arglos unterwegs sind."