Der flapsige Spruch, dass ein neues Auto her muss, weil im alten der Aschenbecher voll ist, könnte für Käufer eines VW Golf Bedeutung erlangen. Denn wer mit einem noch jungen VW-Bestseller einen Crash baut, hat Anspruch auf einen Neuwagen, sofern die Kosten 5000 Euro überschreiten.
Nutzen können dieses auf den ersten Blick phänomenale Angebot all jene Kunden, die noch bis zum Ende des Jahres einen neuen Golf über die Volkswagenbank mit dem Paket "sauber + sorglos" finanzieren. "Der Neuwertschutz gilt 48 Monate lang und bringt den Kunden echte Vorteile", preist Banksprecher Stefan Voges-Staude das Finanzierungsbonbon an.
Experten beurteilen diese Aktion jedoch als versteckte Absatzförderung. Kein Wunder, bei einem Absatzminus von derzeit 7,2 Prozent in Deutschland. "Das Angebot verführt. Mit solch einer Option im Rücken kracht es wahrscheinlich viel öfter", sagt Klaus-Friedrich Meinecke, Schadenexperte der LVM aus Münster. Derzeit verursachen nach Schätzungen der Versicherer rund 7,5 Prozent aller Golffahrer pro Jahr einen Schaden mit Kosten von mehr als 5000 Euro.
Lieber einen großen Schaden
Das Problem ist, dass durch den Tausch nicht nur Profi-Gauner auf krumme Gedanken kommen können, sondern auch bislang brave Zeitgenossen. Wer zum Beispiel eine Beule im noch relativ frischen Blech hat und mit der Reparatur zögert, weil die schnell 1000 und mehr Euro kosten kann, wird die Betonsäule in der Garage beim nächsten Ausparken womöglich härter "ungewollt" streifen. 5000 Euro für einen neuen Kotflügel, Lackierarbeiten und zu behebende eventuelle Schäden an der Achse sind schnell erreicht. Besonders bei Schäden zwischen 4000 und 5000 Euro wird die Versuchung groß, ein "wenig" nachzubessern.
Das Auto bei diesen Aktionen fahrunfähig zu machen, ist gar nicht nötig. Es reichen auch tiefe Kratzer im Lack ringsum, von denen keiner weiß, wer sie reingeratscht hat. "Die echten Betrüger schleifen einfach von vorne bis hinten über eine Seite", sagt Wolfgang Nover, Präsident des Bundesverbandes öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger (BVK) in Solingen. "Dann ist der Wagen noch fahrbereit", sagt der Diplom-Ingenieur, aber bereits richtig teuer in der Reparatur. Auch Nover sieht die Gefahr, dass viele Autokäufer das VW-Angebot falsch verstehen und möglicherweise einen "Unfall mehr oder weniger hin nehmen". Untergräbt VW damit die Verkehrssicherheit? "Wir vertrauen unseren Kunden", sagt Karsten Crede, Sprecher der Geschäftsführung des Volkswagen Versicherungsdienstes (VVD). Gleichzeitig habe das Unternehmen "wie bei allen Schäden, Maßnahmen zur Betrugsvorbeugung getroffen", sagt Crede.
Begrenzter Vorteil
Natürlich gibt es das neue Auto auch bei unverschuldeten Unfällen. Trotz Entschädigung durch die gegnerische Haftpflichtversicherung muss dann zunächst die eigene Vollkaskoversicherung eingeschaltet werden. So kostet der Neuwertersatz in allen Fällen 300 Euro Selbstbeteiligung. Aber nicht den Schadensfreiheitsrabatt, denn die VW-Bank gewährt bei der Finanzierung Rabattschutz.
Doch was auf den ersten Blick verlockend wirkt, hat einige Haken. So darf sich der Versicherungsnehmer nicht von der Aussicht blenden lassen, seinen "eingetauschten" Neuwagen dauerhaft zu bekommen, wenn die Reparaturkostengrenze überschritten wird. Denn die "Neuwertentschädigung" funktioniert so: Das neue Auto muss am Ende der Finanzierung entweder zurückgeben werden oder der Restwert wird mit einem abermals neuen verrechnet. Einen echten finanziellen Vorteil hat der Kunde also nicht. Bis zum Ende der Finanzierung fährt er einen neuen Wagen, aber darüber hinaus gibt es nichts.
Und auch für Volkswagen könnte die Aktion zum schlechten Geschäft werden. Denn wenn Golffahrer plötzlich massenhaft Schäden melden, um an ein neues Auto zu kommen, dann rechnet sich das Modell womöglich nicht. Während es von Versicherungen normalerweise nur beim Totalschaden bis zur 24 Monaten nach der Erstzulassung ein neues Auto gibt, schluckt bei der VW-Entschädigung der Hersteller den Wertverlust.
Verschenkt wird nichts
Der ist groß. "Bei einem VW Golf 1.9 TDI Comfortline sind das nach 36 Monaten fast 10000 Euro", sagt Roland Stach, Experte des Gebrauchtwagenspezialisten EurotaxSchwacke. In dieser Zeit verliert der Golf über 40 Prozent. Sollte der Großteil der getauschten Golfs noch fahrfähig sein, müssten diese, um wenigstens etwas Geld wieder einzuspielen, auf dem ohnehin verstopften und schwierigen Gebrauchtwagenmarkt losgeschlagen werden. Kein Wunder, dass ein Vorstand eines großen Autoversicherers orakelt: "Das wird Volkswagen in drei Jahren wohl bereuen."
Wenig transparent ist zudem die Finanzierung. Wer den Neuwertschutz will, muss gleichzeitig eine teure Restschuldversicherung abschließen, die bei Tod, Krankheit oder Arbeitslosigkeit, die Raten weiterzahlt. Peter Abrahams von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sagt zwar, dass "das erlaubt ist und kein verbotenes Koppelprodukt" darstellt. Dennoch wird aber der VW-Kunde mit dem Hinweis in die Irre geführt, dass der erweiterte Neuwertschutz "gratis" sei. Tatsächlich sind alle vermeintlichen Versicherungsbonbons in die monatliche Rate einkalkuliert.