"The Movies" Erhör mich, mach mich zum Filmstar!

Mit seinem Computerspiel "The Movies" liefert Game-Designer Peter Molyneux nicht nur Futter für lange Herbstabende - das Spiel lehrt auch, wie Hollywood im Innersten funktioniert.

Schicksale bestimmen, Welten lenken, Macht und Einfluss haben, leben wie ein Gott, sterben wie ein Gott - um diese Motive drehen sich die Computerspiele von Peter Molyneux, seit er Ende der 80er Jahre ein Spiel namens "Populous" erfand, in dem die Welt plötzlich ganz klein wird und der Spieler allmächtig über allem schwebt. Seitdem legt er Glück und Verderben in die Hand seiner Spieler, sie entscheiden, ob die Ernte glückt oder Vulkane ausbrechen, ob Menschen zueinander finden oder sich voneinander abwenden. Die Spieler sind frei, aber ihr Tun hat Konsequenzen.

Macht und ihre Auswirkungen auf den Menschen: Dieses große, alte Thema hat ihn nie wieder losgelassen. Auch die Fragen nicht, die sich aufdrängten, wäre man der Allmächtige: Was ist gut, was böse? Will ich ein milder Gott sein oder ein gefürchteter? Wie gut, wie böse bin ich eigentlich? Solche elementaren Fragen lässt Molyneux offen und gibt sie an den Spieler weiter.

Inzwischen ist Molyneux

45 Jahre alt und ein überaus eloquenter, sehr britischer Brite geworden. Einer, der wegen seiner Verdienste um die englische Spieleindustrie gerade in den "Order of the British Empire" aufgenommen wurde, und einer, mit dem man gern vor einem flackernden Kaminfeuer über die vielen überraschenden Ideen reden möchte, die immerzu in seinem Kopf gedeihen.

Eine dieser Ideen lässt sich nun aus dem Regal nach Hause tragen. Endlich ist sein neues Werk "The Movies" erschienen, und obwohl es auf den ersten Blick nicht so scheint, ist es ein echter Molyneux. Oder, mehr noch: Es ist der beste Molyneux seit langer Zeit. Denn wo große Ideen sind, lauert das Scheitern - und Molyneux ist in den vergangenen Jahren öfter daran gescheitert, seinen Visionen die perfekte Gestalt zu verleihen. Die Spiele waren allesamt außerordentlich, aber man hatte das Gefühl, er könne es eigentlich besser.

Bei "The Movies" ist das anders. Das Spiel ist durchdacht, es hat Tiefe, und es ist ein großes Vergnügen, Stunde um Stunde damit zu verbringen. In "The Movies" geht es darum, ein Filmstudio aufzubauen und es möglichst erfolgreich von den Anfängen Hollywoods in den Zwanzigern bis in die heutige Zeit zu führen - von stummen Slapsticks bis zu "Matrix".

Der Spieler ist der Boss,

er allein entscheidet über alles: wo und wann Gebäude auf dem Studiogelände gebaut werden, welche Drehbücher entstehen, wer der Regisseur ist, ob aus einem kleinen Talent ein großer Star wird oder nicht, wie lange er das bleibt, mit welchem anderen Star er herumturtelt und welches Image er hat. Der Spieler produziert nicht nur Filme, er erschafft Menschen. Peter Molyneux' Schöpfer hat sich eine moderne Form gesucht: Er lässt keine Felder mehr blühen, sondern übt seine Macht mit Illusionen aus. "Viele sehen Hollywood als ein fremdes Universum, das nichts mit dem Rest der Welt gemein hat", sagt Molyneux. "Nun können sie entdecken, wie diese Welt funktioniert."

Molyneux' digitale Erfindungen sind niemals nur Spiele, sie sind immer auch Werkzeuge des Verstehens. Und so lernen Spieler auch mit "The Movies" viel über das System Hollywood. Nicht nur, wie viel Arbeit dahinter steckt, bis ein Star "gemacht" ist. Sondern etwa auch, wie in den Studios neben Filmen planmäßig Skandale und Liebschaften zwischen Stars entstehen, weil sich das Publikum - also wir - so sehr danach sehnt. Wer zum dritten Mal seinen Star von der Bar wegzerren muss, um ihn zu zwingen, einen Film endlich fertig zu drehen, oder wer gnadenlos seine Diva feuert, weil sie zu alt geworden ist, der entdeckt vielleicht zum ersten Mal die Brutalität hinter den Kulissen Hollywoods - gerade weil er es nicht aus der Klatschpresse erfahren hat, sondern verantwortlich dafür ist.

Diese Wirklichkeit zu zeigen ist auch ein Anliegen von Peter Molyneux, denn er weiß um die Macht, die das Filmgeschäft ausübt. "Hollywood beeinflusst unsere Kultur in großem Maße", sagt er. "Viele Menschen ziehen sich an wie Filmstars, handeln wie sie, wollen so sein wie sie. Die Leute in dieser Szene merken aber oft nicht, was sie anrichten können. Wenn sich ein Star oft betrinkt, kann es sein, dass auch andere mit dem Trinken anfangen." Ist Hollywood also gut oder böse? "Nichts davon. Es ist nur unmoralisch", sagt er und meint es ernst damit.

Es wäre zu einfach für ihn gewesen, mit "The Movies" nur eine Satire auf Hollywood zu liefern, einen Kommentar zum Film-Business mit dem Medium des Computerspiels. Seine Spiele stehen für spielerische Freiheit, für eine Freiheit, der nur von der eigenen Moral Grenzen gesetzt werden; Molyneux bevormundet nicht.

Und so ist es nur konsequent, dass er die Spieler ihre eigenen Träume wahr machen lässt: In "The Movies" können sie nicht nur ein Filmstudio führen, sondern nach eigenen Ideen ihre eigenen Drehbücher und Storyboards erstellen. Sie können mit einer Software eigene Stars basteln, die aussehen wie ihre Eltern, ihr Chef oder der Klassenlehrer - das Programm ist so ausgefeilt, dass sich fast jedes Gesicht damit modellieren lässt. Und dann können die Spieler mit ihren eigenen Stars ihre eigenen Filme drehen, schneiden, vertonen, synchronisieren und das Ergebnis im Internet jedem zeigen, der es sehen will.

"The Movies" ist eine Traumfabrik als Computerspiel. Peter Molyneux hat sein eigenes Hollywood erschaffen und es in dieser Woche in die Freiheit entlassen. Und wie immer bei ihm haben es fortan allein die Spieler in der Hand, was sie damit anfangen.

print
Sven Stillich

PRODUKTE & TIPPS

Mehr zum Thema