Computerspiele Moderne Helden

Figuren aus Videospielen haben keine Probleme? Weit gefehlt! Gerade die Stars sind meist gebrochene Persönlichkeiten.

Jeden Tag legen sie ihr Leben in unsere Hand. Ein falscher Tastendruck könnte für Lara Croft den Schritt in den Tod bedeuten, eine zu langsame Reaktion für den Klempner Mario den Sturz von einem Hausdach. Wir sind verantwortlich, wenn sie scheitern. Gelingt uns jedoch etwas, können wir Lara Croft zur Heldin machen, Mario zum Helden - und mit ihnen, am Ende des Spiels, sind auch wir Heroen, Spielerhelden, die ein Leben gerettet und eine Geschichte zu einem glücklichen Ende gebracht haben. Zu schwach wäre Lara ohne uns, Mario wäre zur Untätigkeit verdammt. Denn die Stars guter und erfolgreicher Computer- und Videospiele sind meistens verletzliche, gebrochene Charaktere. Sie sind viel mehr als "Spielfiguren", auch wenn sie uns auf den ersten Blick martialisch oder allzu bunt erscheinen. In dem gerade erschienenen Buch "1000 Game Heroes" zeigt der französische Journalist David Choquet, unterstützt von renommierten Spieledesignern wie Shigeru Miyamoto ("Super Mario", "Zelda") und Peter Molyneux ("Black & White"), wie diese modernen Helden aussehen und welche Biographie sich hinter ihnen verbergen.

Buchinfo

"1000 Game Heroes" von David Choquet; Taschen Deutschland; 608 Seiten; auf Englisch, Deutsch, Französisch; ca. 30 Euro

Blicke zurück zeigen häufig Düsternis

Der Blick zurück, auf die Zeit vor dem Spiel, fällt den meisten Helden schwer. Lara Croft zum Beispiel, die schöne Archäologin aus der Spieleserie "Tomb Raider", stammt zwar aus einer adeligen Familie, die jedoch gibt es nicht mehr. Ihre Eltern sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Lara Croft ist Vollwaise, für sie gibt es kein Zurück, nur die Suche nach dem neuen Abenteuer, dem ungehobenen Schatz, dem nächsten Kick. Ähnlich getrieben ist Titus, die eigentlich strahlende Hauptperson des Videospiels "Final Fantasy". Titus muss ansehen, wie seine Heimat zerstört wird, und findet auf seiner schmerzhaften Suche nach den Schuldigen immer mehr heraus über seinen ungeliebten Vater, der früh verstorben ist. Das Spiel erzählt so seinen Spielern eine Parabel über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens. Eine Geschichte über Einsamkeit und Vertrauen durchlebt hingegen James Sutherland. Der Held des Gruselspiels "Silent Hill 2", und eigentlich wollte er niemals ein Held sein. Dazu gezwungen wird er jedoch, als seine geliebte Frau Mary krank wird, stirbt und er - von Erinnerungen gequält - in das Städtchen "Silent Hill" fährt, in das Mary immer zurückkehren wollte. Erst dort beginnt die düstere Geschichte, die er und der Spieler gemeinsam meistern müssen, damit James Sutherland seinen Frieden wiederfindet.

Sogar in Super Marios Leben ist nicht alles eitel Sonnenschein

Doch nicht nur Kapitel ihrer Familiengeschichten prägen moderne Spielestars - sogar die größten unter ihnen haben soziale Ächtung erfahren. Mario zum Beispiel, der langjährige Nintendo-Held, wird im eigentlich sehr sonnigen Spiel "Super Mario Sunshine" für ein Verbrechen verantwortlich gemacht, das er nicht begangen hat. Die Folge: Kaum jemand redet mit ihm, die Gesellschaft grenzt ihn aus. Damit er daran nicht zerbricht, muss er handeln, muss höher und eindrucksvoller springen, muss immer mehr Rätsel lösen, und damit den Spieler dazu bringen, mit ihm solange Zeit zu verbringen, bis er unschuldig wieder der Mario sein darf, den jeder kennt. Auch er in Getriebener, der uns antreiben muss - wie ein Gefangener, dem die Freiheit versprochen wird, wenn dem König seine Kunststücke lange genug gefallen. Unschuldig, das als letztes Beispiel, ist auch Ico, die Hauptperson des gleichnamigen Playstation-Spiels. Ico ist ein Junge, der nur einen Fehler hat: er ist anders ist als die Heranwachsenen in seinem Dorf. Er ist mit Hörnern geboren worden - ein genetischer Defekt, wegen dessen er in eine Festung verbannt wird. Auch ihm - und einem kleinen, ebenso unschuldigen Mädchen - kann nur der Spieler den Weg zurück in die Gesellschaft ebnen. Oder den vielleicht glücklicheren aus ihr heraus.

Der Spieler ist verantwortlich für die Helden

Hinter dem strahlenden Heldentum heutiger Computer- und Videospiele schimmert also meist etwas dunkles durch. Etwas, das sie sich aus Film und Literatur geborgt haben, etwas, das die Figuren zu Persönlichkeiten macht. Und das den Spieler erst dazu bringt, sich in seine Helden hineinzufühlen - auch wenn er immer wieder scheitert und für ihr Scheitern verantwortlich ist. Dann stehen unsere Helden zwar meist wieder auf, aber ihre Probleme sind immer noch da.

Sven Stillich

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