Meine Praktikantin Antonia war ein halbes Jahr bei mir. Acht Stunden am Tag hat sie geschubbert und geackert - alles im Dienste dafür, nach der Schule einmal probeweise in einen Beruf hineinzuschnuppern und erste Erfahrungen zu sammeln. Die Idee dazu, selbst ein halbjährliches Praktikum auszuschreiben, kam mir auf einem Familiengeburtstag. Da war jemand dabei, der selbst gerade ein halbes Jahr für das Fußball-Magazin "11 Freunde" ackerte und dafür ein Taschengeld bekam, das ihn erfreute, dem Verlag aber ganz bestimmt nicht wehtat.
Alles prima
Da beschloss ich, das für mich zu kopieren - halbes Jahr Dauer, Taschengeld, alles prima. Meine Praktikantin fand das auch prima. Sagt sie jedenfalls. Ein Wunschgriff: Schnell organisierte sie eigenverantwortlich das ganze Büro, schrieb Texte, erledigte die Telefonate und holte die Post. Ich sag mal: für mich das Optimum. Endlich kam ich einmal zum eigentlichen Arbeiten und musste mich nicht mehr um den Alltagskram kümmern. Antonia hingegen lernte gleich nach dem Abitur die harte Bürowelt kennen und eignete sich Selbstvertrauen, Kompetenzen und Erfahrungen an - auch solche mit bösen Kunden oder echten Unsympathen.
Das Problem: Auch ein halbes Jahr geht irgendwann vorbei. Inzwischen ist meine Praktikantin nach Rostock verzogen, um dort zu studieren. Aber das ist ja kein Problem, ich komme ja auch so klar. Nach und nach habe ich alle Büroarbeiten wieder an mich gerissen, ihren Schreibtisch aufgeräumt und alles neu organisiert. Wirklich? Heute war meine "Büro-Ex" mal wieder vor Ort, ihre Eltern besuchen. Da habe ich sie gleich gefragt, ob sie nicht arbeiten kommen wolle, jetzt zum regulären Stundenlohn. Sie kam. Trotz Grippe. Als Student ist man ja froh über jeden Job.
Mehr von Carsten Scheibe
Mein dreckiger Schreibtisch Müssen eigentlich alle Kreativen kleine Dreckferkel sein, was die Ordnung auf ihrem Schreibtisch anbelangt? Fast scheint es so! Carsten Scheibe sammelt die "schlimmsten" Tatsachenfotos aus der ganzen Welt. Staunen, Erschrecken, Mitmachen: DreckigerSchreibtisch.de
Ein Schock
Doch ihr Entsetzen war groß. Der riesige Poststapel! Hat denn niemand mehr die eingehenden Briefe geöffnet? Doch, habe ich. Aber eben nur die wichtigen. Sie schnappt sich den Stapel und arbeitet alles ab. Und schon schreit sie schon wieder. Die Verlosungen! Hat denn niemand CDs an die Medien geschickt? Ich druckse herum und sie erledigt auch das noch. Entsetzt ist sie auch darüber, dass niemand ihre Mails gecheckt hat. Und ob wir denn endlich gelernt haben, Etiketten auszudrucken? Nein? Um Himmels Willen! Sie schüttelt den Kopf und schaut strafend. Dann verschickt sie Belege, geht die allgemeinen E-Mails durch, packt Pakete und sortiert die Clipping-Belege unserer Pressekunden. Emsig wirbelt sie hin und her und hinterlässt eine breite Spur der abgearbeiteten Kleinigkeiten. Hier ein liegengelassener Job, dort ein anderer.
Am Ende des Tages habe ich endlich einmal wieder das Gefühl, das alles erledigt ist. Anscheinend habe ich doch noch nicht alles im Griff. Aber eine Sekretärin einstellen, das möchte ich nicht. Ein neuer Praktikant? Bis der eingearbeitet ist, das dauert! Zum Glück gibt es eine Lösung. Am Freitag hat meine alte Praktikantin Uni-frei, da kommt sie alle zwei Wochen zu uns - arbeiten. Na bitte, das ist doch ein Wort. Dann brauche ich nicht länger ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich einmal nicht alles sofort erledige. Bald sind zwei Wochen wieder um und Antonia kommt, um das Chaos zu beseitigen.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania