Herr Blecharczyk, Sie sind der Strategiechef bei Airbnb, haben das Unternehmen damals gemeinsam mit CEO Brian Chesky und ihrem Mitbewohner Joe Gebbia gegründet.
Wir haben in wirtschaftlich schweren Zeiten begonnen, während der Rezession 2008. Joe, Brian und ich benötigten dringend Geld und begannen, mit Luftmatratzen auf dem Boden die ersten Gäste bei uns schlafen zu lassen. Aus “Airbed and Breakfast” wurde Airbnb. Wir wollten nur unser Apartment bezahlen können. Viele der ersten Nutzer:innen waren Menschen, die gerade ihren Job verloren hatten.
Heute ist die Situation wieder ähnlich.
Aus Umfragen rund um die Welt wissen wir, was unsere Nutzer:innen antreibt. Mehr als 30 Prozent der deutschen Hosts geben etwa an, dass die gelegentliche Vermietung ihres Zuhauses ein Weg ist, mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten umzugehen. Diese Zahl ist überall recht ähnlich. Jeder spürt den wirtschaftlichen Druck, die Vermietung kann da helfen.
Schlägt sich das in Ihrem Geschäft nieder?
Das Interesse am Gastgebern ist riesig. Seit Beginn der Pandemie zählten wir etwa 60 Millionen Besucher:innen auf unserer Seite, die sich auf dafür interessieren, wie man ein Inserat für eine Unterkunft erstellt. Wir haben aber nur vier Millionen registrierte Gastgeber:innen. Es gibt eine große Neugierde, aber oft überwiegt offenbar die Zögerlichkeit.
Das ist nachvollziehbar. Man lässt die Gäste in den Schutz des Zuhauses.
Für viele ist das immer noch ein sehr ungewohnter Gedanke, seine eigenen vier Wände zu vermieten. Das gab es vor Airbnb nicht in der Art. Es gibt eine riesige Vertrauensbarriere, schließlich lässt man einen Fremden bei sich übernachten. Genau darum geht es auch bei unserer jüngsten Ankündigung: Wir wollen es potenziellen Gastgeber:innen so einfach wie möglich machen, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen und den ersten Schritt zu machen.
"Wie soll man anfangen? Wie lernt man, den Gästen zu vertrauen?"
Welche Ängste sehen Sie am häufigsten bei Neu-Gastgebern?
Die Fragen sind immer dieselben. Wie soll man anfangen? Wie lernt man, den Gästen zu vertrauen? Wir verbinden neue Gastgeber:innen bei der Neuanmeldung in der App deshalb jetzt direkt mit einem der sogenannten Superhosts. Das sind erfahrene Gastgeber:innen mit sehr guten Bewertungen. Sie beantworten Fragen und helfen bei der Erstellung eines Angebots. Auch bei den Gästen setzen wir auf Erfahrung: Die ersten sind auf Wunsch erfahren und gut bewertet, sie wissen, was sie erwarten können und andere Gastgeber:innen können ihnen vertrauen.
Beides kommt aber erst dann, wenn ein neuer Gastgeber sich bereits entschieden hat, einen Account einzurichten. Wie kann man diejenigen potenziellen Gastgeber erreichen, die sich selbst vor diesem Schritt scheuen?
Wir führen viele Umfragen dazu durch. Was steht der Entscheidung im Weg, wovor fürchten sich die Menschen, wenn sie Fremde zu sich nach Hause lassen sollen? Die meisten hält am ehesten die Unsicherheit davon ab, ob wirklich jemand bei ihnen wohnen möchte. In ihrer Gegend, ihrer Wohnsituation, ihren Möbeln und so weiter. Um diese Sorgen zu besänftigen, zeigen wir neuen Gastgeber:innen bei der Einrichtung auch andere Angebote in ihrer Gegend, inklusive des Preises. So bekommt man schnell ein Gefühl dafür, dass es eben doch eine Nachfrage nach dem gibt, was man selbst anbieten kann, solange der Preis stimmt.
Auch das findet aber nach der Entscheidung statt.
Das stimmt. Um die grundsätzliche Angst zu nehmen, setzen wir vor allem auf eine Absicherung der Gastgeber:innen. Wir haben ein allgemeines Partyverbot für sämtliche Airbnbs eingeführt und versichern das Eigentum der Gastgeber:innen jetzt mit bis zu drei Millionen Dollar mit unserem Programm Aircover, das für alle Gastgeber:innen kostenlos ist und bei jeder Buchung gilt – inklusive Booten oder auch Kunstwerken.
Airbnb: Das hat sich beim Reisen verändert
Mit dem Beginn der Pandemie kam für Airbnb zunächst ein ziemlicher Einbruch – und dann ein gigantischer Boom. Die Menschen wollten reisen, aber die Menschenmengen in Hotels meiden. Das Homeoffice erlaubte das Arbeiten von überall. Glauben Sie, wir haben es hier mit einer nachhaltigen Veränderung des Denkens zu tun oder werden viele in alte Gewohnheiten zurückfallen?
Es gab definitiv eine grundlegende Veränderung, was beim Reisen erwartet wird. Einiges hat sich wieder normalisiert, wir dürfen wieder grenzenüberschreitend reisen wie vorher. Das mobile Arbeiten gab es vorher so nicht, wird für viele Menschen aber der Alltag bleiben. Das verändert auch die Perspektive auf das Reisen, auf die Frage, wie lange sie bleiben können.
Wir spüren diese Veränderung etwa bei Langzeitvermietungen. Die machen mittlerweile 20 Prozent der gebuchten Nächte auf Airbnb aus. Während der Pandemie ist das immer weiter angestiegen und danach bislang stabil geblieben. Diese Art von Flexibilität bleibt. Außerdem hat sich ein größeres Bewusstsein dafür entwickelt, dass es oft schöne Reiseziele in der Nähe gibt. Man nicht fliegen muss, sondern sich nur ins Auto setzt, ein paar Hundert Kilometer fährt und eine tolle Zeit haben kann. Und dabei hilft, dass man auf Airbnb jetzt in einzigartigen Kategorien suchen kann: Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, bekommt man Orte vorgeschlagen - vielleicht auch ganz in der Nähe - auf die man sonst nie gekommen wäre.

Airbnb wurde in einer Krise gegründet, erlebte während der Pandemie seinen größten Boom. Nun steht die nächste Wirtschaftskrise vor der Tür. Welche Auswirkungen erwarten Sie, abseits von mehr Nutzern, die aus Geldmangel ihr Zuhause vermieten?
Die Gefahr einer Rezession ist nicht wegzureden. Viele Menschen werden auf ihr Budget achten müssen. Trotzdem sehe ich Airbnb in einer starken Position. Es gibt ein Bedürfnis zu reisen, das wird sich nicht fundamental ändern. Wir haben Angebote in jeder Preislage, können für jedes Budget unterschiedlichste Ziele anbieten. Ich sehe es daher für uns eher als Chance, gegenüber der klassischen Hotelbranche Marktanteile zu gewinnen. Unabhängig davon, wie sich die Gesamtwirtschaft entwickelt.
Sehen Sie da einen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage?
Wir können keine direkte Kausalität nachweisen, aber es gibt einen messbaren Anstieg der Lebenshaltungskosten und damit auch einen Anreiz, sein Zuhause oder Teile davon zur Vermietung anzubieten. Während der Pandemie waren viele der hinzugekommenen Angebote außerhalb der großen Städte, oft auch Ferienhäuser. Unterkünfte in ländlichen Regionen waren dieses Frühjahr fast 70 Prozent höher als vor der Pandemie, angetrieben durch die anhaltende Nachfrage nach Übernachtungen außerhalb der Städte. Ich würde erwarten, dass angesichts der Wirtschaftslage auch mehr Menschen ihr primäres Zuhause vermieten werden. Schon jetzt können wir beobachten, dass die Zahl der Privatzimmer weltweit im Vergleich zu letztem Jahr um etwa 31 Prozent angestiegen ist, in Deutschland sind es sogar 50 Prozent.
Als Strategiechef sind Sie für die Ausrichtung des Unternehmens verantwortlich. Eine Zeitlang wurde viel ausprobiert, Airbnb wollte in andere Geschäftsfelder vorstoßen. Welche Experimente hätte man sich lieber sparen sollen?
Vor Covid hatten wir viele unterschiedliche Pläne, wollten jeden Aspekt des Reisegeschäfts abdecken. Schließlich kennen wir unsere Nutzer:innen und ihre Bedürfnisse sehr gut. Wir sehen, dass Menschen die einmaligen Angebote schätzen. Die Baumhäuser, Häuser mit Annehmlichkeiten wie Basketballplätzen oder Bowlingbahnen oder historische Unterkünfte. Diese Vielfalt macht für viele den Reiz aus. Die Flüge und ähnliches buchten unsere Nutzer aber auf anderen Portalen. Warum sollten wir also nicht alles aus einer Hand anbieten?
Ich denke immer noch, dass wir damit durchaus langsam ein Geschäft hätten aufbauen können. Aber es wäre kein besonders gutes gewesen. Die Wahrheit ist: Wir wären in diesem Bereich nicht herausragend gewesen. Klar, wir haben eine treue Community. Aber wenn wir Flüge angeboten hätten, hätten sich die nicht von denen anderer Dienstleister unterschieden.
Dann lieber beim Kerngeschäft bleiben.
Während der Pandemie mussten wir einige schwere Entscheidungen treffen, mussten 1800 Mitarbeiter entlassen. Wir hatten zu entscheiden, welche Projekte uns wirklich strategisch und langfristig weiterbringen. Und das sind die einzigartigen Unterkünfte auf unserer Plattform. Das bietet in dieser Art niemand anderer. Und es gibt noch viele potentielle Gastgeber:innen, um die wir weiterwachsen können. Wenn wir sie überzeugen.