Da sollte man meinen, die Firma mit dem großen T wäre über den Verlust des Jan Ullrich hinweg, immerhin fahren Teile des Team Telekom unerwartet couragiert durch Frankreich. Und was offenbart der Blick auf die Team-Seite, die zugleich eine T-Online-Seite ist, am Tag nach der Schlacht von Alpe d'Huez? Drei Bilder von Jan Ullrich im Bianchi-Trikot. Oje.
Jan Ullrichs Oberrohr...
Das Bianchi-Team des Radstars ist so frisch, dass die Zeitfahrräder erst in der Nacht vor dem Mannschaftswettbewerb fertig wurden. Kein Wunder, dass im deutschsprachigen Web noch nichts Offizielles zu finden ist und die deutschen Anhänger des neuen Rennstalls mit einer Privatseite und einer Baustelle vorlieb nehmen müssen. Wenn sie dafür nicht auf die offizielle deutsche Seite des Hauptsponsors schauen, kann es Bianchi nur Recht sein. Denn dort wissen die Italiener noch gar nicht, dass es das Team Coast nicht mehr gibt. Das gilt selbstredend nicht für die italienische Seite, aber dass die Olivenpresser ein Problem mit einförmigen Blondsäufern haben, ist ja bekannt. In der Heimat wird das Team hingegen ausführlich gefeiert - inklusive Rahmengeometrie der einzelnen Fahrer - Jan Ullrichs Oberrohr misst 588 Millimeter.
"Kann niemandem Charakter beibringen"
Vielleicht ist ja das angespannte Verhältnis zwischen Bella Italia und Teutonia der Grund, warum Alessandro Petacchi, unumstrittener Star der ersten Tourwoche, beim ersten Berg aus dem Sattel fiel. Sozusagen als späte Wiedergutmachung an die general-beleidigten Deutschen, hier Erik Zabel, dessen Chancen auf das Grüne Trikot so wohl wieder steigen. Dabei ist doch der Kolumbianer Botero der Blonde im T-Team. Und Petacchis Teamchef Giancarlo Ferretti machte auch gleich vor, wie sich ein ehrenhafter Chef zu verhalten hat: Er schäme sich für seinen Radler und fügte hinzu, als wolle er es allen Regierungschefs der Welt ins Stammbuch schreiben: "Ich kann die Taktik bestimmen, aber einer Person keine Charaktereigenschaften beibringen."
Guido Augustin
Kolumnist für stern.de seit 1997 - und das A der H&A medien: Redaktion, Public Relations und Online-Konzepte.
Der Star ist das Team
Apropos Erik Zabel: Der langjährige Weltranglisten-Primus und fünffache Gewinner des Grünen Trikots muss sich schwer unterordnen: Erik Zabel bekommt nicht mal eine eigene Startseite. Wer seinen Namen mit dem .de versieht, landet auf der Team-Seite. Der Star ist die Mannschaft. Wie bei der ARD, nur dass es dort viele gute Käsesorten gibt. Allerdings bietet der pompöse Tour-Auftritt des Programmauftragträgers gegenüber dem TV-Gebaren die einmalige Chance, zu sortieren. Während der Abfahrt vom Dach der Tour waren die deutschen Zuschauer den Herren Watterodt und Boßdorf hilflos ausgeliefert: Eurosport übertrug Motorradrennen. So quälten Moderationen rund ums leibliche Wohl, frei a la "13 Uhr. Die Fahrer können bei der rasenden Abfahrt nicht ans Essen denken, aber hier in der Gegend gibt es ...". Besser online: Die Rubriken "TourKultur" und "TourGourmet" muss ja keiner anklicken. Und wem der Live-Ticker zu leblos und langweilig ist, der gehe zu Sport1, die haben die Nase ganz weit vorne.
Am Puls des Peloton
Eurosport hingegen brilliert einmal mehr durch fachkundige und unterhaltsame Kommentare - mit Wiesenhof-Profi Jens Heppner gelang ein Glücksgriff für den Co-Moderatoren-Stuhl, auch wenn das Duo Angermann/Rominger so unerreicht bleiben wird wie die Siegbilanz des Eddy Merckx. Dafür hängen die Eurosportler online durch - mit einer Ausnahme: der genialen Kooperation mit der Pulsuhr-Firma Polar. Nicht nur, dass die Pulsfrequenzen ausgewählter Tour-Starter während der TV-Reportagen live eingeblendet werden können, auf den Seiten der Finnen gibt es ein Tour-Gewinnspiel und Tagespulskurven mit hinreißenden Kommentaren zu bestaunen - sehenswert!
Endlich aufgeholt haben auch die Hausherren, die offizielle Tourseite liefert nach der Etappenankunft zumeist die schnellsten Ergebnisse und außerdem ein hübsches Magazin, auch auf Deutsch. In dieser Hinsicht ungeschlagen: Radsport-News. Auch wenn zuletzt die Server rauchten, hier bekommen Radsportfreaks das beste Futter, hier werden auch mal Ikonen wie Rudi Altig ob ihrer Rumpelrhetorik zurecht gerückt, hier ist die Kompetenz zuhause.
Wann schreiben die eigentlich?
Dass Altstars wie Altig (ARD) und Marcel Wüst (ARD, Spiegel.de) Zeit haben, Kolumnen zu schreiben, sei unumstritten. Doch mittlerweile bekommen surfende Tour-Fans den Eindruck, die Lenker der deutschen Fahrer bräuchten Halterungen für Reiseschreibmaschinen: Jens Voigt kolumniert auf Sport1, Jörg Ludewig haut für Radsport-News in die Tasten, Jan Ullrich und Grischa Niermann melden sich täglich auf ihrer privaten Homepage. Nur der große Lance Armstrong, den so viele so gerne für nicht so stark wie die vergangenen Jahre hielten, der hält die Tinte. Auf seiner Site schreibt mit Chris Carmichael sein langjähriger Trainer und Freund - der sitzt schließlich den ganzen Tag im Auto rum, da fällt die Reiseschreibmaschine auch nicht herunter.