Kolumne - Neulich im Netz Zukunftsmusik: Der Film mit dem Hasen

Im Bürgerbüro drei Straßen weiter haben sie jetzt auch Internet. So wollen sie die Verwaltung auf Vordermann bringen und ran an den Bürger.

Die Tochter eines guten Bekannten ist im Vorschulalter. Sie lernt gerade Rad fahren und nimmt ihren Hasen immer mit. Der heißt Felix und sitzt in einem Körbchen, das am Lenker hängt. Im Kommunalen Kino zeigen sie den Film zum Hasen. Da will die Tochter hin. Gemeinsam mit ihrer hübschen Mama geht sie zum Bürgerbüro, um zwei Kinokarten zu kaufen.

Im Büro ist es voll. Vor den beiden Schreibtischen haben sich zwei Schlangen gebildet. Hinter dem einen Schreibtisch sitzt ein Mann mit hochrotem Kopf. Er starrt auf seinen Monitor und stöhnt: "Das gibt es doch nicht. Schon wieder aufgehängt." "Was?", fragt die ältere Dame auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. "Aufgehängt, das Drecksding", antwortet der Mann. "Aha", sagt die Dame und klingt so, wie ein Mensch klingt, der nicht wirklich weiß, um was es geht.

Die Schlange vor dem Kaninchen vor dem Monitor

Am zweiten Schreibtisch sitzt eine Frau, die still und mit großen Augen auf ihren Monitor starrt. Sie sieht aus wie schockgefrostet. Tatsächlich aber bewegt ihre rechte Hand die Computermaus. "Aha", sagt die Frau und klingt so, wie ein Mensch klingt, der nicht wirklich weiß, was er tut. Vor ihr sitzt eine junge Frau. Sie schweigt.

Thomas Hirschbiegel

Kolumnist für stern.de seit 1997 - und das H der H&A medien: Redaktion, Public Relations und Online-Konzepte.

Eine halbe Stunde später ist die hübsche Mutter mit ihrer Tochter an der Reihe. In der Zwischenzeit hatte der Mann seinen Computer viermal neu gestartet und zweimal geflucht, erst leise, dann lauter. Die Mutter steht vor dem Schreibtisch der Frau und will zwei Karten für die Kinovorstellung kaufen. "Das geht bei uns übers Internet", sagt die Frau, "das dauert."

Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis der Tintenstrahldrucker die Eintrittskarten druckt. Die Frau nimmt das Papier aus dem Drucker und greift zu einer ergonomisch geformten Schere, um aus dem DIN-A4-Blatt zwei winzige Rechtecke heraus zu schneiden.

Und wenn sie nicht gestorb... ups, zu spät

Die hübsche Mutter lebt zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Sie ist in stolzem Alter sanft entschlafen. Ihre Tochter aber ist herangewachsen zu einer schönen Frau, die einen guten Mann geheiratet und mit ihm zwei wunderbare Kinder hat, beide bereits erwachsen und auf dem besten Weg in eine glückliche Zukunft.

<a class="link--external" href="mailto:stern@ha-net.de">Thomas Hirschbiegel</a>

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