NEULICH IM NETZ Unzureichend: Nur Top, wo doof

Erwin ist Vertreter. Er verkauft Fenster. Ein sagenhaftes Geschäft, sagt er und wedelt mit dem Schlüssel seines CLK. Am Wochenende geht es wieder nach Sölden, zum Halligalli mit Schampus bis zum Abwinken.

Erwin ist Vertreter. Er verkauft Fenster. Ein sagenhaftes Geschäft, sagt er und wedelt mit dem Schlüssel seines CLK. Am Wochenende geht es wieder nach Sölden, zum Halligalli mit Schampus bis zum Abwinken.

Stehvermögen ist wichtig für Erwin. Denn manchmal muss er seine Kunden erst unter den Tisch trinken, bis sie endlich den Kaufvertrag unterschreiben. Dann sind sie mitunter so voll, dass sie auf der eigenen Wohnzimmercouch mit einem Modell des Fensters sitzen, da mit glasigem Lächeln durchgucken und sich dabei von Erwin fotografieren lassen. Erwin platzt fast vor Lachen, wenn er solche Geschichten zum Besten gibt.

Nix verstehen, aber bezahlen

Ob das mit dem Auftrag so seine Richtigkeit hat und ob auch sonst alles stimmt, ist Erwin scheißegal. Hauptsache, er hat seine Provision in der Tasche. Und ab zum Nächsten. So läuft es eben in der Branche. Und tu ich?s nicht, sagt Erwin, tut es eben ein anderer. Schampus, Lokalrunde. Als die Mauer fiel, da war es der Wahnsinn. Lauter Ossis, die keine Ahnung von irgendetwas hatten. Und Erwin mittendrin, an manchen Tagen mit zehn Riesen in der Tasche. Netto. Heute ist es nicht mehr ganz so easy, sagt Erwin. Gut, dass wenigstens die Russlanddeutschen bauen wie verrückt und Fenster brauchen. Und Verträge nicht ganz so gut verstehen. Aber bezahlen, sagt Erwin, dreht den Handrücken zum Mund und rülpst mehr oder weniger dezent in seinen goldprotzenden Chronometer.

Beratung, sagt Erwin, gibt?s bei ihm nicht. Entweder Unterschrift oder eben nicht. Womit wir endlich beim Internet angelangt wären. Dort genießt Beratung nämlich einen ähnlichen Stellenwert. Finanzdienstleister, sagen die Marktforscher von Mummert Consulting, lassen jede dritte Kundenanfrage unbeantwortet. Kein Wunder, möchte man meinen, schließlich können die Schnurrbartträger hinterm Tresen derzeit caesarisch wie selten mit dem Däumchen hoch und runter zeigen. Weswegen auch nicht wundert, dass die Qualität der E-Mail-Antworten unter aller Sau sei. Drei von vier Antworten, sagt Mummert, seien »unzureichend«. Was übrigens das erschreckende Ergebnis der Pisa-Studie fortschreiben würde. Deutschland, das Schlusslicht. Nur Top, wo doof.

Der Ruf könnte besser sein

Finanzdienstleister, das muss gleichsam als verspätetes Fanal zum Einstand in das dritte Jahrtausend endlich einmal gesagt werden, eilt seit eben so vielen Jahren nicht gerade der vorteilhafteste Ruf voraus. Hochnäsig, wichtig weniger qua eigenem Format, denn wegen ihres Broterwerbs, selten genug gesegnet mit guten Manieren, dafür mit ebenso teuren wie unpassenden Accessoires. Erwin könnte jederzeit bei einer Bank arbeiten, würde er sich das Berülpsen des Chronometers für nach Feierabend aufsparen. Für eins, zwei oder mehrere Versicherungen war er tätig. Früher. Als »freier Handelsvertreter«. War auch nicht schlecht, sagt Erwin, Versicherungen verkloppt an die ganze Familie und Bekannte. Freunde nicht. Die gibt es nämlich nicht für einen wie Erwin. Lokalrunde.

Thomas Hirschbiegel

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