Raubkopieren Was bedeutet "gewerbliches Ausmaß"?

Gesetzesänderung: Plattenfirmen können bei Internet-Providern Nutzerdaten anfordern, wenn sie illegale Tauschbörsen-Nutzung vermuten. Im stern.de-Interview erklärt Rechtsanwalt Stephan Mathé die Auswirkungen der Regelung für den Alltag eines Internetnutzers - und warum vieles noch ungeklärt ist.

Herr Mathé, der Bundestag hat die Gesetze gegen Produktpiraterie verschärft und den Schutz des geistigen Eigentums gestärkt. Was ändert sich für den durchschnittlichen Internetnutzer, der auch mal illegal Musik oder Filme aus dem Internet herunterlädt?

Bisher muss der Rechteinhaber den Weg über das Strafverfahren nehmen. Hat man die IP-Adresse eines Raubkopierers ermittelt, stellt man Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft veranlasst daraufhin den Internetprovider, die zu der IP-Adresse gehörenden Personaldaten zu übermitteln. Der Anwalt des Musikverlages nimmt Einsicht in diese Strafakte und kann zivilrechtlich vorgehen, durch Abmahnung oder Klage. So hat der Urheberrechtsverletzer zwei Verfahren an der Backe: das straf- und das zivilrechtliche. Das geänderte Gesetz soll nun einen direkten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch einführen, sodass der Weg über die Staatsanwaltschaft wegfällt. Der Rechteinhaber kann direkt vom Internetprovider die Personaldaten von Urheberrechtsverletzern fordern.

Das bedeutet für den Einzelnen ...

Es wird ein bisschen besser für denjenigen, der mal einen Song illegal aus dem Internet herunterlädt. Denn den Musikverlagen geht es vor allem um Geld auf zivilrechtlichem Wege, die werden bei kleinen Fischen keine Strafanzeige stellen.

Die Musikindustrie beispielsweise kann also einfacher als vorher an meine persönlichen Daten.

Es gilt der so genannte Richtervorbehalt. Nicht der Musikverlag selbst kann sich an den Internetanbieter wenden, sondern er muss bei einem Richter ein Verfahren einleiten, um die Daten zu erhalten. Außerdem findet eine Zweiteilung statt. Es wird getrennt zwischen den "kleinen Downloadern" und denen, die in großem Stil Raubkopien verbreiten, vielleicht sogar gegen Geld. Der direkte Auskunftsanspruch gilt nur für Fälle mit so genanntem "gewerblichem Ausmaß".

"Gewerbliches Ausmaß" klingt für Laien, als ginge es um kommerziellen Handel mit Raubkopien. Kann ich also kostenlos 5000 MP3-Songs straflos verbreiten?

"Gewerbliches Ausmaß" heißt es nicht nur, wenn man mit Raubkopieren Geld verdient. Der Wert der Rechtsverletzung, der entstehende Schaden wird in Betracht gezogen. Ein Film, der zum Download angeboten wird, während er noch im Kino läuft, ist schon "gewerbliches Ausmaß".

Die Grenze zwischen "gewerblichem" und "nicht-gewerblichem" Ausmaß erscheint aber nicht besonders deutlich.

Da muss sich erst eine Spruchpraxis entwickeln, Gerichte müssen diese Grenze erarbeiten. Die Definition ist umstritten. In einer früheren Version des Gesetzentwurfs hieß es noch "gewerblich", jetzt ist daraus "gewerbliches Ausmaß" geworden, weil der Gesetzgeber klarstellen will, dass es nicht um Geldverdienen geht, sondern um den Umfang der Rechtsverletzung. Man kann dafür die Menge an raubkopiertem Material zugrunde legen, aber auch den vermuteten verursachten Schaden. Der ist bei ganz neuem Material höher als bei altem.

Das Gesetz sieht auch eine Deckelung der Anwaltskosten vor ...

Im Fall von nicht-gewerbmäßigem Handeln sollen die Kosten für die anwaltliche Verfolgung auf 100 Euro beschränkt werden. Die Anwaltskosten für eine Abmahnung können dann nicht höher werden, während zurzeit in einem vergleichbaren Fall ein paar tausend Euro fällig werden können.

Was sagen Sie als Anwalt dazu? Damit soll ja dem Abmahn-Unwesen ein Riegel vorgeschoben werden.

Nicht wir Anwälte, sondern die Industrie wird aufheulen. Die sagt, dass auch die kleinen Fische Schaden verursachen und man den Anfängen wehren muss. Doch kein Anwalt wird so etwas für 100 Euro bearbeiten, gerade die kleinen Fälle sind sehr aufwendig. Auf den Restkosten bleibt dann der Rechteinhaber sitzen.

Noch einmal zurück zum direkten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch. Darüber wird viel gestritten, vor allem unter Datenschutz-Aspekten. Erwarten Sie, dass sich das Bundesverfassungsgericht irgendwann mit diesem Thema befassen wird?

Faktisch ändert sich nicht so viel. An die Daten konnte man schon vorher gelangen, nur eben über den Umweg der Staatsanwaltschaft. Auffällig ist allerdings, dass es zurzeit Bewegungen in zwei gegensätzliche Richtungen gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat vor kurzem bei seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung ja betont, dass nur bei schweren Straftaten wie Terrorismus in gesammelte Daten hineingeschaut werden darf. Gleichzeitig soll per Gesetz im Zusammenhang mit dem Urheberrecht der Weg zu gesammelten Daten verkürzt werden. Das passt im Gesamtbild nicht richtig zusammen.

Wohin geht die Entwicklung?

Es geht irgendwie ständig hin und her. Einerseits soll das Urheberrecht durch den direkten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch ja gestärkt werden. Andererseits wurden gerade die Anforderungen an die Beweismittel erhöht. Das Landgericht Hamburg hat entschieden, dass Screenshots allein nicht mehr beweiskräftig sind. Dabei lief die ganze Verfolgung bisher vor allem über Screenshots von Tauschbörsen. Zurzeit wird mal die eine Seite, mal die andere gestärkt. Das wird sich noch finden müssen.

Rechtsanwalt Stephan Mathé

... ist Gründungpartner der Anwaltssozietät Rode + Mathé in Hamburg. Er ist spezialisiert auf Urheber-, Marken-, und Wettbewerbsrecht. Die Kanzlei vertritt sowohl Urheberrechtsinhaber als auch Personen, die der Urheberrechtsverletzung beschuldigt werden.

Werden Musik- und Filmindustrie jetzt noch intensiver gegen Raubkopierer vorgehen?

Musik- und Filmindustrie blasen schon seit der Novelle des Urheberrechts Anfang des Jahres zur Attacke. Wir bemerken, dass jetzt auch die Videospielbranche diesem Vorbild folgt und der Verbreitung von Raubkopien im Internet den Kampf ansagt. Kanzleien und Ermittlungsfirmen bieten verstärkt ihre Dienste an, und viele Spielehersteller, die bisher nichts unternommen haben, sagen sich: "Lasst uns mal ausprobieren, wie weit wir mit der Rechtsverfolgung kommen".

Interview: Ralf Sander

PRODUKTE & TIPPS