Im April 2016 nahm sich das Bundesgesundheitsministerium vor, bei der Sexualerziehung und Aufklärung an Schulen durchzugreifen. Es schien Mängel im Sexualkundeunterricht zu geben. Sie entwickelten eine Strategie, nach der sich bis 2030 einiges zur Eindämmung von sexuell übertragbaren Krankheiten verbessern sollte. Viel ist seitdem jedoch nicht passiert.
Nicht nur in Deutschland kommt die Aufklärung über Sexualität zu kurz: In den USA wird in nicht einmal 40 Prozent der High Schools alle der 19 vom Center for Disease Control identifizierten Themen unterrichtet. Und das Thema ist und bleibt schambehaftet. Wer sich nicht an die eigenen Eltern wenden kann, recherchiert im Internet. Fündig wird man auch auf TikTok.
Schluss mit dem Tabu!
Tess Vanderhaeghe ist eine selbsternannte Gesundheitserzieherin. Eines ihrer Videos, das die weibliche Anatomie erklärt, wurde bereits mehr als zwei Millionen Mal aufgerufen. "Wir reden viel über Sex", sagte Vanderhaeghe dem US-amerikanischen Medium "The Lily". "Aber wir reden nicht über sexuelle Gesundheit." Wie Vanderhaeghe werden auch Kinderärzte, Gynäkologen, Sexual- und Beziehungstherapeuten zu Influencern, indem sie traditionell tabuisierte Themen für Teenager ansprechen.
Der Hashtag #sexualhealth hat mehr als 335 Millionen Aufrufe auf der Plattform. Es gibt Videos über den Aufbau der Geschlechtsteile, zu Geschlechtskrankheiten, Mythen, Kondomen und mit Tipps jeglicher Art. "Jede Generation ist neugierig", sagte Vanderhaeghe "The Lily". "Jeder Teenager, der durch die Pubertät geht,will alles über sexuelle Gesundheit wissen. Die Generation Z hat Zugang zu Plattformen wie TikTok und Instagram und damit einen Ort, um ihre Fragen auf eine andere Art und Weise zu stellen."
Falsche Informationen
Für einige füllt TikTok eine Bildungslücke. Aber die Plattform hat ihre Grenzen: Jeder kann einen Account erstellen und Inhalte teilen, unabhängig davon, ob die Informationen verlässlich sind. Es kursieren viele Videos, die falsche Inhalte verbreiten.
Tessa Commers, Kinderärztin aus Seattle, teilt laut "The Lily" die meisten ihrer Videos als Reaktion auf Unwahrheiten, die sie in der App sieht. "Ich fühle mich der Anzahl der Leute, die Fehlinformationen verbreiten, stark unterlegen", sagte sie zu "The Lily". "Es ist ein harter Kampf."
Unangemessene Themen
Danielle Bezalel, Gastgeberin des Podcasts "Sex Ed With DB", nannte die Sex-TikToks laut "The Lily" ein zweischneidiges Schwert. "Wenn es so zugänglich für die Menschen ist, dann ist jeder ein Experte, richtig?", sagte sie. "Also gibt es jetzt dieses Problem, dass junge Menschen zwischen gültigen, glaubwürdigen Quellen und nicht glaubwürdigen Quellen unterscheiden müssen."
Die Community-Richtlinien von TikTok legen fest, welche Inhalte entfernt werden, wenn das diskutierte Thema unangemessen ist – eine Kategorie, in die diverse Aufklärungsvideos trotz ihrer pädagogischen Grundlage fallen. Viele Videos, die aufklären sollen, werden gelöscht oder nicht mehr ausgespielt. Doch auf die Reichweite kommt es in den sozialen Medien an.

"Warte, das ist normal?"
Nutzer von TikTok können sich dafür entscheiden, anonym und unsichtbar Zuhörer und Lernende zu sein. Commers sagt zu "The Lily", sie hoffe, dass Befragungen durchgeführt werden können, um die Auswirkungen von Sexualerziehung auf diesen Plattformen zu untersuchen.
In einem ihrer beliebtesten Videos, das von mehr als 400.000 Menschen gelikt wurde, räumt sie mit gängigen Missverständnissen auf, die sie auf der App gesehen hat. Ein Nutzer kommentierte: "Warte, das ist normal? Ich habe gedacht, dass etwas mit mir nicht stimmt." Mehr als 29.000 Leuten likten diesen Kommentar.
Das Video wurde über 1,8 Millionen Mal angesehen. Mit der Möglichkeit, so viele Menschen zu erreichen und ihnen zu zeigen, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind, hofft Tessa Commers, eine Lücke zu füllen: "Soziale Medien verändern jeden Bestandteil des Lebens", sagte sie zu "The Lily". "Jetzt verändern sie sogar die Sexualerziehung."
Quellen: "The Lily" / Business Insider / Deutschlandfunk Kultur