Kurz nach Mittag klingelten die Smartphones in halb Deutschland. Der Grund: Der Nachrichtendienst Telegram bittet Nutzende um Hilfe. In einer plötzlichen Umfrage wollen die Betreiber der Plattform wissen, wie die Zusammenarbeit mit den deutschen Polizeibehörden aussehen soll, falls diese Daten über Nutzende anfragen. Innerhalb einer guten Stunde haben über eine Million Personen an der Umfrage teilgenommen – bis zum 5. September will man die Abstimmung offenlassen.
Telegram und BKA? Ja? Nein? Vielleicht?
Den aktuellen Stand der Dinge fassen die Betreiber kurz zusammen. Es heißt: "Telegram gibt niemals Informationen über deine Chats oder Kontakte an Dritte weiter, auch nicht an staatliche Einrichtungen. Um trotzdem den Missbrauch unserer Plattform durch terroristische Gruppen zu verhindern, erlaubt uns unsere aktuelle Datenschutzerklärung seit 2018, IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen auf Anfrage der Regierung, die durch einen Gerichtsbeschluss gestützt wird, offenzulegen."
Die aktuelle Regelung hält man allerdings offenbar nicht für ideal, denn weiter schreiben die Betreiber: "Wir führen diese Abstimmung durch, um herauszufinden, ob unsere deutschen Nutzer unsere aktuelle Datenschutzerklärung unterstützen oder ob sie die Zahl der Fälle, in denen Telegram potenziell Daten an Behörden weitergeben kann, verringern oder erhöhen möchten. Wir stellen drei Optionen zur Wahl."
Nutzende aus Deutschland dürfen sich anschließend entscheiden, ob alles so bleiben soll, wie es ist, oder sich Telegram entweder der Polizei annähern oder gänzlich aus der Kommunikation aussteigen soll. Für die engere Zusammenarbeit mit der Polizei – oder das Beenden sämtlicher Kooperation – würde Telegram die Datenschutzerklärung im Anschluss an die Umfrage ändern und gegebenenfalls sogar die Datenstruktur anpassen.
Es muss nicht Whatsapp sein: Das sind fünf sichere Messenger-Alternativen

Der Messenger Signal ist nicht nur für viele Kunden die Alternative zu Whatsapp – sondern auch für einen der Gründer. Jahre nachdem er mit dem Verkauf von Whatsapp Milliarden verdient hatte, verließ Brian Acton Facebook, vermutlich im Streit um die Sicherheit des Messengers. Danach steckte er Millionen in Signal. Dort wird Privatsphäre groß geschrieben: Der Betreiber kann die Chats nicht mitlesen, selbst die zur Suche nach anderen Nutzern hochgeladenen Telefon-Bücher werden vorher verschlüsselt und in einer für die Firma nicht verwertbaren Form („Hash“) miteinander verglichen. Die für Desktop, Android und iOS verfügbare App ist kostenlos.
Mehrheit gegen Datenweitergabe – aber bringt das überhaupt was?
Nach der ersten 1,3 Millionen Stimmen scheint die Umfrage zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Beibehaltung der aktuellen Regelung und dem Ende jeglicher Datenweitergabe zu werden. Die Option, dass Telegram auch ohne Gerichtsbeschluss IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen und Verdächtigen schwerer Straftaten an die Polizei weiterleitet, gerät schon kurz nach Start der Umfrage ins Hintertreffen.
Ebenso spannend wie der Ausgang der Umfrage ist auch ihre Wirksamkeit. Kann Telegram als Online-Plattform, die in Deutschland erreichbar und nutzbar ist, überhaupt eigenmächtig darüber entscheiden, ob sie mit dem BKA, anderen Behörden oder Gerichten zusammenarbeitet? Auf Anfrage bat das Bundeskriminalamt (BKA) um etwas Zeit, um den Sachverhalt zu prüfen. Eine Antwort solle demnach in den kommenden Tagen folgen.
Auch Telegram bat der stern um eine Stellungnahme, ob sich die Plattform wirklich in der Lage sieht, im Falle eines "Nein" der Nutzenden geltendes Recht zu ignorieren und behördliche Anfragen mit Gerichtsbeschluss nicht länger zu bearbeiten. Telegram hat sich auf eine Anfrage des stern bis zum Erscheinen nicht geäußert.

Die Umfrage kommt auch deshalb überraschend, da die Bundesbehörden und Telegram sich seit Anfang des Jahres erstmals angenähert hatten. Ende Januar schrieb das Bundeskriminalamt in einer Pressemitteilung mit dem Titel "Messengerdienste sind kein rechtsfreier Raum", dass man eine Taskforce bilden wolle, um die Kooperation mit Onlineplattformen, darunter explizit Telegram, zu verbessern. Nur einen Monat später meldete Bundesinnenministerin Nancy Faeser, dass man im direkten Gespräch mit Telegram sei und eine engere Zusammenarbeit anstrebe. Und obwohl Telegram sich bis heute nicht offiziell dazu geäußert hat, berichtete der "Spiegel" im Juni, dass tatsächlich erste Informationen zu "Daten Verdächtiger aus den Bereichen Kindesmissbrauch und Terrorismus" an das BKA gegangen seien.