Einfach singen, tanzen oder herunmalbern - und so zum Tiktok-Star werden. Davon träumen viele der weltweit eine Milliarde Nutzer der früher als Musical.ly bekannten Hype-App. Doch nicht jeder hat wohl die Chance dazu: Inhalte von behinderten, übergewichtigen und offen homosexuellen Nutzern sollen systematisch in der Reichweite beschränkt und so quasi unsichtbar gemacht werden. Die Begründung: Man wolle sie so vor Mobbing anderer Nutzer bewahren.
Das berichtet "Netzpolitik" unter Berufung auf interne Moderationsrichtlinien und Aussagen von Tiktok-Angestellten. Demnach sollen etwa die Clips von Personen mit Behinderungen wie Down Syndrom, "entstellten Gesichtern" und Autisten als Risiko-Posts markiert und damit automatisch in der Reichweite beschränkt werden. Auf diese Weise soll wohl verhindert werden, dass die Personen von anderen Nutzern beleidigt oder wegen ihrer Behinderungen diskriminiert werden.
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Unsichtbarkeit als Mobbing-Schutz
Für deutsche Nutzer bedeutet die Risiko-Bewertung, dass ihre Posts höchstes den etwa fünf Millionen deutschen Nutzern gezeigt werden, das potenzielle Milliardenpublikum rund um die Welt bleibt ihnen verwehrt. Werden die Clips zudem noch auf dem "For You"-Feed entfernt, wie es in vielen Fällen wohl passiert, werden sie selbst für das deutsche Publikum de facto unsichtbar. Gelöscht werden sie wohl nicht.
Wie die Moderatoren erkennen sollen, ob eine Person etwa unter Autismus leidet, geht aus den Richtlinien nicht hervor, so "Netzpolitik". Die Vorgaben kämen aus der chinesischen Zentrale der Mutter Bytedance. Bemühungen der deutschen Mitarbeiter der automatischen Zensur entgegen zu wirken, wurden wohl zunächst ignoriert. Zwar versicherte Tiktok gegenüber "Netzpolitik", man habe die Regeln mittlerweile angepasst, mindestens bis September waren die alten Richtlinien aber noch in Kraft.
Behinderten-Organisationen sehen die Maßnahmen laut "Netzpolitik" als hoch problematisch an. Constantin Grosch, ein Vertreter von Abilitywatch, beklagte etwa, dass "aus falsch verstandener und unnötiger Fürsorge die Sichtbarkeit von behinderten Menschen bewusst reduziert wird." Genau dieses Ignorieren sei aber eine verbreitete Form des Mobbings. "Es ist vollkommen absurd, nicht die Trolle zu bestrafen, sondern die Opfer des Cyberbullyings", bewerteten Vertreter der Evangelischen Stiftung Hepatha die Tiktok-Entscheidung.
Nicht nur Menschen mit Behinderung betroffen
Unter der Zensur leiden nach Erkenntnis von "Netzpolitik" aber nicht nur Menschen mit Behinderung. Auf einer Liste "besondere" Nutzer, die automatisch schlechter gerankt werden, fanden sich nach einer Auswertung der Seite auch viele Nutzer mit Regenbogenflaggen - dem Symbol der LGBT-Bewegung -, sowie übergewichtige Personen. Die übergewichtige Nutzerin "miss_anni21", die ihre Fans mit Tanzvideos begeistert, gab sich gegenüber der Seite geschockt, dass sie sich auf einer Liste vermeintlicher Mobbing-Opfer befindet. Sie empfände die Einordnung als diskriminierend, so "miss_anni21". "Das ist unmenschlich."
Quelle:Netzpolitik