Bei TikTok geht es Schlag auf Schlag. Von gestylten Teenagern in Indien, die zum neuesten Hit tanzen, geht es nahtlos zu akrobatischen Stunts in einer südeuropäischen Fußgängerzone, dann folgt eine Gesangseinlage im Wohnzimmer. Alles im Takt von wenigen Sekunden. Die Hype-App der Stunde ist schnell, aufgedreht - und steht wegen Zensur-Vorwürfen in der Kritik.
Denn so frei und wild, wie man es auf den ersten Eindruck glauben möchte, soll TikTok gar nicht sein. Die zum chinesischen Konzern Bytedance gehörende App moderiert seine Inhalte streng, erklärt eine Recherche von "Netzpolitik" unter Berufung auf Insider. Dabei sollen nicht nur Inhalte ganz gelöscht, sondern teilweise auch im großen Stil vor anderen Nutzern verborgen werden.
Moderation in drei Stufen
Den Insidern zufolge werden die Posts in drei Schritten systematisch ausgewertet. Demnach würden nach 50 bis 150 Abrufen die ersten Moderatoren in Barcelona die Posts bewerten, nach 8000 bis 15.000 Ansichten erfolge eine zweite Prüfung in Berlin. Und bei über 20.000 Videoansichten stände dann eine weitere Review in Peking an. Nachts würden die deutschen Clips von deutschsprachigen Mitarbeitern in Peking geprüft, bestätigte TikTok gegenüber der Seite.
Für die Prüfung bleibt kaum Zeit. Nur 30 Sekunden hätten die Angestellten in der Regel, um die Clips zu bewerten. Kein Wunder, dass trotz des Fokus auf Musik der Großteil ohne Ton und nur in Beispielbildern durchgeschaut wird. Nur bei Unklarheiten werde demnach der Clip mit Ton abgespielt. Der Druck auf die Teams sei hoch, die Stimmung vergiftet.
Von pushen bis zensieren
Die Regeln für die Moderation seien dabei sehr knapp und breit auslegbar, so "Netzpolitik". Den Moderatoren bliebe so grundsätzlich viel Spielraum. Zum Umgang mit den Clips gebe es mehrere Stufen: Bei klaren Verstößen würden die Clips ganz gelöscht. Harmlosere Verstöße blieben nur für den Uploader sichtbar. Zudem könnten die Moderatoren Inhalte aus dem automatisierten Feed heraushalten oder dort abwerten. Eigentlich als akzeptabel beurteilte Inhalte könnten trotzdem als "riskant" markiert und dann in manchen Ländern gar nicht gezeigt werden. Wieder andere würden sogar zu Marketing-Zwecken besonders gepusht.

Vor allem die "riskant" markierten Inhalte werden systematisch zensiert: Davon betroffen sind etwa alle Inhalte, die als homosexuell bewertet würden, etwa sich küssende Männer. TikTok blendet diese Inhalte in islamischen Ländern konsequent aus. Man müsse sich an lokale Gesetze halten, begründet das Netzwerk die Entscheidung.
TikTok will nicht politisch sein
Einen weiteren weit verbreiten Vorwurf will man aber nicht auf sich sitzen lassen: Eine Zensur nach Aufforderung des chinesischen Staates fände nicht statt, erklärte das Netzwerk gegenüber "Netzpolitik" mit Nachdruck. Generell will man nicht auf Grund politischer Einstellungen filtern. Ein Leak gegenüber dem "Guardian" hatte im September erklärt, TikTok würde systematisch China-kritische Posts filtern. Auch die "Netzpolitik"-Quelle erklärte, Proteste wie die in Hong Kong seien allgemein nicht gerne gesehen.
Tatsächlich scheint das Netzwerk seit dem "Guardian"-Bericht die Moderations-Regeln angepasst zu haben. Vorher waren Kritik an Politik und Institutionen wie Regierungen oder der Polizei quasi unerwünscht.
Trotz der Änderungen sind politische Inhalte wie die Proteste in Hong Kong auf der Plattform kaum oder sogar gar nicht zu finden. Das mag sicher teilweise auch in der Ausrichtung auf kurzweilige Unterhaltung begründet sein, als vollständige Erklärung dürfte das aber nicht ausreichen.
Quellen: Netzpolitik, Guardian, The Verge,Welt