Der Auslöser für Millionenschäden steckt in kleinen, unscheinbaren Kieselsteinen. Wird die falsche Sorte von ihnen in Autobahnbeton verwendet, löst das versteckt im Innern der Fahrbahn die sogenannte Alkali-Kieselsäure-Reaktion aus. Sie dehnt sich schleichend, aber mit enormer Kraft aus und sorgt für bröckelnde Fahrspuren mit tiefen Rissen. Bundesweit sind Hunderte Kilometer befallen und Tausende gefährdet - vom "Betonkrebs" ist die Rede. Behörden und Bauwirtschaft ringen um ein Gegenmittel, da der Schaden in die Millionen geht. Das dringendste Problem: Auch neue Autobahnen mit modernem Baustandard sind noch nicht gegen die Gefahr gewappnet.
Immun gegen die chemische Reaktion sind nur Asphalt-Autobahnen. Sie machen nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums rund 70 Prozent des deutschen Autobahnnetzes aus. Es bleiben rund 3800 Kilometer Betonautobahnen - die alle Gefahr laufen, schon nach wenigen Jahren zu zerbröseln. Die Zeit bis zu den ersten "Symptomen" beträgt nach Darstellung des Ministeriums im Schnitt nur sechs Jahre. Asphalt gilt als kurzlebiger und anfälliger für Spurrillen, ist dafür aber günstiger zu sanieren. Beton hält länger, ist dafür aber teurer.
Eine Frage der Säure
Prognosen sind schwierig. Betonkrebs entsteht nur, wenn die bei der Betonherstellung verwendeten Steine bestimmte Kieselsäuren enthalten. Je nach Herkunft haben die Steine mal mehr, mal weniger davon. Ihre Säure reagiert mit Alkalien aus dem Zement in der Betonmischung. Dabei wächst ein Gel, das sich bei Feuchtigkeit wie ein Schwamm ausdehnt. Es lässt den Beton aufreißen und abplatzen. Das Problem ist seit den 50er Jahren bekannt und hat seither zu Millionenschäden geführt - exakte Schätzungen gibt es nicht.
Dem Bundesverkehrsministerium zufolge sind aktuell in Deutschland 221 Autobahnkilometer mit Betonkrebs-Schäden gemeldet. Der ADAC spricht von noch mehr: "Betonkrebs ist auf 350 Kilometern sichtbar", sagt Wiebke Dammann aus der Münchener ADAC-Zentrale. Stark betroffen sei Ostdeutschland, wo nach der Wende viele Fahrbahnen entstanden.
Nicht jeder Stein ist bekannt
Dabei ließe sich Betonkrebs nach Auskunft von Andreas Ehrenberg vom Duisburger Institut für Baustoff-Forschung meist vermeiden. Die Baufirmen hätten längst Regelwerke für die Betonherstellung, in denen das Betonkrebs-Potenzial einzelner Gesteinssorten aufgelistet ist. Doch nicht alle Steinarten seien erfasst, gibt Ehrenberg zu bedenken. Auch Jochen Stark, Professor für Baustoffkunde an der Universität Weimar und Betonkrebs-Gutachter, ist skeptisch. Er sagt, das jüngste Regelwerk für Baufirmen stamme aus dem Jahr 2006 und habe das Problem noch nicht im Griff. Auch neue Autobahnen sind also gefährdet.
Das Berliner Ministerium arbeitet nach Darstellung Starks schon lange an neuen Vorgaben. "Sie sind die einzige Basis, um mit hoher Sicherheit gefährdungsfrei zu bauen", sagt der Fachmann. "Wenn wir die hätten, wäre das ein gewaltiger Schritt nach vorne." Wann die neuen Vorgaben genau kommen, ist aber noch nicht klar. Die Neufassung ist dem Ministerium zufolge noch in der Abstimmungsphase, soll aber bis Anfang 2010 bekanntgegeben werden.
Dem Problem sei nicht einfach beizukommen, heißt es in Berlin. Der Versuch, Firmen die Verwendung von Kiessorten zu beweisen, deren Gefährlichkeit bekannt war, ende oft vor Gericht. Die Beweisführung müsse durch "zeitlich aufwendige Untersuchungen erbracht werden, da das Rissbild auch durch andere Schädigungsprozesse verursacht werden kann". Wenn Unternehmen dem Regress entkommen, muss Steuergeld fließen. Die Sanierungskosten schwankten je nach Schadensbild zwischen 100.000 und 1,5 Millionen Euro - pro Kilometer.
Die Straßen einpinseln
Derweil wird an der A 14 in Sachsen-Anhalt getestet, wie sich der entstehende Betonkrebs aufhalten lässt. Auf acht Abschnitten sind die Fahrbahnen Mitte 2008 mit mehreren Tinkturen versiegelt worden - so soll das Aufquellen des Gels gestoppt werden. Der Versuch endet erst 2010, verläuft laut Ministerium aber bisher sehr vielversprechend.