"Das Fernsehen ist durch die Vielzahl an Alternativen langweilig geworden." Ausgerechnet aus dem Munde Borris Brandts tönt dieser Satz: Brandt wirkte bis vor kurzem als Geschäftsführer der Firma Endemol Deutschland, die für Krawallsendungen à la "Big Brother" bekannt ist. Auf einer Podiumsdiskussion in Hamburg sprachen im Juli anlässlich der damals bevorstehenden Ifa vier Experten über das Thema "Zukunft des Fernsehens" - und wirkten ratlos. Diese Ratlosigkeit wird genährt durch die Erfahrungen der jüngsten Ifa. In den Berliner Messehallen gibt es zwar wohnzimmerwandgroße Geräte und Multifunktionswunder in Taschenbuchgröße zu bestaunen, doch was auf diesen Geräten Spektakuläres laufen soll, ist ernüchternd.
Ein Grund für die Ratlosigkeit ist das Internet: "Wir haben eine neue Konkurrenz-Situation: Urlaubsfotos und Youtube statt Fernsehzeit", sagt Robert Amlung, Chefredakteur der Abteilung "Neue Medien" beim ZDF. Marktforschungsstudien zeigen, dass vor allem jüngere Menschen durchaus fernsehen, doch meist unkonzentriert und nebenbei, wobei sie dazu neigen, nach wenigen Minuten umzuschalten. Entsprechend sind Sendungen für die Zielgruppe der unter 20-Jährigen selten länger als 20 Minuten inklusive Werbeblock. Amlung weist darauf hin, dass Internet-Videoportale wie Youtube nicht so sehr eine Konkurrenz fürs Fernsehen sind, sondern die Art des Fernsehens beeinflussen: "Selbst unsere Zuschauer beim ZDF gucken heute kein ganzes Abendprogramm mehr: Die schauen maximal eine Sendung, dann zappen sie weiter", sagt Amlung.
HDMI, USB, DVB-C
Die Gerätehersteller reagieren auf die veränderten Sehgewohnheiten, indem sie ihre Fernseher mit USB-Anschlüssen ausstatten, mit Festplatten, Wlan und HDMI-Schnittstellen. Loewe, Grundig, Metz, Samsung, Philips: Kaum ein Hersteller verzichtet darauf, seine Premiumgeräte fit zu machen fürs digitale Fernseh-Zeitalter. "Festplatte und Wlan werden heute selbstverständlich genutzt im Fernseher", sagt Rainer Hecker. Hecker ist Vorstandsvorsitzender des deutschen TV-Herstellers Loewe. Loewe ist eine der führenden Firmen im Premiummarkt, in dem Fernsehgeräte mit Bilddiagonalen von 42 bis 70 Zoll verkauft werden. Ein Gerät wie Grundigs "Vision 6" enthält einen digitalen Kabelnetz-Empfänger (DVB-C); in anderen Ifa-Neuheiten stecken Festplatte für zeitversetztes Fernsehen, PC-typische Anschlüsse à la USB und SD für Kameras und Camcorder. Der deutsche Hersteller Metz verkauft Geräte, die sich nachträglich mit digitalen Modulen ausstatten lassen, etwa mit einer weiteren Festplatte.
Drei Bildschirme - drei Programme
Hecker relativiert seine Aussage indes: "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Bis sich die jetzige Digitaltechnik im vollen Umfang durchgesetzt hat, vergehen zehn, 15 Jahre." Sogar TV-Produzent Brandt ist sich sicher, dass Digital-TV nicht über Nacht hereinbrechen wird: "Das alte Fernsehen wird sich nicht verabschieden", sagt er. Hecker spricht vom "Add-on-Fernseh-Markt", in dem sich eine TV-Produktion wie die Krimiserie "24" als Marke etabliert und digitale Zusatzangebote im Internet nach sich zieht. Der Medienberater Veit Siegenheim, vierter Gesprächspartner der Vor-Ifa-Runde, sagt dazu: "Der Fernseher eignet sich als Abspielmedium für verschiedene Medien. Es wird egal sein, woher die Medien stammen, der Fernseher versammelt Fotos, Videos, Musik unter einer Oberfläche."
Das hören Gerätehersteller wie Loewe und Grundig gern, gewinnen ihre internetfähigen Allroundgeräte so einen zusätzlichen Reiz. Denn deutsche Fernsehzuschauer lieben große Bildschirme, was der überdurchschnittliche Verkauf von Geräten mit mehr als 32 Zoll Bilddiagonale (= ca. 82 Zentimeter) beweist. Ein Negativbeispiel ist Handy-TV, das bis heute ein Schattendasein fristet, obwohl die technischen Voraussetzungen erfüllt sind: Es gibt taugliche Geräte, und Mobilfunkanbieter wie Vodafone haben das massenmarkttaugliche Programm. Die Deutschen jedoch gucken lieber gemeinsam fern, und das ist bei babyhandgroßen Sichtfeldern im Nokia-Handy ein Problem.
Wer soll das bezahlen?
Zudem garantiert nur das klassische Fernsehen verlässliche Einnahmen und vermag starke Marken aufzubauen. Die "Galileo"-Spots auf der ProSieben-Homepage sind zwar ein großer Erfolg, doch eben nur, weil sich die Serie seit Jahren im ProSieben-Hauptprogramm etablieren konnte. Reine Internet-TV-Serien sind selten - insbesondere in Deutschland. Dabei wirkt sich die Gratis-Haltung der Internetzuschauer negativ auf das Zappingverhalten der TV-Zuschauer aus. Ex-Endemol-Mann Brandt sagt: "Wie kriegen wir es hin, dass die Leute wieder Werbung gucken?" Denn nur ein einstelliger Prozentanteil der Werbebudgets fließt in Internetwerbung.
Eine Variante der Finanzierung könnte das echte Digitalfernsehen sein, dass Netzanbieter wie Hansenet, 1&1 und T-Online seit einigen Jahren im Programm haben. Hier kommen die gewöhnlichen TV-Programme durch die Internetleitung zum Fernseher - in digitaler Qualität und teils in HD-Qualität, also mit hoch auflösenden Bildern. Bei diesem Modell können sich die Netzanbieter an den Kosten beteiligen, der Zuschauer zahlt indirekt und muss nicht befürchten, dass wegen schwacher Werbe-Einnahmen das ZDF seine Schleichwerbemaßnahmen ausweitet. TV-Produzent Brandt hingegen schwärmt vom "Hyper Local"- und "Special Interest"-TV, also vielleicht Stadt-Fernsehen in Bochum und etwa einem Sender für Pferdezüchter. Dann doch besser: Glotze aus, Radio an. Denn das digitale Radio (DAB) hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Fernsehen: Man muss das ganze Elend nicht anschauen.