Es ist irgendwie unfair. Seit Jahren dominiert Nokia den Handy-Markt. Auch wenn bei einigen Geräten die einzige Innovation einen neue Gehäusefarbe war, befand sich doch in mehr als der Hälfte aller Hosentaschen ein Nokia-Gerät. Nur nicht in den USA, dort ist der Marktanteil von Nokia eher gering. Und fast tatenlos mussten die Finnen zusehen, wie das Mobiltelefon eines Computerherstellers plötzlich als das einzig wahre Handy hochgejubelt wurde. Nokia wirkte wie in schockstarre und hatte dem iPhone kein vergleichbares Gerät entgegenzusetzen. Ständig mussten hochrangige Nokia-Mitarbeiter Fragen zum iPhone beantworten. Das ist so, als wenn man sich bei VW nach einem Maserati erkundigt. Denn nichts anderes ist Nokia: Der Handybauer für die Massen.
Es dauerte zwar ein Weile, aber immerhin zwei Jahre nach dem Start von Apples iPhone bringt Nokia nun mit dem N97 ein eigenes Touchscreen-Smartphone in den Handel, das viel kann, dabei auch noch gut aussieht und einfach zu bedienen ist. Jedenfalls ist das die Hoffnung von Nokia. stern.de hat sich das Gerät einmal genauer angeschaut.
Die Hardware
Ohne Zweifel, Handys bauen können die Finnen. Die Verarbeitung der Geräte ist meist sehr gut, auch beim N97 erscheint alles wie aus einem Guss - allerdings besteht der Guss in diesem Fall aus Kunststoff. Was dem Gewicht des Geräts zu Gute kommt, es wiegt rund 150 Gramm, wirkt sich ein wenig negativ auf die Haptik aus. Aber diese Abstriche muss man wohl hinnehmen. Dafür werden Nutzer mit einer geschickt unter dem Display untergebrachten Tastatur entschädigt: Der Touchscreen mit einer Diagonale von 8,8 cm lässt sich durch sanften Druck schräg nach oben schieben. Mit einem satten "Klack" rastet das Display ein und legt die Tastatur frei. Allerdings ist diese nicht ganz vollständig - zumindest auf dem ersten Blick. Viele Tasten sind mehrfach belegt, Ziffern und Umlaute müssen mittels einer speziellen Funktionstaste aktiviert werden. Das bremst ein wenig den Schreibfluss, geht aber nach einiger Übung recht flott von der Hand. Während bei reinen Touchscreengeräten die Texteingabe immer ein wenig problematisch ist, da schnell der falsche Buchstabe erwischt wird, sind die einzelnen Tasten beim N97 gut erreichbar. Auffällig ist auch die Fünfwegetaste, die sich links neben der Tastatur befindet. Sie dient zur Navigation und als Bedienung für Spiele. Durch die verbaute Tastatur ist das Gerät ein wenig dicker ausgefallen. Die Maße des Nokia-Handys sind 177 x 55 x 15 mm.
Auch beim N97 verbaut Nokia eine Kamera mit Carl-Zeiss-Optik. Immerhin fünf Megapixel und zwei LED-Leuchten sorgen für ordentliche Bilder. Geschützt wird die Kamera durch eine kleine Schiebeklappe. Platz genug für viele Digitalbilder, aber auch Videos und Programme, bietet das Gerät dank des großzügigen 32-Gigabyte-Speichers. Sollte der Speicherplatz dennoch nicht ausreichen, kann dieser per SD-Karte erweitert werden. Das Display reagiert auf leichten Druck. Für iPhone-Nutzer bedeutet das zwar eine kleine Umgewöhnung, dennoch hat dieses System den Vorteil, dass sich das Gerät auch per Stift bedienen lässt. Hierfür hat Nokia einen kleinen Stick mitgeliefert, der per Bändchen am Gerät befestigt werden kann. Das Display hat eine Auflösung von 360 x 640 Pixel, was besonders bei Filmen ein echter Vorteil ist - die Video-Qualität ist dadurch sehr gut. Neben eher schrillen Stereolautsprechern wird der Ton per Standard-Klinke Kopfhörer ausgegeben. Über diese Schnittstelle kann ebenfalls das Videosignal an Fernseher übertragen werden. Ein entsprechendes Kabel muss allerdings zusätzlich erworben werden. Dafür liegt dem Set ein kabelgebundenes Headset bei. Sehr praktisch ist der integrierte FM-Transmitter, so lässt sich gespeicherte Musik kabellos auf jedes Radio übertragen.
Fazit Hardware
Nokia hat mit dem N97 ein sehr gut in der Hand liegendes und optisch gefälliges Gerät produziert. Es lässt sich sehr gut bedienen, sieht blendend aus und hat eine umfangreiche Ausstattung, die kaum Wünsche offen lässt. Ein Schwachpunkt ist die Wahl des Materials. Auch wenn alle Bauteile wackelfrei an ihrem Platz sitzen, wirkt Plastik halt immer ein wenig billig - und das bei einem Gerät mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 649 Euro. Das Nokia-Handy zeigt auch, dass die Finnen beim Design auf dem richtigen Weg sind und mit aller Kraft wieder an Apple verlorenen Boden gut machen wollen. Auch einen anderen Punkt hat Nokia bei Apple abgeschaut: Eine Akku-Ladung hält bei normaler Mischnutzung gerade einmal einen Tag.
Die Software
Von wegen Windows Mobile, OSX oder Android - Nokia bleibt Symbian treu. Die neueste Version kann endlich auch mit Geschwindigkeit punkten, die Anwendungen lassen sich per Touchscreen schnell aufrufen. Eines ist das Betriebssystem allerdings nicht: sexy. Nokia versucht, durch eine individualisierbare Oberfläche den Eindruck zu vermitteln, dass es sich um ein geschmeidiges Betriebssystem handelt. Allerdings merkt man schnell, dass es nach wie vor umständlich zu bedienen ist. Was bei normalen Tastenhandys kaum äuffällt, ist bei Funktionswundern mit großen Displays eine gewichtige Schwäche. Bis alle nötigen Einstellungen vorgenommen wurden, geht einige Zeit ins Land. Zwar hilft die mitgelieferte Software für den Computer bei einigen Einstellungen und sorgt für einen schnellen Kontaktabgleich mit dem Rechner, dennoch braucht es eine Weile, bis alles so eingerichtet und positioniert wurde, wie man es gerne hätte. Auch die Integration der Online-Dienste ist nicht so simpel, wie man es sich wünschen würde. Erst ist ein Ovi-Konto einzurichten, dessen Zugangsdaten dann auch im Gerät eingetragen werden müssen. Simkarte rein und Spaß haben - so läuft es nicht beim N97.
Nutzt man die praktischen Applikationen, die einen über Facebook- oder Twitter-Einträge informieren und auch neue E-Mails anzeigen, empfiehlt es sich, zu seinem Handytarif ein Datenpaket dazu zu buchen, denn schließlich ist man die meiste Zeit mit dem Internet verbunden. Der integrierte GPS-Chip macht aus dem N97 fast ein echtes Navigationsgerät. Umfangreiches Kartenmaterial lässt sich für drei Monate kostenlos nutzen. Will man sich weiter vom Smartphone durch die Welt führen lassen, fallen weitere Gebühren an, dafür gibt es aber haufenweise spezielle Karten und Reiseführer. Überhaupt setzt Nokia inzwischen auf Downloads. Spiele, Anwendungen und Musik lassen sich direkt aus dem umgebauten Ovi-Store aufs Gerät laden. Für die Wiedergabe der Songs und Videos sorgt ein ordentlicher Medienplayer, der verschiedene Formate erkennt. Auch Office-Dokumente lassen sich anzeigen, allerdings nicht von Haus aus bearbeiten.
Fazit Software
Das große Manko am N97 ist das schwerfällige und umständliche Betriebssystem, auch wenn sich Symbian redlich Mühe gibt, auch auf Touchscreengeräten eine gute Figur zu machen. Die veränderbare Oberfläche ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber für eine simple Bedienung nicht aus. Viele der wirklich tollen Funktionen sind so gut versteckt, dass man sie erst nach einigem Suchen findet. Allerdings hat die System-Treue den Vorteil, dass sich Nutzer anderer Nokia-Geräte sehr schnell zurechtfinden und sich kaum umgewöhnen müssen. Toll ist das umfangreiche Navigationssystem; nicht so toll ist, dass man dafür nach einiger Zeit extra zur Kasse gebeten wird.
Das Nokia N97 bietet ein gutes Gesamtpaket. Ausstattung und Verarbeitung sind tadellos, Schwächen zeigt das Gerät lediglich beim Betriebssystem. Wer auch bei einem Touchscreengerät nicht auf eine Tastatur verzichten mag, sich gerne mit Technik auseinandersetzt und auch unterwegs viel im Internet unterwegs ist und E-Mails abrufen möchte, ist mit dem neuen Nokia-Gerät gut bedient.