T. Ammann: "Bits & Pieces" Die Medien hacken auf LeFloid rum - vollkommen zu Unrecht

Youtube-Star LeFloid im Gespräch mit Angela Merkel
Keine Interview-Sternstunde, aber auch nicht so schlecht wie alle sagen: das Gespräch zwischen Youtube-Star LeFloid und Bundeskanzlerin Angela Merkel
© Steffen Kugler/Bundesregierung via Getty Images
Aller Anfang ist schwer. Sooo schlecht war das Interview von LeFloid mit Angela Merkel dann auch nicht, meint Thomas Ammann

"Du musst immer das Gegenteil von dem sagen, was dein Vorredner gerade gesagt hat", gab mir ein Kollege einmal als gut gemeinten Ratschlag für meine erste Podiumsdiskussion mit auf den Weg. "Immer die Gegenposition vertreten", das sei die sicherste Strategie, um aufzufallen.

Also gut, versuchen wir's mal: Alle Welt hackt jetzt auf LeFloid – aka Florian Mundt, 27 - herum, weil er die Kanzlerin bei seinem Interview nicht nach allen Regeln der Kunst gegrillt, filetiert oder wenigstens unflätig beschimpft hat.

"LeFloid ist gescheitert" oder zumindest "überfordert", liest man jetzt allerorten - auch hier auf stern.de. "Klassenfahrt ins Kanzlerland", "Stichwortgeber 2.0", "Live ohne Eier" oder "Witzfiguren", so die Kommentare auf Twitter, und "Zeit Online" ätzt, das Interview, das Merkel @LeFloid gegeben hat, "hätte sie auch dem Kinderkanal geben können".

Der Youtuber hat sich ganz gut geschlagen

Gar keine schlechte Idee. Eine Zeitlang waren die spannendsten Interviews im Fernsehen die der Kinderreporter des Morgenmagazins von ARD und ZDF. Und viele der (journalistischen) Kritiker sollten sich besser mal fragen, wie nahe sie im Lauf ihres Berufslebens der Kanzlerin schon gekommen sind.

Gut, ok, LeFloid hätte bei Merkels Antworten etwas weniger heftig nicken können, was durch die coole Basecap natürlich optisch noch verstärkt wurde, und Zwischenrufe wie "Cool! Absolut! Genau!" sprechen jetzt auch nicht gerade für eine kritische Interviewführung. Und das Gefährlichste waren sicher, wie ein Twitterer feststellte, LeFloids rudernde Armbewegungen.

Aber ansonsten, finde ich, hat sich der Youtuber doch ganz gut geschlagen. Was soll man schon erwarten, wenn zwei Menschen, die sich noch nie vorher getroffen haben, vor kahlen Wänden und Riesenfenstern so unnatürlich auf zwei unbequemen Sitzgelegenheiten zum "Gespräch" gezwungen werden?

Und wenn man genau hinschaut und -hört, merkt man, dass sich nach anfänglichen Berührungsängsten bei diesem "clash of cultures" im Lauf der halben Fragestunde tatsächlich so etwas wie eine Art Unterhaltung entwickelte. 

Die Sommerinterviews nerven

"Um mit einem Kaliber wie Merkel fertig zu werden, braucht es Profis", schreibt "Horizont". Und Jan Böhmermann stellt fest, das LeFloid-Video müsse dem "traditionellen Journalismus" doch ein "stählernes Selbstvertrauen" einflößen. Finde ich überhaupt nicht. Der traditionelle Journalismus nervt uns seit nunmehr 27 Jahren auf allen TV-Kanälen mit den so genannten Sommerinterviews, einem Ritual, das an Leere und Trivialität nicht zu überbieten ist. Das jährliche Sommertheater begann 1988 mit Helmut Kohl, wie man dem neuen stern entnehmen kann.

Der sorgte wenigstens noch für etwas Auflockerung, indem er inmitten des Salzkammerguts ein paar Hirsche und Ziegen streichelte, bevor er sich zum Phrasenaustausch niederließ. Inzwischen sitzen Politiker und Stichwortgeber 1.0 meist an der zugigsten Ecke der Hauptstadt, nämlich in Sichtweite des Parlaments an der Spree, und kämpfen vorwiegend mit den ständig aufkommenden Windböen.

Bei LeFloid und Merkel war zumindest schon mal die Themenauswahl überraschend, nämlich (in dieser Reihenfolge) 1. Homo-Ehe, 2. NSA und Whistleblower, immerhin an 3. Stelle die Bildung, 4. TTIP und 5. Cannabis. Und bemerkenswerterweise passierte das, was der Kanzlerin vor laufender Kamera sonst praktisch nie passiert: Sie legte sich fest. Ja, wirklich.

Homo-Ehe: "Für mich persönlich ist Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau." Also nix Gleichstellung. TTIP: "Nichts von unseren europäischen Standards wird abgesenkt." Und zur Freigabe von Cannabis: "Ich bin da sehr restriktiv." Nein, bis auf ganz wenige Ausnahmen, zum Beispiel "aus medizinischen Gründen".

Es war nicht so nutzlos, wie alle tun

Insofern war dieses Pilotprojekt gar nicht so nutzlos, wie jetzt alle tun. Zumindest für die Kanzerlin war das Frage-und-Antwort-Spiel eine echte "Win-Situation". Wir werden damit rechnen müssen, sie öfter auf diversen Social-Media-Kanälen zu sehen. "Bis zu Instagram", meinte sie noch, "bin ich ja schon vorgedrungen." Und LeFloid, der an seiner Interviewtechnik tatsächlich noch etwas feilen könnte, hatte ja schon vor der historischen Begegnung angekündigt, er könne sich nicht vorstellen der Claus Kleber von Youtube zu werden. Viel eher, einte ein enttäuschter Twitterer, sei er "der Pocher von Youtube". Es gibt Schlimmeres.

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