Editorial Ein Anschlag auf Europa

Eine der wirkungsvollsten Waffen des Terrornetzwerkes al Qaeda und seines ideologischen Lenkers bin Laden ist die Geduld. Nach dem ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 dauerte es acht Jahre, bis die Türme ein zweites Mal Ziel der Fanatiker wurden.

Liebe stern-Leser!

Eine der wirkungsvollsten Waffen des Terrornetzwerkes al Qaeda und seines ideologischen Lenkers bin Laden ist die Geduld. Nach dem ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 dauerte es acht Jahre, bis die Türme ein zweites Mal Ziel der Fanatiker wurden. Mit grausamer Ruhe haben sich die Islamisten nun offenbar ihr nächstes Ziel vorgenommen: Spanien, das mit anderen europäischen Mächten wie Großbritannien, Polen, Italien oder Dänemark an der Seite der USA stand, als es um den Krieg gegen den Irak ging. Dieser Logik folgend, müssen sich womöglich Rom, London, Warschau und Kopenhagen auf ähnliche Desaster einstellen. Das kann Jahrzehnte dauern. Bin Laden und seine Handlanger legen ihren Krieg gegen das westliche Wertesystem über Generationen an. Sie halten sich für auserkoren, ihre verschrobene Vorstellung einer islamisch-fundamentalistischen Welt radikal durchzusetzen - ganz gleich, wie viele Jahre und Menschenleben es kostet. Dabei entfernen sie sich Lichtjahre von Mohammeds Religion, die soziale Ordnung und inneren Frieden predigt.

Aber so erreicht al Qaeda ein wichtiges Ziel, noch bevor weitere Bomben hochgegangen sind: Die Angst geht um in jenen Staaten, die seinerzeit zur "Koalition der Willigen" gehörten, Unsicherheit breitet sich in den Regierungszentralen aus. Die Unbeschwertheit, mit der die Menschen in den Metropolen ihr Leben genießen und ihren Geschäften nachgehen, ist dahin. Das Vertrauen in eine friedliche Zukunft wird verdrängt von der Furcht, dass die angeblich erlahmte Terroristengruppe mit ungebrochener tödlicher Effizienz agiert. Das bringt Image und Zulauf von Religionskriegern, die auf Massenmord und Selbstzerstörung programmiert werden. Ausgestattet mit genügend Geld, um jede technische Finesse gegen ihre Feinde einzusetzen, warten sie auf den nächsten göttlichen Befehl.

Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, Deutschland sei ungefährdetes Territorium, weil der Kanzler den Irak-Krieg abgelehnt hat. Al Qaeda handelt willkürlich. Unergründlich. Der Anschlag in Madrid richtet sich auch gegen Europa. Es wäre allerdings vorschnell, nun wieder nach neuen Sicherheitsgesetzen zu rufen. Wir konnten ja gerade erst am Beispiel USA studieren, wie eine Regierung im Rausch der nationalen Wut demokratische Grundrechte demontiert.

Unsere unlängst verschärften Gesetze geben den Geheimdiensten genügend Möglichkeiten, wenn sie genügend Mittel haben. An Geld und Personal darf es jedoch nicht fehlen. Terrorismus lässt sich - wenn überhaupt - nur durch die Aufklärungsarbeit der Geheimdienste verhindern.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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