J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Rund um mich herum sind alle schwanger: Ich bin 37 und habe Angst, dass ich kinderlos ende

Eine Frau berät sich mit einer Freundin
Plötzlich gibt es nur noch einen Wunsch: Ich möchte doch noch ein Kind. Aber trügt da der Schein?
© Srdjanns74 / Getty Images
Eigentlich war ihr Leben perfekt. Aber mit dem neuen Freund tickt bei Miriam H. plötzlich die biologische Uhr und signalisiert einen Kinderwunsch. Julia Peirano gibt einen ungewöhnlichen Rat.

Liebe Frau Peirano,

ich bin 37 und lebe in einer Partnerschaft. Ich wünsche mir eine Familie und jetzt kriegen alle in meinem Umfeld Nachwuchs, nur ich nicht. Meine Schwester, die jünger ist als ich, kriegt sogar schon ihr drittes Kind. Meine Freundinnen haben alle schon Kinder oder sind gerade schwanger. Und in unserem Haus und in der Nachbarschaft sehe ich: Kinderwagen, Lastenräder, Kleinkinder.

Ich kann mich für meine Schwester nicht mal richtig freuen, weil ich selbst so unter Druck stehe, und auch bei meinen Freundinnen fällt mir das schwer. Manchmal kommen mir die Tränen, weil ich mich als Außenseiterin fühle und Angst habe, dass es bei mir nichts wird mit einer Familie.

Mein Freund und ich haben uns erst vor 3 Jahren kennengelernt und seit zwei Jahren versuchen wir, ein Kind zu bekommen. Vor kurzem sind wir zur Kinderwunschbehandlung gegangen. Seine Werte sind in Ordnung, meine werden noch untersucht. Aber wir sind halt beide nicht mehr die Jüngsten. Er ist 42, ich bin 37.  Wir sind schon die Alternativen durchgegangen, wenn es nichts mehr werden sollte. Eine Adoption wäre schwer durchzuführen und ist eigentlich auch nichts für mich. Ich hätte schon gerne ein eigenes Kind.

Mich ärgert jetzt, dass ich es so lange schleifen lassen habe. Bis vor zwei Jahren war ich relativ entspannt damit und dachte: Wenn es passiert, passiert es. Wenn nicht, ist es auch ok. Aber dann habe ich meinen Freund kennengelernt und möchte es jetzt unbedingt.

Abgesehen davon habe ich eigentlich ein ganz erfülltes Leben. Einen Freund, einen interessanten Job, Freunde, ein schönes Zuhause, guten Kontakt zu meinen Eltern. Aber mittlerweile glaube ich, dass mir ohne Kinder ganz viel fehlen würde im Leben.

Haben Sie ein paar Ideen, wie ich wieder lockerer werden kann?

Miriam H.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Liebe Miriam H.,

als ich Ihre Zeilen gelesen habe, habe ich mich gefragt, was denn plötzlich diese Wandlung bei Ihnen ausgelöst hat. Sie schienen vor zwei bis drei Jahren sehr entspannt gewesen zu sein in Bezug auf einen Kinderwunsch und anscheinend hat Ihnen das auch sehr gut getan.

Und seit sich in Ihrem Leben einige Variablen verändert haben, ist die Option, ein schönes Leben ohne Kinder zu haben, offenbar vollkommen verschwunden.

Ich würde Ihnen raten, sich erst mal gedanklich und in Ihrer Vorstellung mit der jüngeren, lockeren Miriam zu treffen, die sagt: Wenn ich Kinder kriege, ist es ok. Wenn nicht, ist das auch ok. Mal schauen.

Schauen Sie sich doch mal alte Fotos aus der Zeit an, erinnern sich an Ihr Leben (welche Wohnung, welche Freunde, welcher Job, was damals wichtig war) und nähern Sie sich an diese jüngere Miriam an. Und dann fragen Sie sie doch einmal, was genau sie sich vorgestellt hat mit der Option: Wenn ich keine Kinder habe, ist das auch ok.

Wie genau hat Sie sich ihr Leben und ihre Zukunft ausgemalt? Womit war das Leben gefüllt? Welche Vorteile und welche Freiheiten hat sie für sich gesehen? Und noch etwas: Warum ist Ihr Leben jetzt nur "eigentlich" ganz erfüllt? Was bedeutet das "eigentlich"?

Sprechen Sie doch auch einmal mit den Freundinnen und Kolleginnen, die keine Kinder haben und darüber auch ganz froh sind. Ich kann mir auch vorstellen, dass nicht alle Frauen in Ihrem Umfeld plötzlich Kinder bekommen. Schauen Sie doch auch einmal nach den anderen, insbesondere auch nach Frauen, die keine Kinder mehr bekommen können und damit zufrieden sind.

Wenn Sie so viel Kontakt zu Freundinnen mit Kindern haben: Was erzählen diese Frauen Ihnen? Ist da nicht viel die Rede von Erschöpfung, Schuldgefühlen dem Kind gegenüber, Selbstaufgabe und Zeitdruck? Wie wäre es, wenn Sie sich auch diese Seite der Medaille mal genau anhören und sich vorstellen, ob Sie sich in der Situation mit einem kleinen Kind sehen würden. Ein detailliertes Auseinandersetzen mit der Realität kann manchmal sehr hilfreich sein, und genau das rate ich Ihnen.

Gerade Frauen, die sehr viel Zeit für sich, ihren Beruf, die Partnerschaft, Sport, Freunde und ihre Interessen brauchen, leiden manchmal sehr darunter, durch Kinder so fremdbestimmt zu sein. Ich habe einige Frauen begleitet, die über Jahre sehr gestresst und überfordert davon waren.

Wie wäre es, wenn Sie sich ganz bewusst die negativen und anstrengenden Seiten des Familienlebens anschauen, anhören und Ihre Schwester sowie Ihre Freundinnen danach fragen? Und wenn Sie gleichzeitig auch die positiven Seiten Ihres jetzigen kinderlosen Lebens bewusster wahrnehmen und eventuell aufschreiben?

Auf jeden Fall würde ich Ihnen empfehlen, wieder mehr zu der Haltung zurückzufinden, die Sie vor ein paar Jahren hatten. Wenn es klappt, ist es schön. Wenn nicht, ist es auch gut. Sie können sich ja schon mal ein paar Ideen zurechtlegen, wie Sie Ihr Leben anders ausfüllen würden, wenn es mit einem Kind nicht klappt.

Einfache Patentlösungen gibt es natürlich nicht. Bei vielen Frauen hilft es, wenn sie sich ein ideelles "Baby" zulegen und sich zum Beispiel beruflich mit etwas sehr Erfüllendem selbstständig machen. Eine Bekannte hat eine Agentur für individuelle Reisen nach Afrika und Asien – ihr ist bewusst, dass sie dieses Projekt mit Kindern nicht machen könnte. Andere Paare machen ein kleines Familienhotel auf oder gründen ein Yogazentrum. Das wäre ein Ansatz.

Für Hundefans spielen ein oder mehrere Hunde manchmal ein bisschen Kindersatz. Sie brauchen viel Betreuung, geben viel Liebe, müssen versorgt und geliebt werden …

Oder Sie überlegen sich ein paar Reisen, die Sie mit Ihrem Partner machen wollen. Auf jeden Fall sollte es wieder zwei Lebensentwürfe geben, so wie es sie ja schon einmal gab. Damit sind Sie über viele Jahre am besten gefahren und dazu können Sie auch wieder zurückfinden.

Außerdem empfehle Ihnen die Bücher "Ich bin eine Frau ohne Kinder" von Susanne Zehetbauer und "Zukunft. Eine Bedienungsanleitung" von Florence Gaub.

Das letztere Buch nimmt Ängste und zeigt genau auf, wie wir unsere Zukunft denken und gestalten können. Ich hoffe, das bringt Sie wieder zu der Lässigkeit, die Sie schon hatten.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

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