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J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Seit 40 Jahren sind wir vertrauensvoll verheiratet. Doch mein Mann geht heimlich ins Bordell

Die Bordellbesuche belasten die Ehe der beiden (Symbolbild)
Die Bordellbesuche belasten die Ehe der beiden (Symbolbild)
© Andrii Zastrozhnov / Getty Images
Marion und ihr Mann haben gemeinsam viel erlebt. Dass er keine großen sexuellen Bedürfnisse mehr hatte, akzeptierte sie – bis sie herausfand, dass er ins Bordell geht. Kann ihre eigentlich starke Ehe das überleben?

Sehr geehrte Frau Peirano,

ich fühle mich derzeit verunsichert, verzweifelt und verletzt wie lange nicht. Mein Mann Stefan (der Fels in der Brandung) und ich sind jetzt seit 40 Jahren verheiratet (Er ist 73 und ich 67 Jahre alt). Unsere Beziehung ist liebevoll, stabil und sturmerprobt. Schließlich haben wir unter anderem gemeinsam eine wunderbare Tochter mit schwerer Epilepsie großgezogen. 

Unsere Paarbeziehung war stets geprägt von Vertrauen, Partnerschaftlichkeit, Respekt und Liebe. Mit der Zeit haben wir eine recht gute Streitkultur entwickelt, so dass auch Konflikte ohne gegenseitige Beschädigungen gelöst werden konnten. Oder auch mal als bestehende Meinungsverschiedenheit zu den Akten gelegt werden konnten. Als mir irgendwann einmal Gottmans Buch "Die 7 Geheimnisse einer guten Ehe“ in die Hände fiel, musste ich fast lachen, weil wir schon lange vorher offensichtlich so vieles intuitiv einfach richtig gemacht haben. Dass mein Mann mich liebt, sagt er zwar selten, aber so viele kleine liebevolle Gesten im Alltag hüllen mich ein wie ein wärmender Mantel. 

Sei es der Kaffee morgens am Bett, gegenseitige liebevolle Frotzeleien über die jeweiligen Schwächen des anderen, eine Umarmung im Vorbeigehen… Seine Wertschätzung mir gegenüber äußert er oft. Er ist zuverlässig, fürsorglich und verantwortungsvoll, sowohl mir als auch unserer Tochter gegenüber. Wir haben den gleichen Humor und können uns gegenseitig zum Lachen bringen. Aber während ich meinen Mann nach all den Jahren auch heute noch trotz Falten und Bauch immer noch erotisch anziehend finde, ist sein körperliches Interesse an mir offensichtlich schon lange erloschen. Irgendwann fand Sex nur noch auf meine Initiative hin statt, und irgendwann habe ich dann auch einfach resigniert. Seine zunehmende Impotenz kam hinzu.

Das ist schon lange so. Und ich hatte mir auch mittlerweile eingeredet, dass in unserem Alter das Interesse an Sex halt verloren gehen kann. Aber jetzt habe ich durch einen Zufall herausgefunden, dass mein Mann wohl regelmäßig Bordelle besucht. Ich hatte mich häufiger gewundert, dass seine Fahrten zum Baumarkt, zur Tankstelle oder zum Reifenwechsel manchmal erstaunlich lange dauerten. Als ich ihn konfrontierte, versuchte er zunächst zu leugnen. Es war schrecklich, wie er sich drehte und wand und mir "Unterstellungen“ vorwarf. 

Und noch schrecklicher war, dass ich ihn buchstäblich an die Wand nageln musste, bis er schließlich zumindest einiges zugab, das er einfach nicht mehr abstreiten konnte. Er hat dann aber doch gemerkt, wie verletzt und gedemütigt ich mich fühlte und seine Zerknirschung darüber, mir so weh getan zu haben, war schon echt.

Er tut seither alles, "damit alles wieder gut wird“, um mir auch seine körperliche Wertschätzung zu beweisen. Und ich mag nun einmal wirklich so unendlich gerne seine großen Hände auf meinem Körper spüren. Er ist sogar zum Arzt gegangen und hat sich Viagra verschreiben lassen. Und er ist unglücklich darüber, dass der Erfolg nicht so ganz befriedigend ist (zumindest für ihn nicht). Bezüglich seiner Bordellbesuche behauptet er, dass er ja nur "gucken“ will, weil er ja "sowieso keinen hochkriegt“. Das ist natürlich wenig glaubwürdig, aber auch nicht komplett abwegig. Ich weiß, dass er sich zwischendurch gerne mal einen Porno mit Mädchen in Reizwäsche anschaut. Damit habe ich eher kein Problem, aber wenn ich mich jetzt in meinem Alter in Reizwäsche zwänge, wäre das eher albern. 

Er hat diese Fantasien nun einmal, aber wie soll ich jetzt damit umgehen? Ich spioniere ihm seither unentwegt hinterher und fühle mich entsetzlich dabei. Natürlich ruft er weiterhin einschlägige Internetseiten auf. Dass er solche Fantasien hat, ist das eine. Damit kann ich leben, und warum sollte ich ihm da sein Kopfkino nicht gönnen. Aber dass er mich aus seinem Sexualleben komplett ausschloss, mich glauben machte, er hätte da gar keine Bedürfnisse mehr, und mich dabei buchstäblich "vertrocknen“ ließ, ist das, was mich so sehr verletzt. Und dass er sich einen Porno anschaut, finde ich nicht weiter schlimm. Aber dass er ins Bordell geht, während ich mal alleine ausgehe, halte ich definitiv nicht aus.

Was raten Sie mir?

Viele Grüße

Marion L.

Liebe Marion L.,

ich kann mir gut vorstellen, wie entsetzt Sie waren, als Sie herausgefunden haben, dass Ihr Mann heimlich ins Bordell geht. Diese Entdeckung passt ja überhaupt nicht in das Bild von Ihrem gemeinsamen Leben und von Ihrem Mann, der sich für Sie über Jahrzehnte als ein guter, verlässlicher Partner und Vater Ihrer Tochter gezeigt hat. Ein Mann, den Sie zu kennen glaubten und dem Sie zutiefst vertrauen. Da kommt es Ihnen wahrscheinlich vor wie ein falscher Film oder wie das Phänomen Jekyll/Hyde, dass derselbe Mann ein dunkles Geheimnis hat!

Aus Sicht Ihres Mannes stellt sich die Geschichte recht einfach da: Er scheint über die Jahre das erotische Interesse an Ihnen verloren zu haben, und er bevorzugt offensichtlich junge Frauen, nach Möglichkeit in Reizwäsche. Leider ist es sehr oft so, dass gerade bei den Paaren, die eine harmonische und verlässliche Partnerschaft haben, das erotische Interesse oft nachlässt, da der Reiz des Abenteuers und des Ungewissen fehlt. Die Spannung zwischen Nähe und Distanz ist oft zugunsten der Nähe austariert - und der Preis, den das Paar dafür bezahlt, ist Flaute im Bett. 

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Ihr Mann ist, wie es sich anhört, nicht auf der Suche nach Verständnis, Liebe, Nähe, Intimität oder einer neuen Partnerin. Es fehlt ihm die erotische Stimulation, und die hat er sich in anonymen, unpersönlichen Beziehungen gesucht. Und da er sich möglicherweise selbst dafür schämt und diese Neigungen nicht mit Ihnen und Ihrer Beziehung in Verbindung bringen kann, hat er sie aktiv vor Ihnen verheimlicht. Wahrscheinlich hat er innerlich einen heftigen Spagat gemacht - oder sogar verdrängt und abgespalten, dass er ein Doppelleben führt, das bei Ihnen Entsetzen auslösen würde. Durch das Verheimlichen wurde der innere Spagat mit der Zeit immer größer.

Ich kann gut verstehen, dass es Sie extrem verletzt und durcheinander gebracht hat, als Sie sein Doppelleben aufgedeckt haben. Denn er hat nur an seine Bedürfnisse und Sehnsüchte gedacht, die er im Bordell erfüllen wollte. Aber er hat nicht versucht, mit Ihnen Wege zu finden, wie auch Sie erotisch oder sexuell befriedigt werden können. Er hat Sie sozusagen auf der Strecke gelassen. Und genau das holt Sie beide jetzt ein.

Da das Vertrauen durch sein Verheimlichen und Verschweigen sowie das Abstreiten stark beschädigt ist, wird es Ihnen schwer fallen, das zu glauben, was er Ihnen unter Zwang gestanden hat: Dass er angeblich nur geguckt hat. Lassen wir das dahin gestellt sein. Was wirklich passiert ist, werden Sie weder jemals heraus finden noch verhindern.

Die wichtige Frage ist, wie Sie jetzt mit der Situation umgehen. Und da stellen sich aus meiner Sicht zwei Fragen.

  1. Können Sie sich vorstellen, mit Ihrem Mann eine Partnerschaft zu führen, bei der die gemeinsame Erotik ausgeklammert wird? Also eher eine freundschaftliche, familiäre Verbundenheit ohne eine sexuelle Ebene? Die erotische Ebene ist ja auf der Seite Ihres Mannes nicht mehr wirklich vorhanden, und auf Ihrer Seite mit Frustration, Verletzungen und Enttäuschungen behaftet (was ich gut verstehen kann!). Ihr Mann hat offenbar jetzt andere erotische Vorlieben. Es ist schwer vorstellbar, wie Sie beide jetzt auf einen erotischen Nenner kommen können. Und wahrscheinlich wird gerade der toxische Bereich zwischen Ihnen beiden entgiftet, wenn Sie diese Ebene ausklammern können und sich auf das konzentrieren, was zwischen Ihnen beiden gut ist. Aber können Sie sich das wirklich vorstellen? Die Alternative, sich ganz zu trennen, wäre allerdings auch eine schwere Option nach 40 gemeinsamen Jahren…
  2. Können Sie es akzeptieren und mit Ihrem Wertesystem vereinbaren, dass Ihr Mann ins Bordell gegangen ist und das wahrscheinlich weiterhin machen wird - und dass er dort macht, was er will? Kontrollieren können Sie ihn ja nicht, das müssten Sie geschehen lassen. Was für eine Einstellung haben Sie zur Prostitution und insbesondere zu Männern, die sich Sex als Dienstleistung kaufen? Ist das mit Ihrem Wertesystem vereinbar oder finden Sie es frauenfeindlich (sowohl der Prostitutierten als auch generell dem dadurch vermittelten Frauenbild oder Ihnen persönlich gegenüber)?
    Würde es Sie stören, wenn ein guter Freund oder z.B. Ihr Bruder regelmäßig ins Bordell gehen würde? Könnten Sie ohne Vorbehalte eine Freundschaft oder gute Beziehung mit ihm pflegen? Und wie ist es mit Ihrem Mann: Können Sie sich vorstellen, das wirklich zu akzeptieren, so wie Sie auch seinen Pornokonsum akzeptieren?

Ich denke, dass es wichtig ist, diesen Fragen in Ruhe nachzuspüren und auch in vertrauensvollen Gespräche mit Freundinnen oder einer Therapeutin für sich zu beantworten, um über eine Zukunft Ihrer Ehe zu entscheiden. Es ist aus meiner Sicht nicht möglich, Ihren Mann davon abzuhalten, weiter ins Bordell zu gehen, und die Versuche, es zu kontrollieren, würden Sie sehr viel Kraft kosten und für ständige Konflikte zwischen Ihnen sorgen.  Es wäre eher die Frage, ob und ggf. wie Sie weitermachen auf der Grundlage, dass er wahrscheinlich weiterhin ins Bordell gehen wird.

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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